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17.11.17 / Gegenwind / Die Türkei bewegt sich vom Westen nach Asien

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 46-17 vom 17. November 2017

Gegenwind
Die Türkei bewegt sich vom Westen nach Asien
Florian Stumfall

So wie die verschiedenen Erdplatten durch die Kraft der Tektonik ihre Lage zueinander stetig verändern, wenn auch meist ungeheuer langsam, weil es sich um ein erdgeschichtliches Ereignis handelt, so ändern sich die Beziehungen der Länder zueinander, aber sehr viel schneller, denn hier geht es um ein Geschehen, das die Menschen bewirken. Diese Regel gilt für alle Kontinente und Staaten, doch beispielhaft trifft sie auf die Türkei zu. Genau wie Kleinasien an einer gefährlichen Bruchstelle zwischen der eurasischen und der anatolischen Platte liegt, so laviert die türkische Politik zwischen Ost und West. Neuerdings ist erhöhte Bewegung in die Sache gekommen.

Doch tektonische Aktivitäten können zu gefährlichen, manchmal katastrophalen Verwerfungen führen. Das gilt für die Geologie wie für die Politik. Eine derartige Verwerfung, diesmal im politischen Sinne, hat die Türkei ausgelöst, als sie kürzlich in Russland das dort entwickelte und gebaute Raketen-Abwehr-System S 400 „Triumf“ kaufte (siehe PAZ Nr. 40). Man kann verstehen: Ein Nato-Land, das Waffen bei einem so definierten Gegner kauft – das geht gar nicht. Außerdem geht der US-amerikanischen Rüstungsindustrie auf solche Weise ein erheblicher Reibach flöten, und derlei stört die US-Lebensphilosophie.

Der Vorgang mit den S-400 wäre für sich allein genommen schon schlimm genug 

– ein Nato-Partner geht auf Distanz, das sollte nicht vorkommen. Schlimmer aber ist, dass es sich dabei nicht um einen Einzelfall handelt. Dogu Perincek, der Vorsitzende der türkischen Vaterlandspartei erklärte kürzlich, Ankaras Entfernung von der Nato und seine Annäherung an Russland gewönnen an Geschwindigkeit. Zudem gehe sie nicht auf augenblicklichen Nutzen zurück – wie etwa den Kauf eines russischen Produkts, das dem US-amerikanischen Äquivalent deutlich überlegen ist –, sondern auf strategische Überlegungen. 

„In absehbarer Zeit werden sich die Beziehungen zwischen Russland und der Türkei noch positiver entwickeln. Die Türkei ist in der Phase dauerhafter und stabiler konstruktiver Beziehungen nicht nur zu Russland, sondern auch zum Iran und Irak eingetreten, bald auch zu Syrien. Dann wird es bereits unmöglich sein, auf diese Einigkeit zu verzichten.“ Dass Pericek etwas derartiges ohne Wissen oder gar gegen den Willen Recep Tayyip Erdogans zu einer russischen Agentur sagt, darf man ausschließen. Schließlich kann er kein Interesse daran haben, als überführter Terrorist in irgendeinem finsteren Kerker zu verschwinden.

Überhaupt scheint Pericek von Erdogan mit der Rolle des diplomatischen Minenhunds betraut worden zu sein, denn was er in Folge noch alles von sich gab, ist hochexplosiv. So warf er den USA deren Zusammenarbeit mit den Kurden vor: „Jetzt sehen wir, dass die USA direkt auf die Türkei losgegangen sind. Deswegen ist Ankara gezwungen, mit den Nachbarländern zusammenzuarbeiten, da es keinen anderen Weg hat.“ 

Damit nicht genug: „In Zukunft hat Ankara in der Nato nichts zu suchen. Diese Allianz stellt eine Bedrohung für Ankara dar. Die Türkei pocht an die Tür der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit.“ Die führenden Mitgliedsstaaten der Shanghaier Organisation aber sind China und Russland. Die Zeiten, da die Türkei als treuer Nato-Partner vor dem damals sowjetischen Kaukasus die Abhörstationen der USA und dann auch 50 „Jupiter“-Raketen hat aufstellen lassen, sind lange vorbei.

Sogar beim heiklen Thema Syrien nähern sich nicht nur die Türkei und Russland, sondern auch der Iran einander an. Bei den Verhandlungen im Rahmen der sechsten Runde der Syrien-Gespräche in der kasachischen Hauptstadt Astana im September haben sich die drei Mächte darauf geeinigt, eine sogenannte Deeskalationszone in der nach wie vor instabilen nordsyrischen Provinz Idlib einzurichten. Dass auch der Iran, den die USA als Erzfeind betrachten, mit von der Partie ist, wird man in Washington nur mit großem Missmut registrieren. Denn dahinter steht die Tatsache, dass die USA in Syrien ebenso wie der Islamische Staat an Boden verloren haben, auch wenn sie sich im Norden des Landes, in Rakka, festkrallen wollen.

Militärische Machenschaften sind das eine, wirtschaftliche Winkelzüge das andere. Die Türkei, so wurde bereits im Dezember des vergangenen Jahres bekannt, plant, den Handel mit China, Russland und dem Iran künftig in „lokalen Währungen“ abzuwickeln. Damit fügt es sich in eine internationale und immer mehr um sich greifende Strömung, die darauf abzielt, auf den US-Dollar als umfassende Weltwährung zu verzichten und andere Valuten bei grenzüberschreitenden Handelschaften zu nutzen. 

Für die USA geht das an die Substanz, denn nur wegen der Rolle ihrer Währung als ausschließlicher Verrechnungseinheit weltweit war bisher die exorbitante Verschuldung der USA finanzierbar. Geht nun auch ein Nato-Partner finanztechnisch von der Stange, dann hat das eine vor allem auch psychologische Wirkung, die für die Wall Street fatal sein muss. Denn was Fi­nanzen und Währung angeht, so stellt die Psychologie die halbe Miete dar.

Auch in Währungssachen, wie schon beim Waffenkauf, orientiert sich die Türkei neuerdings weniger an der Nato-Bündnis-Treue als vielmehr am eigenen Vorteil. Durch den Putschversuch im Jahre 2016 hat die türkische Lira gegenüber dem US-Dollar erheblich an Wert verloren. Wenn daher künftig der Ankauf von Öl oder Gas in Rubel anstatt in Dollar abgewickelt würde und Russland seinen Einkauf in der Türkei dann auf Basis der Lira tätigte, so wäre das für Ankara ein großer Vorteil. Dazu passt, dass die Moskauer Börse vor einigen Tagen bekanntgegeben hat, dass sie künftig Handel auch mit japanischen Yen sowie mit der türkischen Lira treiben werde.

Der türkische Wirtschaftsminister Nihat Zeybekci versicherte der Nachrichtenagentur Anadolu: „Binnen der kommenden fünf Jahre wird sich die Welt in vielem ändern. Deshalb muss man sich darauf vorbereiten, künftig den Handel in nationalen Währungen zu betreiben. Das wird allen Seiten Nutzen bringen. Ein solcher Schritt würde den Interessen eines jeden Landes, darunter Russlands, des Iran, der Türkei, Chinas und Japans, entsprechen.“

Was aber die Psychologie angeht, so hat die Entscheidung vom Mai dieses Jahres, den Nato-Gipfel nicht in der Türkei abzuhalten, es Ankara noch leichter gemacht, die innere Loslösung vom Bündnis zu vollziehen. Die Selbstgerechtigkeit der Nato-Granden, mit der sie die inneren Zustände des anatolischen Mitglieds kommentieren, stößt dort auf umso weniger Verständnis, als dieselben Kritiker, noch bevor sie sich am Morgen zum Frühstück hinsetzen, bereits ein paar Mal das Völkerrecht brechen. Jüngstes Beispiel: Neuerdings befindet sich Somalia erneut unter dem Raketen-Hagel der USA. Die Begründung? Terrorismus, was denn sonst. Rechtsgrundlage? Keine, was denn sonst. 

Jedenfalls bewirken die politisch-tektonischen Bewegungen der Türkei einiges Kopfzerbrechen sowohl in Washington als auch in Brüssel, dort sogar doppelt, als EU-Hauptstadt sowie als Nato-Sitz. Die Stimmen derer, die noch vor Kurzem die Osmanen nicht schnell genug in der EU als Mitglied haben sehen können, sind verklungen, die Türkei bewegt sich politisch dorthin, wo sie historisch ihre Wurzeln hat, nach Asien, wobei Russland in seiner eurasischen Doppelfunktion den entscheidenden Anker darstellt. Im Wes-ten war niemand auf eine solche Entwick-lung vorbereitet.