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01.12.17 / Finsterwalder Gesang / Der Elbe-Elster-Kreis in der Lausitz bietet alles, was das Herz begehrt – »Kanzlerblick« auf dem »liegenden Eiffelturm« inklusive

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 48-17 vom 01. Dezember 2017

Finsterwalder Gesang
Der Elbe-Elster-Kreis in der Lausitz bietet alles, was das Herz begehrt – »Kanzlerblick« auf dem »liegenden Eiffelturm« inklusive
Harald Tews

Ferien in der Lausitz? Warum nicht. Außer auf viel Natur und Kultur trifft man hier auf eine ganze Sängerstadt sowie auf eine weitere sehr spezielle Touristenattraktion.

Der Besucherführer Marc warnt: „Man sollte schwindelfrei sein.“ Schließlich gilt es, eine leicht schwankende „Brücke“ zu betreten, bei der man sich an ihrer höchsten Stelle ganz am Ende 74 Meter über dem Abgrund befindet. Dabei überspannt dieses Bauwerk weder einen Fluss noch ein Tal. Unter ihr liegt nur ebene Erde. 

Früher war hier ein Tagebauloch, das inzwischen zugeschüttet ist. Von der Förderbrücke, die hier südlich von Finsterwalde in der Lausitz wie ein umgestürzter Gerüstturm hingestreckt liegt, blickten die Arbeiter früher einmal in einen noch tieferen Abgrund. Jetzt ist sie stillgelegt, aber dennoch nicht ausgemustert. Als „liegender Eiffelturm“ ist dieses Industriemonster zu einer ähnlichen Touristenattraktion geworden wie sein aufrechtes Pendant in Paris.

„Besucherbergwerk F60“ nennt sich dieses Industriemuseum in der Braunkohleregion, in dem sich an diesem Morgen bereits viele Gäste im ehemaligen Aufenthaltsraum der Tagebauarbeiter drängeln. Sie warten auf eine Gruppenführung für dieses gigantische Bauwerk, das einen halben Kilometer lang ist und das den „nur“ 320 Meter langen Pariser Eiffelturm längenmäßig deutlich überlegen ist. 

Nachdem jeder einen Bauarbeiterhelm erhalten hat, führt Marc seine Gruppe hinauf auf die Förderanlage. Auch wenn diese Förderbrücke waagerecht ausgestreckt ist, so müssen doch einige Stufen erklommen und einige Höhenmeter überwunden werden. Es handelt sich um eine Brücke im wahrsten Sinne, wie Marc erklärt. Sie überspannt auf rund 300 Metern das Kohle-Abraumgebiet. Die „Brückenpfeiler“ auf beiden Seiten stehen mobil auf Bahngleisen. Mächtige Radsätze mit insgesamt 760 Rädern bewegten die 11000 Tonnen Stahl früher Zentimeter für Zentimeter weiter zum nächsten Abraumort.

Jetzt bewegt sich nichts mehr. Denn die F60 hatte eigentlich ein tragisches Schicksal, das dann aber doch zu einem Happy End führte. Anders als viele ähnliche Förderanlagen in der Lausitzer Braunkohleregion, die zum Ärger der Grünen seit Langem im Einsatz sind, war die F60 bei Finsterwalde nur 

16 Monate in Betrieb. Sie war praktisch ein Opfer der politischen Wende von 1989. In dem Jahr, also noch zu DDR-Zeiten, begann ihre zweijährige Bauzeit. Im Frühjahr 1991 nahm sie den Betrieb auf, wobei sie über mächtige Förder­bänder pro Stunde 29000 Kubikmeter Abraum von der Kohle wegbewegte. Es handelte sich dabei quasi um den „Abfall“ aus Sand und Stein, welche die Förderbagger an den Flözen auf die F60 schaufelten. Dieser Abraum wurde am Ende der Brücke aus großer Höhe heruntergeschüttet. So entstanden gewaltige Ab­raumhalden, mit denen man später das sogenannte Restloch, aus dem die Braunkohle gefördert wurde, wieder zuschüttete.

Das alles erzählt Marc, während er die Gruppe den sanften Anstieg zur Aussichtsplattform führt. Wer sich bis dahin nicht traut, weil er nicht schwindelfrei ist, der kann sich auf einer Zwischenplattform erholen. Das tat im Jahr 2000 auch Ex-Kanzler Gerhard Schröder bei einem Besuch der F60, die dort mit einem „Kanzlerblick“ wirbt. 

Stillgelegt wurde die Anlage aber zu Zeiten seines Vorgängers Helmut Kohl. Weil die Ex-DDR-Bürger im­mer seltener mit den hier in einer nahen Fabrik hergestellten Braunkohlebriketts heizten, lohnte sich der Betrieb nicht mehr. Im Sommer 1992 blieben die Förderbänder für immer still. Viele Mitarbeiter verloren ihre Arbeitsplätze. Doch andere wiederum atmeten auf. Bewohner von Dörfern, die früher oder später wegen des gefräßigen Tagebaubetriebs hätten weichen müssen, durften bleiben. Ein Restloch an der Anlage wurde geflutet. So entstand mit dem Bergheider See ein Ort mit vielen Freizeitmöglichkeiten – und als eine Filmkulisse. Für den niederländischen Western „Brim­stone“, der aktuell in den Kinos läuft, hatte man am Ufer eine ganze Westernstadt errichtet.

Und schließlich profitiert die un­mittelbare Umgebung auch da­von, dass ein Förderverein die F60 instandsetzte und sie 2002 für den Besucherverkehr öffnete. Seitdem waren schon über eine Million Besucher auf diesem Eiffelturm der Lausitz. Viele kommen dabei durch die Sängerstadt Finsterwalde und entdecken vor deren Toren das Naturschutzgebiet Loben und die einmalige Heidelandschaft mit den neuangesiedelten Auerhähnen aus Schweden.

Finster ist hier gar nichts. Dabei waren die Finsterwalder anfangs wenig begeistert, als im Jahr 1899 eine Berliner Revuegruppe erstmals den Ohrwurm „Wir sind die Sänger von Finsterwalde“ sang. Die Finsterwalder fühlten sich zunächst durch das Lied als Hinterwäldler verunglimpft. Doch sie machten aus der Not eine Tugend und entdeckten im Lied das Werbepotenzial für ihre Stadt. Inzwischen führen sie ganz offiziell im Stadtnamen den Zusatz „Sängerstadt“ und werben mit der höchsten Chordichte Deutschlands. Im November fand erst kürzlich wieder der Gesangswettbewerb „Finsterwalder Sänger“ statt, der alle zwei Jahre Künstler und Besucher aus aller Welt anlockt. 

Wer noch mehr Kultur möchte, der findet das in dem famosen Sänger- und Kaufmannsmuseum, wo es nicht nur alles Wissenswerte zur Sängerstadt zu hören, sondern auch einen Kolonialwarenladen von 1850 und eine Drogerie aus DDR-Zeiten zu sehen gibt. 

Oder man macht sich ins nahe Doberlug auf, um die Zisterzienserkirche und das Renaissanceschloss zu besichtigen, das 2014 mit seiner Landesausstellung „Wo Preußen Sachsen küsst“ bundesweit für Aufsehen sorgte. Bis 1815 gehörte die Region noch zu Sachsen. Doch nach dem Wiener Kongress ging es an Preußen. Am zweiten Adventswochenende sollte man in Doberlug nicht den idyllischen Weihnachtsmarkt verpassen. Eine Woche später findet er in Finsterwalde statt. Selbstverständlich stimmlich be­gleitet von den vielen Sängern von Finsterwalde.

Das Besucherbergwerk ist bis 15. März jeden Mittwoch bis Sonntag von 11 bis 16 Uhr geöffnet. Anmeldung unter (03531) 60800 oder www.F60.de. Ausflugs- und Übernachtungstipps unter www.lkee.de sowie www.elbe-elster-land.de