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10.11.17 / »Das Asylrecht muss reformiert werden« / Ex-Bundesverfassungsgerichtspräsident Papier fordert zukunftsorientierte Gestaltung der Rechtslage

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 45-17 vom 10. November 2017

»Das Asylrecht muss reformiert werden«
Ex-Bundesverfassungsgerichtspräsident Papier fordert zukunftsorientierte Gestaltung der Rechtslage
Michael Leh

Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier hat gefordert, dass das Asylrecht „nicht länger zweckentfremdet“ werden könne „gewissermaßen als Türöffner für illegale Einwanderung, und zwar von Personen, die offenkundig kein Recht auf Asyl in Deutschland haben“. Es bestehe „dringender Reformbedarf“.

Der Professor Hans-Jürgen Papier war zuerst Vizepräsident und dann von 2002 bis 2010 Präsident des Bundesverfassungsgerichts. In einem Vortrag in der Berliner Katholischen Akademie übte er deutliche Kritik an der gegenwärtigen Asylrechtspraxis. Der „Kardinalfehler“ der Politik sei es gewesen, nicht hinreichend zwischen „Asylgewährung im Rechtssinne“ und einer freiwilligen, nicht auf Rechtspflichten beruhenden Aufnahme von Zuwanderern sowie einer Einwanderung aus eigenem volkswirtschaftlichen oder demographischen Interesse zu unterscheiden und „alles über die hoffnungslos überforderten Asylverfahren laufen zu lassen“. 

Die Handhabung des Asylrechts müsse sich „strikt auf das konzentrieren, was es leisten kann und was es leisten soll, nämlich aktuell politisch Verfolgten Schutz zu gewähren“. In Deutschland lebten jedoch „sehr viele Ausländer, die den materiellen Status als Flüchtling nicht erlangt haben und ihn auch nie erlangen werden“, erklärte Papier. „Oder aber“, fügte er hinzu, „das muss man auch offen aussprechen, aufgrund unkorrekter, oberflächlicher oder eiliger Anwendung geltenden Rechts in fragwürdiger Weise erlangt haben“.

Papier verwies auf Artikel 16a Grundgesetz. Dessen ersten beiden Absätze lauten: „(1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht. (2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist.“ 

Deutschland sei umgeben von sicheren Drittstaaten, sagte Papier, „sodass auf dem Landwege eine Inanspruchnahme des Asylrechts in aller Regel nicht möglich“ sei. Die Dublin-III-Verordnung gewähre zwar in Artikel 17 jedem EU-Mitgliedsstaat ein sogenanntes Selbsteintrittsrecht, wonach er auch freiwillig ein Asylverfahren übernehmen könne, ohne dazu verpflichtet zu sein. Dabei handele es sich um eine Ermessensvorschrift. Deutschland habe davon Gebrauch gemacht. „Aber“, erklärte Papier, „diese Vorschrift ist eine Ausnahmevorschrift, die eine zeitlich und zahlenmäßig unbegrenzte  nationale Abweichung von der europäischen Regelnorm nicht enthält“. 

„Außerdem“, fügte er hinzu, „müsste man bei der Ausübung des Ermessens zum Selbsteintritt die Grenzen wahren, die das nationale zwingende Recht setzt“. So sei insbesondere Paragraph 18 Absatz 2 des  Asylgesetzes zu beachten, „wonach bei Einreisen aus 

sicherem Drittstaat grundsätzlich die Einreise zu verweigern ist“.

Der Rechtsstaat könne Ausländer, die „ersichtlich kein Recht auf Asyl oder internationalen Schutz“ hätten, an der Grenze abweisen. „Er kann aber nicht“, fügte Papier hinzu, „Nicht-EU-Ausländer ohne Weiteres ausweisen, wenn diese einmal, sei es legal, sei es illegal, in sein Hoheitsgebiet gelangt sind“. Dem Ausländer wachse „mit jedem Gebietskontakt ein deutscher Grundrechtsstatus zu, der verschiedene und relativ hohe Hürden gegen Ausweisungen und Abschiebungen errichtet – von den praktischen Schwierigkeiten einmal ganz absehen“.

Das geltende Recht sei „zugegebenermaßen auf diesem Politikfeld äußerst kompliziert, unüberschaubar, verworren und auch nicht widerspruchsfrei“.

Angesichts  Artikel 16a Absatz 2 Grundgesetz sei aber das „im sogenannten Asylkompromiss von CDU und CSU vom Oktober 2017 enthaltene Bekenntnis zum Recht auf Asyl im Grundgesetz wenig aussagekräftig und wenig hilfreich“.

Der „immer wieder ausgebrochene Streit“ darüber, ob das Asylrecht die Festlegung von Obergrenzen zulasse, sei „im Hinblick auf die Migration auf dem Landwege wegen der offenkundigen Nichtgeltung des Asylgrundrechts im Grunde ein ziemlich unsinniger Streit, dessen Austragung in der politischen Diskussion möglichweise auf schlichter Rechtsunkenntnis beruht“, so Papier. Das Asylrecht und das Recht von Staaten zur humanitären Aufnahme von Menschen beziehungsweise einwanderungspolitische Entscheidungen seien „vermengt“ worden.  „Recht und Wirklichkeit“ seien „vor allem im Jahr 2015“ in einem „kritischen Maße auseinandergedriftet“.

Wie viel Zuwanderung „dieses Land verträgt oder hinzunehmen bereit ist“, sei eine „politische Grundsatzentscheidung“. Sie müsse vom Parlament getroffen werden. Die bisherigen Entscheidungen seien von der „geltenden Asylrechtslage nicht mehr ge-

deckt“. Sie dürften „jedenfalls auf Dauer nicht von exekutivischen Organen des Bundes im Gewand eines scheinbaren Asylrechtsvollzuges“ erfolgen. 

Papier erklärte, es gebe „keinen vorbehaltlosen Anspruch von Ehegatten und Familenangehörigen auf Familiennachzug“. Das habe das Bundesverfassungsgericht bereits 1987 entschieden. „Allerdings“, fügte er hinzu, „haben die zuständigen Behörden und Gerichte bei jeder Einzelfallentscheidung im Hinblick auf Familiennachzug die wertsetzenden Grundsatzentscheidungen des Artikel 6 Grundgesetz zugunsten von Ehe und Familie hinreichend zu berücksichtigen“.

Papier forderte eine Neuordnung  des Asyl- und Zuwanderungsrechtes. Für Lösungen gebe es „sicher nicht den Königsweg“. Es sei ein Bündel von Maßnahmen erforderlich. „Aber dazu gehört eben auch die zukunftsorientierte Gestaltung der eigenen Rechtslage“, erklärte er, „und das wurde bislang im Wesentlichen versäumt.“