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01.12.17 / Keine Sternstunde, aber besser als reine Rache

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 48-17 vom 01. Dezember 2017

Keine Sternstunde, aber besser als reine Rache
Konrad Löw

Am 20. November 1945 erklärte der US-amerikanische Chefankläger Robert H. Jackson vor dem Internationalen Militärtribunal: „Dass vier große Nationen, erfüllt von ihrem Siege und schmerzlich gepeinigt von dem geschehenen Unrecht, nicht Rache üben, sondern ihre gefangenen Feinde freiwillig dem Richterspruch des Gesetzes übergeben, ist eines der bedeutsamsten Zugeständnisse, das die Macht jemals der Vernunft eingeräumt hat.“ Ist diese Verheißung in Erfüllung gegangen? Spätestens seit Verkündung der Urteile 1946 streiten sich insbesondere Politiker und Völkerrechtler über die richtige Antwort. 

Unter Berücksichtigung der namhaftesten Stimmen geht der Rechtsanwalt und Oberst der Reserve, Rainer Thesen, dieser Frage ebenso akkurat wie umfassend nach. Auf knapp 100 Seiten, die „Das Recht zum Krieg – historische Entwicklung“ beschreiben, folgt „Die Rechtswirklichkeit“, die wohl jeden Leser ebenso belehrt wie bestürzt. Ein Exkurs schildert „Verfahren gegen NS-Täter vor deutschen Gerichten“. Den Abschluss bildet „Die Vollstreckung“, gemeint sind die Urteile – auf makabre Weise in Szene gesetzt.

„Das Recht zum Krieg“ bietet Informationen, die für viele überraschend sein dürften. Thesen zeigt: Schon in der Antike war es ein Thema. Aber systematische Abhandlungen finden sich erst bei Augustinus und Thomas von Aquin. Martin Luther warf die Frage auf: „Ob die Kriegsleute in seligem Stand sein können?“ und bejaht sie. Zusammenfassend stellt Thesen fest, dass bis zum Ende des 19. Jahrhunderts das ius ad bellum, das Recht zum Krieg, grundsätzlich als Ausfluss der Staatssouveränität unangefochten bestand. Die Haager Landkriegordnung von 1907 befasst sich nicht mit dem Recht auf Krieg, sondern setzt es gleichsam voraus, wenn es die Rechte und Pflichten der Kombattanten bestimmt. Allgemein wird angenommen, der Briand-Kellogg-Pakt von 1928, die Namen stehen für die Außenminister Frankreichs und der USA, habe das Recht zum Krieg endgültig auf die rechtmäßige Verteidigung gegen einen Angriff beschränkt. Doch wer entscheidet, wann ein Angriff vorliegt mit der Folge einer gerechtfertigten Verteidigung? Und welches sind die Sanktionen nach einmütiger Benennung des Aggressors? Strafrechtliche Normen, die dem alten Grundsatz „Keine Strafe ohne Gesetz“ genügen könnten, finden sich dort jedenfalls nicht. 

Somit stand 1945 der Hauptanklagepunkt, die Führung eines Angriffskrieges, auf wackeligen Beinen. Völkermord und Massenterror hätte man auch so zum strafrechtlichen Vorwurf machen können. Thesen unternimmt den Versuch, die eigentlichen Kriegsziele der Alliierten offenzulegen, nämlich nachhaltige Schwächung der Konkurrenz. Thesen beginnt mit der als bedrohlich empfundenen Wirtschaftskraft Deutschlands und den weit überproportionalen Zahlen der Nobelpreisträger. Ein weiteres Kriegsziel sollte die Bestrafung Deutschlands durch jahrzehntelange Besatzung sein. 

Zwar sprach man nicht allgemein von Kollektivschuld, aber: „Dem deutschen Volk als ganzem muss klargemacht werden, dass die gesamte Nation sich an einer gesetzlosen Verschwörung gegen die Anstandsregeln der modernen Zivilisation beteiligt hat.“ Und so geschah es.

Schon dem Buchtitel ist zu entnehmen, dass der Autor die eingangs aufgeworfene Frage verneint, aber nicht leichtfertig, sondern wohlbegründet.

Keine Sternstunde des Rechts! Und doch: Nicht alle Angeklagten wurden zum Tode verurteilt, einige sogar unverzüglich auf freien Fuß gesetzt. Wann haben Sieger je ein faires Urteil gesprochen? Im ordentlichen Rechtsleben darf kein Richter in eigener Sache tätig sein. Hier waren es die vier Hauptsieger, um nur den ersten der zahlreichen Makel zu benennen.

Der anspruchsvolle, mit den Namen der wichtigsten Persönlichkeiten und Ereignissen angereicherte Text kann jedem, der sich solide und umfassende Kenntnisse des Kriegsvölkerrechts aneignen möchte, wärmstens empfohlen werden.

Rainer Thesen: „Keine Sternstunde  des Rechts. Die Nürnberger Prozesse und die Rechtswirklichkeit“, Osning Verlag, Garmisch-Partenkirchen 2017,  gebunden, 272 Seiten, 24,60 Euro