25.04.2024

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24.11.17 / Lewe Landslied, liebe Familienfreunde,

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 47-17 vom 24. November 2017

Lewe Landslied, liebe Familienfreunde,

„Rechtzeitig zum Totensonntag möchte ich wieder ein Grabfoto von einem Friedhof zwischen Heydekrug und Memel vorlegen“ – so meldet sich unser Familienfreund Bernd Dauskardt aus Hollenstedt und dockt damit an seine inzwischen schon zur Tradition gewordenen Fotoreihe an, die auch wir mit der von ihm übersandten Aufnahme weiterführen wollen. Zuerst aber freuen wir uns, dass er, der eifrige Mitgestalter der Ostpreußischen Familie, nach langer Krankheit wieder zurück in seinem Heidedomizil ist und die Verbindung zu seinen Freunden und Landsleuten im Memelland, die alle über 80 Jahre alt sind und zur sogenannten Erlebnisgeneration gehören, weiter pflegen kann. Auch während seines Klinik- und Reha-Aufenthaltes waren die Kontakte nicht abgebrochen. „Solange ich lebe, werde ich meine alten Freunde nicht im Stich lassen“, das hat er sich vorgenommen. Es ist für ihn zu einer selbstgewählten Lebensaufgabe geworden, den Spuren seiner Ahnen nachzugehen, die ursprünglich ihre Wiege in der Niederung hatten und dann Mitte des 19. Jahrhunderts über den Rußstrom in das Memelland wechselten, das allerdings damals noch nicht so hieß. Was aus alten Dokumenten und Berichten ersichtlich wurde, wollte Bernd Dauskardt erlebbar machen, und so ist er inzwischen zu einem Memelland-Kenner geworden, dem auch die einsamsten, abgelegensten Winkel vertraut sind – unsere Ostpreußische Familie hat von seinen Forschungsergebnissen schon seit Jahren profitiert. Eine besondere Anziehung üben auf ihn alte Friedhöfe aus, denn hier wird auf den noch erhaltenen gebliebenen Grabsteinen und Kreuzen die Vergangenheit so transparent, als sei sie noch nicht vergangen. Ein besonderes Erlebnis hatte Bernd Dauskardt auf dem Kirchhof in Plaschken, als er zwei Grabstätten entdeckte, deren Gedenksteine seinen Familiennamen trugen – und tatsächlich handelt es sich bei beiden Gräbern um Angehörige seiner Familie: Hier wurden seine Urgroßmutter im Jahre 1909 sowie ein Bruder seines Urgroßvaters, verstorben 1871, zur letzten Ruhe gebettet. Beide Gräber werden heute von einer Litauerin liebevoll gepflegt. Nur ein Beispiel für die erhalten gebliebene deutsche Friedhofkultur im Memelland.

Und heute also ein neues Bild, das für alle Gräber in der Heimat stehen soll, die noch erkennbar sind. Bernd Dauskardt hat es auf einem Friedhof zwischen Heydekrug und Memel aufgenommen. Jemand hat ein paar Blumen um den Grabstein gelegt, es sind wohl gelbe Rosen. Noch erkennbar ist die Inschrift auf dem Grabstein: „Hier ruht in Gott mein lieber Mann Georg Buttkus“. Ein früher Tod, denn der 1895 Geborene ist nur 47 Jahre alt geworden, er verstarb während des Zweiten Weltkrieges. Er muss sehr gläubig gewesen sein, denn da stehen die noch kaum mehr lesbaren Worte: „Christus ist mein Leben“. „Solches sucht man heute in Deutschland wohl vergebens“, meint dazu Bernd Dauskardt, dem wir für die Aufnahme danken. Und natürlich wünschen wir ihm weiter eine erfolgreiche Rehabilitation, dass er bald wieder in das Memelland fahren kann, denn das ist für ihn noch immer ein besonderes Erlebnis: Den Alten, dort noch fest Verwurzelten, zuhören zu können, wenn sie von der deutschen Zeit erzählen!

Auch für Frau Karin Matray sind alte Grabsteine und Kreuze ein sichtbares Zeugnis der deutschen Vergangenheit – aber ihr Forschungsgebiet ist Masuren und da vor allem die Gegend um Arys, denn dort liegt das Dorf Gortzen, das für sie Heimat bedeutet. Und die ist weit entfernt von ihrem heutigen Wohnsitz, denn der liegt in Pouilly le Mondial in Frankreich. Aber Länder und Grenzen sind für sie kein Grund, nicht einmal im Jahr nach Masuren zu reisen und in die Welt ihrer Kinderjahre heimzukehren. Und dort ist sie nicht allein: Das deutsche Försterkind aus dem Forsthaus Wolfsnest hat in der heutigen Bewohnerin, der Försterfrau Milka Jung, eine ideale Partnerin für ihre Heimatsuche gefunden, denn sie arbeiten auf der gleichen Wellenlänge, wie sie schon bei der ersten Begegnung feststellen konnten. Trotz der unterschiedlichen Herkunft und Lebensweise erforschen beide die Vergangenheit von Gortzen und Wolfsheide und sind glücklich, wenn sie wieder ein Relikt aus der alten Zeit entdecken, das die polnische Försterfrau in ihre Heimatkunde-Sammlung einbringt, denn diese soll im alten noch gut erhaltenen „Wolfsnest“ bleiben. Und weiter wachsen, was inzwischen auch mit Unterstützung der Ostpreußischen Familie geschieht, nachdem wir in Folge 16 über diese selbstgewählte Aufgabe der beiden Frauen berichteten. Wir hatten dazu ein Foto gebracht, das einige männliche Bewohner von Gortzen zeigt und etwa in den frühen 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts aufgenommen wurde. Einige Namen waren bekannt, bei anderen fehlte er, aber inzwischen hat Frau Matray durch die Veröffentlichung einige Auskünfte aus unserem Leserkreis erhalten, auch darüber haben wir kurz berichtet. Für die Heimatsammlung konnte sie allerhand beisteuern, was trotz Flucht und Kriegswirren gerettet wurde und sich noch immer im Familienbesitz befand, darunter einige Aufnahmen aus dem Forsthaus Wolfsnest, in dem Karin 1940 geboren wurde. Sie selber hat natürlich nur wenige Erinnerungen an ihre Kinderzeit in den masurischen Wäldern, aber die versucht sie durch ihre nun schon zehn Jahre lang dauernden Besuche aufzufrischen. Genauso lange währt bereits die Freundschaft zwischen ihr und Milka Jung. Gemeinsam versuchen sie die Geschichte versunkener Dörfer aufzuspüren und zu dokumentieren, und das nicht nur in ihrer Sammlung. Denn beide Frauen sind jetzt gemeinsam an die Öffentlichkeit getreten und haben die bisherigen Ergebnisse ihrer heimatkundlichen Forschungen vorgetragen. Davon berichtet nun Karin Matray für unsere Ostpreußische Familie: 

„Frau Milka Jung hat jetzt mit viel Energie und Liebe im Museum in Arys eine Ausstellung zu dem Thema gemacht: Verschwindende und verschwundene Dörfer – Gortzen (Gorzekaty) und Wolfsheide (Oszczywilki). Rundherum im ganzen Saal waren auf Tafeln Fotos mit erklärenden Texten über diese Dörfer und das Forsthaus Wolfsnest zu sehen. Es wurden alte Aufnahmen von Familien, Hochzeiten, Schulen, spielenden Kindern, vom Dorfleben wie von der Tierwelt gezeigt, und es fehlten auch nicht die Fotos von Friedhöfen. Ich bin zu dieser Ausstellung nach Masuren geflogen und wohnte ihr von Beginn an bei. Nachdem Milka die Ausstellung eröffnet hatte, bat sie mich, auch einige Worte zu sagen. Ich sprach davon, dass ich versuche, das zu sehen, was nicht mehr zu sehen ist und anhand von Dokumenten, Fotos und mündlichen Überlieferungen dieses wunderschöne Land, dieses Fleckchen Erde in Masuren, wieder lebendig zu machen. Hier lebten Menschen, die auch glücklich waren und die wir nicht vergessen sollten. Ich komme jedes Jahr in meine Kinderheimat zurück und schöpfe daraus meine Energie. Ich denke, dass Milka und ich den Gästen etwas von unserer immer sichtbarer werdenden Heimatkunde und unserer gemeinsamen Liebe zu diesem Flecken Erde übermitteln konnten.“

Das dürfte den beiden Frauen aus dem „Wolfsnest“ wohl gelungen sein. Erfreulich ist, dass auch andere Bewohner zu der Gestaltung der Ausstellung beigetragen haben wie der 93-jährige Ulrich Czicky aus Wolfsheide, der sogar noch ein Kinderbild besitzt, auf dem er mit anderen Kindern auf einer Bank sitzend die nackten Beine baumeln lässt. Das sind schon kleine Schätze, die von den beiden Frauen zusammengetragen wurden, und es werden nicht die letzten sein. Wir wünschen ihnen viel Erfolg beim weiteren Auffinden von Spuren aus der Vergangenheit und werden mit Sicherheit wieder von ihrer gemeinsamen Heimatarbeit hören. (Karin Matray, St. Cathrine, 390 Chemin de la Plaine, 69400 Pouilly le Monial, Frankreich.)

Aber nun wollen wir uns heiteren Dingen zuwenden, denn bald steht der 1. Advent vor der Türe, und da heißt es „O du fröhliche …“ – und so ging es auch im alten Königsberg zu, der „liebsten, schönsten Stadt auf Erden“, wie es in einem Poem heißt, das uns Frau Ute Eichler aus Hamburg übersandte. Sie hatte es als Einlage in einem der alten Ostpreußenbücher entdeckt, mit dem sie Freunde aus München überraschten. Und dort hatte es wohl schon lange gelegen, denn die drei eng beschriebenen, gefalteten Schreibmaschinenseiten sahen bereits sehr mitgenommen aus, als hätten sie für viele Vorträge gedient. Dazu wären sie ja auch großartig geeignet gewesen, denn schon beim Lesen musste Frau Eichler herzlich lachen, weil der Verfasser einen fröhlichen Kneipenbummel durch das alte Königsberg beschrieb und aufgrund seiner ausgeprägten Lokalkenntnisse verriet, dass er ihn selber oft und gern unternommen hatte. Die „liebste, schönste Stadt auf Erden“ weist nämlich in dem ellenlangen, gekonnt gereimten Poem fast 50 bekannte Lokalitäten auf, die anderen werden namenlos und pauschal abgehandelt: „Krüge gibt es ohne Zahl, auch mit Kegelbahn und Saal, alle Naslang ein Lokal! Wer die Wahl hat, hat die Qual!“ Natürlich ergeben sich da für einen Nichtostpreußen einige Fragen, vor allem, was die Getränkekarte betrifft, und das war auch für Ute Eichler der eigentliche Grund, sich an mich als alte Königsbergerin zu wenden – allerdings konnte ich ihr da aus eigener Erfahrung nicht helfen, denn die meisten Gaststätten kannte ich nicht einmal mit Namen. Wie das „Strampelstübchen“, dass der Verfasser so besingt: „Fritz Purblies mit seinem Liebchen sitzt so gern im Strampelstübchen!“ Was war das für eine Lokalität, und wo lag sie? Leichter zu beantworten ist da schon die Frage von Frau Eichler, was für ein Getränk der „Koks“ war. Nun, nicht gerade ein edles, und es war auch nur was für hartgesottene Kehlen, denn wer kokste, nahm einen Schnaps zu sich, der aus Rum, Würfelzucker – und zwei Kaffeebohnen bestand! Die dritte Frage kann wohl jeder Königsberger beantworten: „Wofür steht die Abkürzung KCE? Der Verfasser gibt in seinem Poem schon selber die Antwort, denn er hat den alten Werbespruch der Königsberg–Cranzer Eisenbahngesellschaft übernommen: „Zu den Möwen an die See mit Samlandbahn und K.C.E.!“ Bleibt noch zum Schluss die Frage nach der Vita des Verfassers Eberhard von Flottwell, denn Frau Eichler möchte gerne etwas über ihn und die Entstehung des Poems mit dem Titel „So war’ einmal in Königsberg“ wissen. Ich übrigens auch.

Eure Ruth Geede