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17.11.17 / Summa kohl laude / Oldenburg ist Niedersachsens »Kohltourhauptstadt« – Wo Kohlschwestern und Pinkelbrüder zu Hause sind

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 46-17 vom 17. November 2017

Summa kohl laude
Oldenburg ist Niedersachsens »Kohltourhauptstadt« – Wo Kohlschwestern und Pinkelbrüder zu Hause sind
Andreas Guballa

Für die einen ist es nur grüne Pampe und erst nach dem Genuss von Schnäpsen verdaulich. Für viele Norddeutsche hingegen ist ein deftiger Teller Grünkohl ein Nationalgericht. Vor allem im niedersächsischen Oldenburg lassen die Menschen nichts auf das Gemüse mit den gekräuselten Blättern kommen – es ist identitätsprägendes Kulturgut. 

Jetzt und im Winter ist Hochsaison für die „Oldenburger Palme“: In den Landgasthöfen der Region wird der Grünkohl dann kesselweise gekocht und verköstigt. Von 1149 Hektar in Deutschland liegen 450 Hektar Anbaufläche in Niedersachsen, insbesondere im Weser-Ems-Gebiet rund um Ol­denburg. Wer hier in der kalten Jahreszeit unterwegs ist, ge­winnt ohne weiteres den Eindruck, dass all der köstliche Kohl auch hier verzehrt wird. Denn wenn es im Herbst die ersten Fröste gibt, taut der Norddeutsche auf, packt seinen Bollerwagen und geht auf „Kohltour“. Dann wird keine ruhige Kugel geschoben, dann wird geboßelt. Andere messen sich im Eierlauf, im Besenwerfen oder in anderen Spielen. 

Am Ende aber führt der Weg immer ins Gasthaus und zum Grünkohl-Schmaus. Wer hierbei die größte Portion verdrückt, kann Kohlkönig werden – die meisten benötigen einen solchen Anreiz aber gar nicht. Zu lecker ist die norddeutsche Spezialität mit Pinkelwurst und Kasseler, besonders in fröhlicher Gesellschaft auf dem Lande nach einer ordentlichen „Kohltour“ durch Frost und frische Luft. 

Je weiter man nach Süden kommt, desto kleiner jedoch wird der Kult um den Kohl. In Westfalen schätzt man wohl das deftige Grünkohl-Gericht, Kohlfahrten hingegen gibt es kaum. Und noch ein Stück weiter südlich, in Hessen, kennt man weder Kohl noch Fahrt. „Wir haben uns vorgenommen, den Grünkohl-Genuss und die Kohlfahrt-Freuden auch jenseits des Grünkohl-Äquators bekannter und populärer zu machen“, so Silke Fennemann, Geschäftsführerin der Oldenburg Tourismus und Marketing (OTM). Schließlich sei es ungerecht, dass man zwar „im Norden Oktoberfest und Weißwurst kennt, während man in weiten Teilen Süddeutschlands von Kohlfahrt und Pinkelwurst noch nie etwas ge­hört hat. Wir haben daher Oldenburg als Kohltourhauptstadt ausgerufen und wollen Motor eines kulturellen Austauschs sein, der die kulinarischen und geselligen Freuden des Nordens auch im übrigen Land populärer machen.“

So können sich Touristen beim City-Boßeln sportlich und ur-norddeutsch nach einem kurzen Exkurs zu Historie und Spielregeln dieses Traditionssports mit ihren Mitstreitern messen. Verbunden mit einer Stadtführung führt die Boßeltour vorbei an sehenswerten Gebäuden und Denkmälern. Für interessierte Teilnehmer findet das City-Bo­ßeln während der Grünkohlzeit von November bis März jeden ersten Samstag im Monat statt.

Wer mehr über Grünkohl erfahren möchte, der sollte seinen Weg in den Botanischen Garten lenken. Denn dort wird Grünkohlforschung betrieben, und es gibt dort sogar ein Versuchsfeld der Universität Oldenburg. Hier wachsen 90 verschiedene Arten. Neben alten Landsorten aus Ostfriesland wachsen auf dem Versuchsfeld auch Sorten aus skandinavischen Ländern, Italien, Amerika, Australien, Russland und sogar Japan. Sie unterscheiden sich vor allem in Wuchs, Krausigkeit und Blattfarbe. Da wachsen kleine oder große Pflanzen mit zartgrüner oder dunkelroter Blätterfärbung, mit krausen Blättern wie beim Ru­cola oder mit großen und breiten Blättern ähnlich dem Kohlrabi. 

Als „Kohltourhauptstadt“ hat Oldenburg sogar eine eigene Grünkohlsorte – die „Brassica oleracea cv. Oldenburgia“, weiß Christoph Hahn, Doktorand an der Uni Oldenburg. Hahn ist ein richtiger Grünkohl-Experte: Er hat bereits seine Bachelor- und Masterarbeit über das krause Gewächs geschrieben. Für Letztere hat Hahn kürzlich den mit 1000 Euro dotierten Rudolf-Mansfeld-Preis erhalten. Nun untersucht er die Biodiversität 

– also die biologische Vielfalt – und Evolution dieser Pflanze auch in seiner Doktorarbeit. Die Faszination für Grünkohl kommt bei ihm nicht von ungefähr: Hahn ist in Oldenburg aufgewachsen. 

Weniger ernsthaft geht es in Deutschlands einziger Grünkohl-Akademie zu. Sie vermittelt nicht nur Wissen über die Region und ihre Eigenarten, sondern macht die norddeutsche Lebensart auf vielfältige Art erlebbar. „Mit der Grünkohl-Akademie wollen wir den Leuten den Kult um den Kohl mit viel Humor näherbringen und hoffen, so auch für Touristen noch attraktiver zu werden“, so OTM-Geschäftsführerin Fennemann. Zum Beispiel beim kostenlosen Online-Studium, das die Studenten mit dem „Diplom Summa kohl laude“ abschließen können. In diesem November startet das neue Semester: mit diversen „Kohloquien“ zu Themen wie „Kohltourgeschichte“, „Kohlinarik“, Plattdüütsch, Boßeln & Co oder „Musikohlisches“. Wer hier seine Prüfung erfolgreich besteht, bekommt natürlich auch ein Diplom. 

Mit solchen und anderen Aktionen soll dem altbackenen Hausmannskost-Image des Grünkohls entgegengewirkt werden. Denn international ist das gesunde Gemüse unter seinem englischen Namen „Kale“ zum Trendprodukt aufgestiegen. Insbesondere in den USA erobert das vitaminreiche Gemüse die Küchen. Nicht nur in klassischen Gerichten, sondern in Salat, mariniert oder mit Pasta erfreut sich Grünkohl dort großer Beliebtheit. Auch Grünkohl-Chips oder Grünkohl in Öl gebraten sind im Trend. In grünen Mixgetränken ist er ebenfalls eine be­liebte Zutat. Der Kochblog der „New York Times“ listet inzwischen mehr als 200 „Kale“-Gerichte, bei denen Grünkohl so­wohl bei kalten, als auch bei heißen Gerichten in Szene gesetzt wird. 

Auch die Oldenburger Gastronomie hat den Trend aufgegriffen. Das Café Klinge hat zum Beispiel eine Grünkohlpraline kreiert. Die Grundlage ist der italienische Grünkohl und natürlich feinste Schokolade. Außerdem im Angebot: Grünkohl-Pesto, Grünkohl-Tee und Grünkohl-Brot. 

Infos: Touristinfo Oldenburg, Schloßplatz 16, 26122 Oldenburg, Telefon (0441) 36161366, info@oldenburg-tourist.de





Grünkohl nach Oldenburger Art

Für das klassische Grünkohl-Rezept nach Oldenburger Art mit Speck und Pinkel für vier Personen benötigt man folgende Zutaten: 1,5 Kilogramm Grünkohl, zwei bis drei Esslöffel Schmalz, vier bis sechs Kochwürste, vier bis sechs Pinkelwürste, 250 Gramm geräucherter Speck, vier Scheiben Kasseler, Salz, gestoßener Pfeffer, vier Esslöffel gehackte Zwiebeln, eine Prise Zucker, drei Esslöffel Hafergrütze, Fleischbrühe.

Zubereitung: Die Grünkohlblätter gründlich waschen, abtropfen lassen und mit kochendem Wasser überbrühen, dann grob hacken. Zwiebeln in heißem Schmalz andünsten, schichtweise Grünkohl, Hafergrütze und Gewürze dazugeben. Wenn nötig, auch etwas Brühe.

Zehn Minuten kochen lassen, dann gut durchschütteln, Kasseler und Speck dazugeben und zugedeckt zwei bis drei Stunden sanft schmoren lassen. Die Würste erst in der letzten Stunde dazugeben. Zum Schluss nochmal abschmecken.Gub