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10.11.17 / Eine Kuppe weniger / Der Erste Weltkrieg in den Dolomiten – Für den Stellungskampf durchlöcherte man die Berge

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 45-17 vom 10. November 2017

Eine Kuppe weniger
Der Erste Weltkrieg in den Dolomiten – Für den Stellungskampf durchlöcherte man die Berge
Harald Tews

Vor 100 Jahren war der Gebirgskrieg zwischen Österreichern und Italienern am Höhepunkt angelangt. Besonders hart ge­fochten wurde in den Dolomiten, wo man sich in Tunnelsystemen verschanzte. Am Berg Lagazuoi bei Cortina d’Ampezzo lassen sich solche Stollen aus Kriegszeiten noch heute erwandern.

Von irgendwoher ertönt der schrille Pfiff eines Murmeltiers. Gefahr für seine Familie ist heute aber nicht im Verzug. Die Bergwanderer kommen in friedlicher Absicht, um jenen steilen Weg der österreichischen Kaiserjäger zu erklimmen, die vor 100 Jahren in kriegerischer Absicht zum Kleinen Lagazuoi stiegen. 

Damals verlief die Kriegsfront am Berg entlang. Vom 2770 Meter hohen Gipfel konnten die Kaiserjäger, das Gebirgsregiment der k.u.k.-Monarchie, verhindern, dass die verfeindeten Alpini, die italienischen Gebirgsjäger, über den zu Fuße des Berges liegenden Falzaregopass nach Norden vorstoßen konnten.

Mit leichtem Gepäck ist der Anstieg auf dem Kaiserjägersteig am Lagazuoi schon an­strengend genug. Man stelle sich nur die Soldaten vor, die hier schwere Maschinengewehre, tonnenweise Sprengpulver und Bohrgeräte hinaufschleppen mussten. Auf halber Höhe haben sie außerdem eine Hängebrücke über einen schwindelerregenden Abgrund errichtet, hinter der heute noch die Reste eines Schützengrabens zu besichtigen sind.

Über einen mit Stahlseilen gesicherten Klettersteig geht es weiter hoch zum Gipfel. Eine abgefeuerte Granate ist hier am Gipfelkreuz als mahnende Erinnerung an den Krieg angebracht. Solche Hinterlassenschaften gibt es noch viele auf dem Lagazuoi. Guido Pompanin hat sie gesammelt und sie oben in seiner Berghütte, dem Rifugio Lagazuoi, ausgestellt: rostige Mu­nition, zerplatze Metallhülsen und Granatsplitter. Ei­ne alte Fotografie zeigt Guidos Großvater in Habsburger Uniform.

Damals, so er­zählt Guido auf Deutsch – der hier geläufige ro­manische Dialekt Ladinisch ist ei­gentlich seine Muttersprache –, ha­be der Großvater von Cortina aus Versorgungsgänge für die Kaiserjäger unternommen. Es trieb  ihn in Gewissenskonflikte. Denn viele Freunde und Nachbarn aus Cortina kämpften auf der anderen, der italienischen Seite.

In den Dolomiten war das aufgrund der dörflichen Zusammensetzung nicht ungewöhnlich. Luis Trenker, der aus dem benachbarten Grödner Tal stammte, thematisierte diese Kriegsschicksale 1931 in seinem Film „Berge in Flammen“, der in Cortina spielt und in dem der Lagazuoi unter dem Namen Col Alto firmiert.

Unweit von Guidos Rifugio, wo es außer erstklassigem Essen auch die höchstgelegene Fass-Sauna im Freien gibt, könnte man mit der Seilbahn komfortabel zu Tal fahren. In der Wintersaison ist sie aber erst wieder ab dem 20. Dezember in Betrieb. Man würde dann jedoch das labyrinthische Stollensystem verpassen, das die Soldaten hier angelegt haben und das ähnlich wie das Freilicht-Kriegsmuseum „5 Torri“ (Fünf Türme) auf der schräg gegenüberliegenden Talseite am Wintersportort Cortina jederzeit be­gehbar ist. Im Berg sollte jeder aber gut ausgerüstet mit Helmlampe und Führer unterwegs sein. 

Denn es ist stockdunkel hier. Um sich gegenseitig vom Berg zu vertreiben, bohrten Österreicher und Italiener kilometerlange Tunnel durch das Massiv. Am Ende platzierten sie Sprengladungen, um die Stellungen des Gegners in die Luft fliegen zu lassen. Dabei veränderten sie das Aussehen des Berges. Eine 30-Tonnen-Mine der Kaiserjäger ließ im Mai 1917 eine 200 Meter breite und 136 Meter lange Wandfläche zu Tal stürzen. Und eine ebenso gewaltige Detonation durch die Alpini sprengte einen Monat später sogar einen Teil der Gebirgskuppe ab.

Soldaten kamen dabei kaum zu Schaden. Die alten Nachbarschaftsbande wirkten, die Menschen warnte sich gegenseitig vor der Gefahr, so­dass jeder sich rechtzeitig in Sicherheit bringen konnte. Tatsächlich kamen bei den Gebirgskämpfen die Wenigsten durch Kampfhandlungen ums Leben. Der Tod kam durch Kälte, Steinschlag oder Lawinen. Am höchsten Berg der Dolomiten, dem südlich vom Lagazuoi gut sichtbaren Marmolada, kam es im De­zember 1916 zur größten Ka­tastrophe, als eine Lawine zirka 300 Soldaten in den Tod riss.

Infolge der für die Österreicher erfolgreichen 12. Isonzoschlacht und der folgenden Piaveschlacht fielen in den Monaten Oktober und November 1917 in den südlichen Alpen trotzdem zehntausende deutsche, österreichische und italienische Soldaten.

Am Lagazuoi kann der Besucher sich einen Eindruck vom Kriegsirrsinn machen, wenn man den zirka einen Kilometer langen Tunnel hinabsteigt, den die Italiener 1917 binnen fünf Monaten vom Tal aus in den Fels nach oben gebohrt haben. Hin und wieder kommt man an Schießscharten in der Felswand vorbei, in denen noch alte Maschinengewehre stehen. Am Ende hielten sich die Feinde im Stellungskrieg ähnlich gegenseitig in Schach wie an der Westfront. Jetzt gehören die Berge wieder den Murmeltieren. Sie pfeifen auf den Krieg.

Infos über das Kriegsmuseum Lagazuoi und 5 Torri: www.lagazuoi.it; www.cortinamuseoguerra.it. Rifugio Lagazuoi: www.rifugiolagazuoi.com. Alpine Guide Cortina bietet geführte Bergtouren durch die Tunnel im La­gazuoi an: www.guidecortina.com.





Wie es zu den Feindseligkeiten kam

Bei der Neuordnung Europas nach den napoleonischen Kriegen auf dem Wiener Kongress von 1814/15 war es ein maßgebliches Ziel des österreichischen Staatskanzlers Clemens von Metternich gewesen, ein österreichisch kontrolliertes Zentraleuropa aus Deutschland und Italien zu schaffen, das die von ihm mit Argwohn beobachteten kontinentalen Flügelmächte Frankreich und Russland vom Vordringen in die Mitte Europas abhalten sollte. 

Diese Hegemonie Österreichs in Deutschland wie in Italien führte dazu, dass wie die Einigung Deutschlands durch Preußen auch die Italiens durch Sardinien-Piemont nur gegen österreichischen Widerstand durchgeführt werden konnte. Von den drei sogenannten Unabhängigkeitskriegen von 1848/49, 1859 und 1866 wurden alle gegen Österreich geführt. Insofern bedurfte es schon des diplomatischen Geschicks eines Otto von Bismarck, 1879 ein gemeinsames Defensivbündnis aus Italien, Österreich und Deutschland zu schmieden.

Dieser sogenannte Dreibund war regelmäßig verlängert worden und galt bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges noch. Italien bestritt jedoch, dass mit dem Kriegsbeginn der Bündnisfall gegeben sei, und nahm für sich volle Handlungsfreiheit in Anspruch. 

Wohl alle souveränen Länder handeln eigennützig, aber Italien dürfte das einzige sein, dass dieses Motiv religiös überhöht hat. Sein Regierungschef von 1914 bis 1916, Antonio Salandra, forderte 1914 einen „geheiligten Egoismus für Italien“ (sacro egoismo per l’Italia). 

Die Mittelmächte hatten das Pech, dass gemäß dem italienischen Irredentismus, dem Panitalianismus, die Gebiete, die noch der „Erlösung“ harrten, vor allem in Österreich lagen. 

Zudem glaubte Italien, im Habsburgerreich leicht Beute machen zu können. Die Donaumonarchie war, was für Italien mit seiner langen Küste wichtig war, weniger eine See- denn eine Landmacht und Österreichs Landstreitkräfte waren durch die Kämpfe an den beiden bereits vorhandenen Fronten mit Russland und Serbien fast vollständig gebunden. 

Trotzdem gelang es Italien nach dessen Kriegserklärung an Österreich 1915 nicht, die Österreicher an der gemeinsamen Grenze zu überrennen. Vielmehr zogen sich die Angegriffenen zu einem Großteil in die Berge zurück, wo sie sich gut verschanzten und teilweise sogar aus dem Deutschen Reich Verstärkung erhielten. Das Ergebnis war ein langanhaltender, verbissener Stellungskrieg im Hochgebirge, ein Novum in der Militärgeschichte.Manuel Ruoff