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17.11.17 / Kleine List mit Breitenwirkung / Martinsfest mit schlesischen Mohnhörnchen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 46-17 vom 17. November 2017

Kleine List mit Breitenwirkung
Martinsfest mit schlesischen Mohnhörnchen
Chris W. Wagner

In einem der ältesten Dörfer Niederschlesiens, in Seitsch [Siciny], Kreis Guhrau [Góra] ist das Martinsfest nach Jahrzehnten der Unterbrechung vergangenen Sonnabend wieder gefeiert worden. Dass diese von Deutschen so gerne gepflegte Tradition von den polnischen Seitschern übernommen worden ist, hat nicht nur einen Grund. Zum einen trägt die frisch sanierte, barocke, durch Karl Martin Franz erbaute Kirche des Dorfes den Namen Sankt Martin. Zum anderen ist die Sache einem deutschen Rückkehrer und einem polnischen Seitscher, der einst in Westfalen lebte, zu verdanken. Und dass nach Seitsch nach der Vertreibung der Deutschen auch Einwohner aus der angrenzenden Provinz Posen kamen, wo die Martinsfest-Tradition bis heute lebendig ist, spielt gewiss auch eine Rolle.

Der einstige sächsische CDU-Landtagsabgeordnete Andreas Grapatin kaufte das Haus seiner Eltern in Seitsch zurück und ließ sich im Dorf nieder. Der ehemalige Chef des Sächsischen Verbindungsbüros in Breslau versteht sich gut mit dem Seitscher Pfarrer, Tadeusz Sliwka, und unterstützt die Dorfgemeinschaft, die zu den aktivsten des Kreises Guhrau gehört. „Man darf nicht vergessen, dass hier nicht nur Menschen aus Ostpolen gekommen sind, sondern aus anderen Gegenden Mitteleuropas auch. Meine Nachbarin ist aus Groß Strehlitz in Oberschlesien“, so Grapatin, der sich im „Verein der Sieben“ engagiert, einer Vereinigung, zu der Bürger aus Seitsch und sechs benachbarten Dörfern gehören. Der Verein organisierte unter anderem Gelder aus der Europäischen Union und dem Marschallamt der Woiwodschaft Niederschlesien für die Sanierung der Seitscher Kirche, die 1736 im barocken Stil umgebaut, später um eine Propstei und einen Wirtschaftshof erweitert wurde. Bei der Innenausstattung des Gotteshauses wirkten bedeutende schlesische Künstler wie Joseph Mangoldt mit, der den Hauptaltar und die Kanzel schuf. Anton Felder und Ignaz Axter sind die Schöpfer der Fresken in der Kirche und der Propstei. Der niederländische Barockmaler Christian Phillip Bentum schuf das Sankt-Martin-Bildnis im Hauptaltar. Und Michael Willmann malte im Hauptaltar das Bild Mariä Himmelfahrt.

„Eine halbe Million Zloty bekamen wir von der EU und 1,7 Millionen hat die Renovierung insgesamt gekostet. Wir wurden daher ebenfalls durch die Woiwodschaft Niederschlesien finanziell unterstützt, müssen aber nachweisen, dass die Kirche ein touristischer Anziehungspunkt ist und brauchen jährlich 8500 Unterschriften von Besuchern“, berichtet Pfarrer Sliwka. Früher sind ganze Busse mit deutschen Touristen nach Seitsch gekommen, heute sind es nur noch einzelne, die sich hierher verirren. „Die alten Schlesier haben es versäumt, ihren Kindern die Liebe zur Heimat einzuimpfen“, so der Geistliche, dessen Mutter aus Wilna und dessen Vater aus Lemberg stammte, der sich jedoch selber als Niederschlesier bezeichnet.

Da die Polen am Sankt-Martins-Tag, dem 11. November, ihren Unabhängigkeitstag feiern und nach der Vertreibung der Deutschen das Martinsfest – abgesehen von der alten preußischen Posener Gegend – nicht mehr gepflegt wurde, hat es der Martinstag doppelt schwer, wieder Wurzeln zu schlagen. 

In Seitsch feiert man beides. „Um 16 Uhr wird in der Kirche die Ablassmesse gelesen, und danach gehen alle zusammen zum Denkmal der ‚Kämpfer für das Polentum‘, legen Blumen nieder und entzünden Kerzen“, so Pfarrer Sliwka. 

Andreas Grapatin und seine Mitstreiter sind stolz, dass in Seitsch wie früher am Martinstag ein Martinsumzug zum Martinsfeuer führt und dass am 11. November früh spezielle Martinshörnchen gebacken werden. „Unsere hiesige Backstube wird am Martinstag von Volontären übernommen, die 1500 schlesische Mohnhörnchen backen. Diese werden verkauft und der Erlös geht an bedürftige in der Gemeinde“, so der Dorfpfarrer. Auf die Frage nach dem Ursprung der Tradition entgegnet der Geistliche, diese hätte man vor Kurzem aus Westfalen, wo ein Dorfbewohner gearbeitet habe, mitgebracht. „Nun gut, damit können die Hiesigen wohl besser leben, als wenn man ihnen offenbaren würde, sie pflegen die Tradition der alten Seitscher am polnischen Nationalfeiertag“, so Grapatin.