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24.11.17 / Rettung vertagt / Das nächste Erdbeben kommt bestimmt – Gefährdete Kulturstätten in Italien nur ungenügend geschützt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 47-17 vom 24. November 2017

Rettung vertagt
Das nächste Erdbeben kommt bestimmt – Gefährdete Kulturstätten in Italien nur ungenügend geschützt
Wolfgang Kaufmann

In den italienischen Regionen Latium, Umbrien, Abruzzen, Mo­lise und Marken kommt es immer wieder zu Erdbeben, welche auch für Schäden an den dortigen Kulturgütern sorgen. Das liegt unter anderem an der Unfähigkeit der Regierung in Rom, wirksame Präventivmaßnahmen zu ergreifen.

Mittelitalien bricht auseinander. Die Ursache hierfür sind geologische Verwerfungen in der Bergkette des Apennin, welche entstehen, weil das Kontinentalplattenfragment unter dem Tyrrhenischen Meer von Westen her am italienischen Stiefel zieht. Dadurch wird das Gebirge pro Jahr um einige Millimeter breiter, was für enorme Spannungen in der Erdkruste sorgt, die sich dann in Form von Erdbeben entladen, bei denen Energien frei werden vergleichbar der Explosion von einigen Millionen Tonnen TNT-Sprengstoff. Anschließend entstehen an den Enden der seismischen Bruchlinien neue Gefahrenherde, weshalb man hier von einem tektonischen Dominoeffekt sprechen kann. 

So wanderten die Erdbeben im Apennin seit der Jahrtausendwende nach klar erkennbaren Mustern: Zu Beginn wurden am 31. Oktober 2002 sowie am 6. Ap­ril 2009 die historischen Ortschaften San Giuliano di Puglia und L’Aquila erschüttert, dann traf es am 24. August 2016 das Gebiet um Accumoli, Arquata del Tronto und Amatrice und hernach war am 26. und 30. Oktober des gleichen Jahres der Raum zwischen Norcia, Castellucio, Castelsantangelo sul Nera und Ussita an der Reihe – das heißt, die Epizentren verlagerten sich Stück für Stück nach Nordnordwesten.

Durch die Bebenserie kamen mehr als 600 Menschen ums Le­ben. Außerdem erlitten viele wertvolle historische Gebäude Schäden. Große Zerstörungen gab es unter anderem am berühmten Palazzo Ardinghelli und dem Kirchenkomplex San Gregorio Magno in L’Aquila. Darüber hinaus stürzten dann 2016 die mittelalterlichen Stadtkerne von Amatrice, Norcia und Castellucio ein – einschließlich mehrerer alter Kirchen wie der 1389 fertiggestellten Basilika, welche an den Begründer des abendländischen Mönchtums Be­nedikt von Nursia erinnerte. Ebenso wurden das Archäologische Museum in Ascoli Piceno und der Dom von Urbino in Mitleidenschaft gezogen. Ja, die Er­schütterungen erreichten sogar noch das über 100 Kilometer entfernte Rom, wo sich im Ge­mäuer der beiden Barock-Kirchen von Sant’Eustachio und Sant’Ivo alla Sapienza Risse bildeten.

Insgesamt verursachten alleine schon die Beben von 2016 Schäden an 5000 kulturgeschichtlich wertvollen Objekten. Nichtsdestotrotz versprach der damalige italienische Ministerpräsident Matteo Renzi, dass der Staat für die Wiederherstellung aller historischen Bauten sorgen werde 

– und zwar nach dem Prinzip „Come era e dove era“, also „Wie es war, und wo es war“. Dabei kann sich Italien die sieben Milliarden Euro, die das Ganze vermutlich kosten würde, überhaupt nicht leisten, was unter anderem an den erneut explodierenden Kosten für die Unterbringung der zahlreichen Asylsucher liegt, die seit Schließung der Balkan-Route übers Mittelmeer kommen.

Zugleich stellt sich aber auch die Frage nach dem Sinn eines Wiederaufbaus in üblicher Form. Denn noch ist kein Ende der Erdbebenserie in Sicht – so der Präsident des Nationalen Instituts für Geophysik und Vulkanologie in Rom, Carlo Doglioni. Deshalb plädieren er und andere Fachleute dafür, die finanziellen Mittel 

– sofern überhaupt vorhanden – lieber für die Prävention einzusetzen. Beispielsweise empfahl Thek­la Schulz-Brize, Professorin für Historische Bauforschung und Denkmalpflege an der Technischen Universität Berlin, bereits vorhandene Setzrisse und andere kleinere Schäden mit statischen Auswirkungen auf die Kulturdenkmäler unbedingt noch vor dem nächsten Erdbeben zu beseitigen. Dies wiederum ist oftmals Sache des Staates, weil dem nicht nur Museen und ähnliche Gebäude, sondern auch um die 1000 Sakralbauten in Mittel- und Süditalien gehören, die im 19. Jahrhundert beschlagnahmt wurden, als der ausgedehnte päpstliche Kirchenstaat an das neue Königreich Italien fiel. Allerdings liegt der Etat des Ministeriums für Kulturgüter, kulturelle Aktivitäten und Tourismus lediglich bei ei­nem einzigen Prozent der Staatsausgaben.

Insgesamt wurden bisher weniger als ein Drittel der unbedingt erhaltenswerten Zeugnisse der Geschichte erdbebensicher ge­macht. So verfügt keines der historisch wertvollen Gebäude in der „ewigen Stadt“ Rom über irgendwelche technischen Strukturen zur Abfederung der Schwingungen während eines Erdbebens. Das Gleiche gilt für Florenz: Dort könnte sogar Mi­chelangelos einzigartige David-Statue in der Galleria dell’Accademia von ihrem Sockel stürzen.

Zugleich ist freilich aber auch kein Verlass auf das Gütesiegel „Erdbebengeschützt“. Das zeigt das Beispiel der Schule von Amatrice, welche seit der Sanierung im Jahre 2012 als sicher galt und dann doch beim Beben vom Ok­tober 2016 einstürzte. Verantwortlich hierfür sind der verbreitete Pfusch am Bau aus mafiöser Gewinnsucht sowie die unsachgemäße Ausweisung von Risikogebieten, bei der zu wenig auf die konkreten geologischen Gegebenheiten vor Ort geachtet wird. Immerhin zeitigen Erdstöße in weicherem Boden deutlich verheerendere Auswirkungen, als wenn der Untergrund aus Fels besteht. Das beweist nicht zuletzt das charakteristische Schadensbild in der Ortschaft Accumoli.

Präventionsmaßnahmen, die ihren Namen wirklich verdienen, müssten besonders in der Mitte Umbriens auf der Agenda stehen, weil dort das nächste Be­ben stattfinden könnte, wenn sich die Nordwestverlagerung der Epizentren im Apennin tatsächlich nach dem bisherigen Muster fortsetzen sollte. Dann laufen historische Stätten wie der Palazzo dei Priori in Perugia mit der umbrischen Nationalgalerie und die seit 2000 zum UNESCO-Welterbe zählende franziskanische Pilgerstätten in Assisi große Gefahr, zerstört zu werden.