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10.11.17 / Die Sterne funkeln wieder / Eine Institution aus den Goldenen Zwanzigern lebt wieder auf – Das Berliner Varieté Wintergarten wurde vor 25 Jahren wiedereröffnet

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 45-17 vom 10. November 2017

Die Sterne funkeln wieder
Eine Institution aus den Goldenen Zwanzigern lebt wieder auf – Das Berliner Varieté Wintergarten wurde vor 25 Jahren wiedereröffnet
Susan Bäthge

Die 4564 Sternchen an der Decke des plüschigen Varietéhauses funkeln und zaubern dem verzückten Besucher ein sanftes Lächeln ins Gesicht. Es wundert nicht, dass die meisten Gäste schon allein von der besonderen Atmosphäre angezogen werden. Sie kommen, um zu staunen und um sich verzaubern zu lassen von aufregenden Shows, anspruchsvollen Musik- und Tanzdarbietungen sowie Artisten aus aller Welt. Denn hier treten die Besten ihrer Zunft auf. 

„Wir wollen nicht in die Fußstapfen des alten Wintergartens treten, wir wollen den Hut vor ihm ziehen“, waren sich Roncalli-Chef Bernhard Paul, der Wiener Aktionskünstler André Heller und der in Berlin wirkende Kulturmanager Peter Schwenkow im Jahr 1992 einig. Berlin soll sein Traditionshaus zu­rückbekommen und die Liebe zum Varieté wieder aufleben. Schließlich gab es den Wintergarten schon im Jahr 1880, damals war er ein beliebter Treffpunkt wohlhabender Bürger im Central-Hotel am Bahnhof Fried­richstraße. 

Die auftretenden Stars waren Berühmtheiten, die Namen von Entfesselungskünstler Houdini, der Clowns Grock oder Charlie Rivel garantierten ein volles Haus. Die Goldenen Zwanziger Jahre waren gespickt mit Gastspielen von Sängerin Claire Waldoff, dem damaligen Weltstar Josephine Baker im Bananenröckchen oder Enrico Rastelli, dem Wunderjongleur.

1944 dann das Aus. Die Schaubühne an der Friedrichstraße lag nach einem Bombenangriff in Schutt und Asche, zurück blieb die Legende eines großen Namens.

Vor 25 Jahren öffnete der neue Wintergarten in der Potsdamer Straße für 500 Gäste seine schweren Pforten und wurde vom „Time Magazine“ als Kulturtipp für Europa empfohlen. Schnell entwickelte sich das Traditionshaus zum Publikumsmagneten. Regelmäßig gastiert Max Raabe mit seinem Palastorchester dort, eine perfekte Kulisse für den Vertreter einer guten alten Zeit. 

Seit fast 20 Jahren hält Georg Strecker die künstlerischen und geschäftlichen Fäden zusammen. Seinem Durchhaltevermögen ist es zu verdanken, dass das legendäre Revue-Theater 364 Tage im Jahr Raum Anlass zum Staunen bietet. Die harten Zeiten scheint Europas schönstes Varieté-Theater überstanden zu haben. 2008 musste Insolvenz beantragt werden, seit 2009 gibt es einen neuen Betreiber. Der neue Wintergarten ist im 21. Jahrhundert längst an­gekommen.

„Die Artistik ist über 3000 Jahre alt, und sie wird niemals untergehen“, verkündete der gebürtige Hesse Strecker anlässlich der Ge­burtstagsfeier im Oktober. Dabei schwingt verdientermaßen Stolz in seinen Worten mit. Rund 7000 Vorstellungen, fast drei Millionen Gäste, 98 eigene Shows sind die glänzende Bilanz eines Vierteljahrhunderts. 

Natürlich geht es auch um den Erfolg und Erhalt des schönen Hauses in einer Stadt mit wachsender Konkurrenz. Tagtäglich bietet Berlin zwischen 2000 und 3000 Veranstaltungen, bis zu 30000 Tickets werden verkauft. „Der Markt ist eng geworden und die Ansprüche des Publikums sind gewachsen“, sagt Strecker, „was die Gäste fasziniert, sind echte Menschen, zum Greifen nah. Auch in der letzten Reihe kann man noch die Schweißperlen der Artisten sehen.“

Im großartigen Wintergarten-Varieté herrscht eine ganz eigene Atmosphäre. Ob schrill und laut, poetisch und leise, bunt und schräg oder unheimlich und seltsam. Über allem steht das Staunen, und schaut man während der Shows beherzt nach oben, hat man manchmal den Eindruck, die Sterne funkeln noch heller. 

Was den Chef selbst zum Staunen bringt? „Wenn extrem schwierige Dinge federleicht aussehen oder wenn Artisten mit ihrer Musik zu einer Einheit verschmelzen.“ 

„Überirdisch toll“ bezeichnet Strecker diese Momente. In jeder Premiere schaut er seinen Künstlern über die Schultern, achtet auf das richtige Timing. Perfektionisten braucht es in dieser Branche. Und Leichtigkeit muss gelernt sein.

David Copperfield, Hans Klok oder die Ehrlich Brothers sind die großen Illusionisten auf den ganz großen Bühnen. Strecker setzt im Wintergarten eher auf kleine, feine Zauberei, atemberaubende Artistik und großartige Conférenciers wie die Berliner Schauspielerin Meret Becker. 

Die aktuelle, quietschbunte Ju­biläumsshow „Sayonara Tokyo“ widmet sich der ganzen Palette kitschiger Klischees rund um das Land der aufgehenden Sonne. Geishas, Tamagotschis, Mangas und japanisch inspirierter deutscher Schlager: „Du machst so etwas Fremd-Vertrauliches, so Süß-Erotisches, da liegt was drin“, trällern die drei Ladies Yoko, Nancy und Heidi, und mittendrin in der schrillen Absurdität der Show kommt der jodelnde Japaner Takeo Ischi daher, in weißer Ledertracht. Applaus! Eine herrlich schrille Japanschau, geheimnisvoll und hinreißend wird der Zauber fernöstlicher Mystik beschworen. 

Experimentierfreudig wird der Betreiber des Wintergartens auch in Zukunft sein. Und mutig. Risiko gehört zum Geschäft. Dem großen Erbe fühlt sich Strecker dennoch verpflichtet: „Der alte Wintergarten war ein Ort mit Weltruf und hochklassigem Entertainment. Die weltbesten Artisten treten auch heute bei uns auf, nur kennt niemand mehr ihre Namen. Wir sind ein kleineres Rädchen in der großen Vergnügungsindustrie geworden und der größte Star des Wintergartens bleibt das Haus selbst.“ 

Die Welt dreht sich immer schneller, immer mehr Menschen sehnen sich nach Entschleunigung und einer kleinen Auszeit vom digitalen Alltag. Möge der „kleinere Bruder des Zirkus“, wie Gründervater Bernhard Paul das Varieté einst nannte, am Puls der Zeit weiter bestehen und das Staunen niemals enden, wenn die schwierige Kunst der Illusion wieder einmal federleicht aussieht.

Da scheint die nächste Show zur rechten Zeit zu kommen: „Take it easy!“ begibt sich auf die Spuren von Country, Folk und Rock. Freigeister handgemachter Musik sollen auf außergewöhnliche künstlerische Vorstellungen  und aufsehenerregende Körperkünstler treffen. Ab Februar sorgt sie im legendären Berliner Wintergarten für zauberhafte Unterhaltung.


Programm- und Karteninfos im Internet unter www.wintergarten-berlin.de