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01.12.17 / Leben mit dem zweiten Herz / Christiaan Barnard wagte vor 50 Jahren als Erster das »Fundament des Lebens« zu verpflanzen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 48-17 vom 01. Dezember 2017

Leben mit dem zweiten Herz
Christiaan Barnard wagte vor 50 Jahren als Erster das »Fundament des Lebens« zu verpflanzen
Klaus J. Groth

Am 3. Dezember vor 50 Jahren gelang dem südafrikanischen Arzt Christaan Barnard in Kapstadt die erste Herztransplantation. Diese Verpflanzung des „Fundamentes des Lebens“, um mit Hildegard von Bingen zu sprechen, gilt als medizinische Pioniertat des 20. Jahrhunderts.

Es war der Tag, auf den Christiaan Barnard gewartet hatte. Nach einem Verkehrsunfall wurde die 25-jährige Denise Darvall mit schwersten Kopfverletzungen in das Groote Schuur Hospital eingeliefert. Die Ärzte stellten den Hirntod fest, aber das Herz der jungen Frau schlug weiter, gleichmäßig und kräftig wie vor dem Unglück. Nicht weit von ihr entfernt lag Louis Washkansky nach Luft ringend in seinem Bett. Das Herz des 54-jährigen Gemüsehändlers war stark geschädigt. Jeder Tag konnte sein letzter sein.

Barnard sah nur eine Chance, seinem Patienten das Leben zu retten: Mit der Transplantation eines Spenderherzens, dem Herzen von De­nise Darvall. Es war auch die Chance für den ehrgeizigen Arzt, eine Pioniertat in der Herzchirurgie zu vollbringen. Nierentransplantationen waren fast schon Routine, aber den Austausch eines Herzens hatte noch niemand gewagt. 

Barnard wusste, dass sich auch Ärzte in den USA nach erfolgreichen Tierexperimenten auf die Transplantation am Menschen vorbereiteten. Möglicherweise fehlte ihnen nur noch ein geeigneter Spender. Barnard wollte ihnen zuvorkommen. Die Blutgruppe der hirntoten Frau passte, Barnard hatte die Einwilligung ihres Vaters, ebenso seines Patienten, diese Konstellation würde so bald nicht wieder kommen. Ein 

31-köpfiges Ärzteteam unter seiner Leitung machte sich am 3. Dezember 1967, einem heißen Sommertag, bereit. 

Barnard wurde am 8. November 1922 in Beaufort West als Sohn eines Predigers geboren. Sein Medizinstudium in Kapstadt verlief zunächst entmutigend. Barnard befiel im Seziersaal große Übelkeit. Bei seiner ersten Bauchoperation verlor er das Bewusstsein, als Blut aus dem Bauchschnitt sickerte. Er dachte daran aufzugeben, aber sein Vater überzeugte ihn, auf die Hilfe Gottes zu vertrauen und den eingeschlagenen Weg fortzusetzen. 

Nach Abschluss des Studiums versuchte Barnard vergeblich, eine Assistentenstelle im Groote Schuur Hospital zu bekommen das seinen Namen dem Gutshof „Groote Schuur“ verdankt, den niederländische Siedler auf dem Gelände anlegten, als Kapstadt im 17. Jahrhundert gegründet wurde. Seine Bewerbung um ein Stipendium der Königlich Chirurgischen Gesellschaft in London blieb ohne Erfolg. Um Geld zu verdienen – er war inzwischen Vater einer Tochter – arbeitete er als Landarzt und danach in der Infektionsabteilung des Städtischen Krankenhauses in Kapstadt. Das war es nicht, was er wollte. 

Das Angebot, sich an der Universitätsklinik von Minnesota zum Facharzt für Herzchirurgie ausbilden zu lassen, brachte die Wende. In den USA lernte der junge Arzt die Herz-Lungen-Maschine kennen und mit ihren hochkomplizierten Funktionen umzugehen. Das Gerät übernimmt für eine gewisse Zeit außerhalb des Körpers die Pumpfunktion des Herzens und hält den Blutkreislauf aufrecht. Der Amerikaner John Gibbon setzte die Herz-Lungen-Maschine 1953 zum ersten Mal erfolgreich bei einer Herzoperation ein. Immer wieder diskutierte Barnard mit seinen amerikanischen Kollegen die Möglichkeit einer Herztransplantation. Technisch war sie durch die Herz-Lungen-Maschine machbar, darin waren sich alle einig. Die Frage stand im Raum: Wer würde es als Erster wagen? Jeder versuchte, im Gesicht der anderen zu lesen.

Als Barnard nach Kapstadt zurückkehrte, brachte er eine Herz-Lungen-Maschine mit. Am Groote Schuur Hospital machte er schnell Karriere. Seine Vorbereitungen auf die erste Herztransplantation der Welt stießen bei vielen Kollegen auf Skepsis, auch auf strikte Ablehnung. Ganz abgesehen von dem hohen Risiko galt das Herz als Sitz der Seele und als unantastbar. Barnard hatte diese Skrupel nicht. Die Transplantation dauerte fünf Stunden und verlief ohne Komplikationen. Erst holprig, dann regelmäßig und kraftvoll begann das Herz der Denise Darvall im Brustkorb des Louis Washkansky zu schlagen.

Die Nachricht von der ersten erfolgreichen Herztransplantation ging um die Welt. Die Medien feierten Barnard als Superstar. Sein Patient saß im Bett und gab bestens gelaunt Interviews. In der zweiten Woche nach der Operation bekam er Fieber und verfiel zusehends. Das Personal des Krankenhauses begann zu flüstern und sich Blicke zuzuwerfen, wenn Barnard bleich und mit versteinerter Miene auf den Fluren vorbeieilte. Nach einer Transplantation versucht der Körper mit aller Macht, das fremde Organ abzustoßen. Starke Medikamente schalten das Immunsystem aus und verhindern diesen Prozess. Der Patient ist wehrlos allen eindringenden Bakterien und Viren ausgesetzt. Die kleinste Erkältung kann sein Ende bedeuten. So war es bei Washkansky. Er starb am 18. Tag an einer Lungenentzündung. Das fremde Herz in ihm tat bis zum letzten Moment seinen Dienst.

Barnard, der charismatische Chirurg mit dem jungenhaften Gesicht, blickte von den Titelseiten aller internationalen Gazetten. Dass Washkansky die Transplantation nur kurz überlebte, wurde kaum berichtet. Der nächste Patient Barnards mit einem Spenderherzen, Philip Blaiberg, schaffte schon 18 Monate. Das Groote Schuur Hospital konnte sich nicht retten vor Anfragen herzkranker Menschen, die sich von dem weltberühmten Professor operieren lassen wollten. Privatpatienten, Bücher und Vortragsreisen machten ihn zu einem reichen Mann. Seine medizinische Leistung blieb unumstritten. Aber sein Jetsetleben mit schicken Partys und jungen Models trug ihm viel Kritik ein. Es passte nicht zum Bild des selbstlosen Helfers der Menschheit. Zahllose Affären, unter anderem mit Gina Lollobrigida, füllten die Ausgaben der bunten Blätter. Seine drei Ehen wurden geschieden. Anfang der 1980er Jahre erkrankte er an Arthritis und konnte nicht mehr operieren. Am 2. September 2001 starb er im Alter von 78 Jahren an einem Asthmaanfall in einem Hotel auf Zypern. 

Herztransplantationen werden heute mit guten Erfolgsaussichten durchgeführt. Allein in Deutschland sind es etwa 300 pro Jahr. Die Überlebenszeit der Patienten beträgt im Schnitt zehn Jahre.