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01.12.17 / Fünf Millionen Marodeure / Verwüstete Äcker, Verkehrsunfälle, Angriffe auf Menschen – die Wildschwein-Plage

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 48-17 vom 01. Dezember 2017

Fünf Millionen Marodeure
Verwüstete Äcker, Verkehrsunfälle, Angriffe auf Menschen – die Wildschwein-Plage
Dagmar Jestrzemski

Zumindest die Jäger nehmen es mit Humor: „Wir Wildschweine bedanken uns herzlich für Nahrung und Unterkunft“ lautet eine sarkastische Überschrift auf der Internetseite der Kreisjägerschaft Hagen. Die Borstentiere sind inzwischen in vielen Gegenden zur Plage geworden und halten Jäger, Polizisten und andere Verantwortliche auf Trab. Ihre starke Vermehrung ist ein unerwünschter Nebeneffekt der industriellen Landwirtschaft. Vor allem der Anbau von Mais als nachwachsender Rohstoff für Biogasanalagen verschafft ihnen sozusagen „saugute“ Lebensbedingungen.

Die Folgen lassen sich längst nicht immer mit Humor nehmen. Von 2011 bis 2016 erhöhte sich die Zahl der gemeldeten Verkehrsunfälle mit Wildschweinen in Deutschland von 21500 auf 27490. Zwar sorgt der Wildwechsel von Rehwild für weitaus mehr Kollisionen, doch diese Zahl stagniert.

Der Schaden, den das marodierende Schwarzwild in Feld, Wald und Gärten anrichtet, ist enorm. Auch Angriffe gegen Menschen häufen sich und finden sogar in vermeintlich sicherer Umgebung statt. Durch die Innenstadt von Heide in Schleswig-Holstein stürmten Anfang November zwei in Panik geratene Schweine, drangen in eine Bäckerei und in eine Sparkassenfiliale ein und verletzten vier Personen. Im Hamburger Stadtteil Duvenstedt verwüstete eine Rotte von 20 Tieren zahlreiche Gärten. Neun wurden von den herbei gerufenen Jägern erlegt, die anderen entkamen. Was sich 2016 an einem Ostseestrand bei Danzig zugetragen hat, wurde in einem Video festgehalten. Ein in Ufernähe schwimmendes Wildschwein trabt aus dem Meer, rast über den Strand und durchbricht den aufgespannten Windschutz von Urlaubern, welche aufgeschreckt in alle Richtungen flüchten. Mehrere Rotten tummelten sich in den vergangenen Jahren auch auf der Strandpromenade der Usedomer Kaiserbäder und zerstörten Rasenflächen. Offenbar handelte es sich um Swinemünder „Stadtschweine“, die ihre Scheu vor dem Menschen verloren haben. Jenseits der Grenze gelten sie als Touristenattraktion und werden sogar gefüttert.

Berühmt-berüchtigt sind die Berliner Wildschweine. Schätzungsweise 10000 Tiere durchstreifen nicht nur die bewaldeten Randzonen, sondern auch innerstädtische Parks und Gärten, wo die Bachen sogar Frischlinge zur Welt bringen. 

Die Jäger halten dagegen und schießen scharf. 2016 brachten sie 610631 Wildschweine zur Strecke. Zum Vergleich: 1936/37 betrug die Strecke im gesamten Reichsgebiet (!) gerade einmal 36642 Tiere. – Dennoch glauben viele Experten, dass immer noch viel zu wenige Tiere als Wildbret enden. Möglicherweise wird nicht einmal die jährliche Zuwachsrate abgeschöpft. Zwar weiß niemand genau, wie viele Exemplare von Sus scrofa, so der lateinische Name der Vierbeiner aus der Ordnung der Paarhufer, mittlerweile in Deutschland leben. Es könnten aber bis zu fünf Millionen sein. 

Die riesigen Monokulturen mit den Energiepflanzen Mais und Raps verschaffen den Borstentieren ganzjährig ein attraktives Nahrungsangebot und bieten ideale Rückzugsräume. Eine Bache, also ein geschlechtsreifes weibliches Wildschwein, wirft unter solchen Bedingungen zweimal im Jahr bis zu zehn Frischlinge. Jungtiere werden oft schon im Alter von knapp einem Jahr trächtig. 

 Solange der 2,50 Meter hoch wachsende Mais auf den Feldern steht, bleiben die Wildschweine verborgen in ihrem Schlaraffenland. Mitunter flieht eine Rotte von 20 Tieren während der Ernte erst dann aus dem letzten Maisstreifen, wenn ihnen der Häcksler schon auf den Fersen ist. Sogar Waidmänner, die in den Bejagungsschneisen auf der Lauer liegen, können dann in Gefahr geraten. In den Herbstmonaten, wenn die Kartoffel- und Maisäcker abgeerntet sind, begeben sich die Allesfresser bei Anbruch der Dämmerung anderweitig auf die Suche nach eiweißreicher Nahrung. Auf Wiesen und Feldern pflügen die Schweine mit ihren kräftigen Schnauzen selbst harten und steinigen Boden um. Sie fressen jetzt vorwiegend Schnakenlarven, Engerlinge, Mäusenester, Bucheckern, Eicheln und liegengelassene Feldfrüchte. Im Frühjahr verschlingen sie auch Junghasen, Eier und Junge von bodenbrütenden Vögeln. Grünflächen gleichen nach einer nächtlichen Fressorgie einer Kraterlandschaft, und das Winterfutter für die Kühe wird knapp. An Duftstoffe als Vergrämungsmittel gewöhnen sich Wildschweine meist sehr schnell. Selbst Elektrozäune werden niedergewalzt. 

Zufällige Begegnungen zwischen Mensch und Schwarzkittel eskalieren zum Glück selten. In diesem Fall sollte man sich zügig entfernen, zumal wenn es sich um Frischlinge handelt. Dann ist das Muttertier auch nicht fern und könnte im nächsten Moment zum Angriff übergehen.