Der Sprachforscher und Märchensammler Jacob Grimm stellte treffend fest: „Es liegt ein Widerspruch darin, dass während alle Menschen alt zu werden wünschen, sie doch nicht alt sein wollen.“ Das hat Gründe, wie der betagte Künstler Otto Dix seiner Enkelin unverblümt erklärte: „Alter ist scheiße! Wenn du so zusammenbröselst, ist das entwürdigend.“
Mit großer Lust an der Schilderung des erschreckenden eigenen Aussehens präsentierte sich der 1962 gestorbene Dix auf einer ein Jahr vor seinem Tod geschaffenen Lithografie. Aber solche Schreckensbilder sind in der Ausstellung über die „Kunst des Alters“ die Ausnahme. Die im Landesmuseum Hannover versammelten Werke aus vier Jahrtausenden feiern mehrheitlich die gereifte Schönheit greiser Menschen.
Der griechische Philosoph Plato sah in Greisen „Ebenbilder der Vernunft“. Deshalb zeigen antike Darstellungen Philosophen stets im fortgeschrittenen Alter, wie uns der ausgestellte Porträtkopf des Karneades (Marmor, 1. Jh. n. Chr.) veranschaulicht. Auch alte Frauen kommen in der griechischen Kunst vor. Aber sie sind selten. Wie vom Donner gerührt steht man vor der Ehrenstatue (Marmor, um 460/450 v. Chr.) einer altersschwachen Dame. Mit vorgebeugtem Oberkörper und weichen Knien scheint sie uns jeden Moment in die Arme zu kippen. Und doch flößt einem diese Greisin Respekt ein.
Die antiken Darstellungen von Philosophen standen in der mittelalterlichen Kunst Pate für die Bilder von Aposteln. Das veranschaulicht Pietro Peruginos Gemälde „Der heilige Petrus in einem Früchtekranz“ (1470er Jahre). Mit weißem Bart und Halbglatze, asketisch hagerem Körper und dem großen Himmelsschlüssel in den knochigen Fingern, repräsentiert er allerschönst die Würde und Weisheit des Alters.
Aber auch würdelose Greise stehen im Blickpunkt. Zum Beispiel auf Christian Richters Spottgemälde „Das ungleiche Paar“ (Ende 16. Jh.). Der lüsterne Alte hat seine junge Gespielin handgreiflich in Besitz genommen. Sie langt derweil nach seinem reich gefüllten Geldbeutel. Wir sehen schon: Fleischeslust und Geldgier kennen kein Alter.
Etliche Werke lassen einen so schnell nicht wieder los. Etwa das „Frau Luther“-Bildnis des Ostpreußen Lovis Corinth oder das Riesengemälde, auf dem Wolfgang Tiemann 1979 in fotorealistischer Manier die Großmutter seiner Ehefrau verewigt hat: Sophie Thielking. Hals und Kopf der alten Dame sind auf zwei Meter vergrößert. Die Falten um die zusammengekniffenen Lippen und Tränensäcke unter den gedankenverloren zur Seite gerichteten braunen Augen werden so zu Monumenten ihres hohen Lebensalters. Hinter ihr sitzt zum Zeichen der Endlichkeit des Lebens eine Fliege auf der Bretterwand. Sophie Thielking ist als unverwechselbare Persönlichkeit dargestellt. Aber ebenso als allgemeines Sinnbild eines langen Lebens.
Bis 18. Februar im Landesmuseum Hannover, Willy-Brandt-Allee 5, geöffnet Dienstag bis Freitag 10 bis 17 Uhr, Sonnabend, Sonntag 10 bis 18 Uhr, Eintritt: 10 Euro. Telefon (0511) 9807686, Internet: www.landesmuseum-hannover.de. Der Katalog aus dem Sandstein Verlag kostet im Museum 29,90 Euro, im Buchhandel 34 Euro.