26.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
08.12.17 / Ein schwarzer Schlund / Die Wirtschaft wächst, die Bürokratie noch mehr – Allerorten klagen Firmen über den Behördenirrsinn

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 49-17 vom 08. Dezember 2017

Ein schwarzer Schlund
Die Wirtschaft wächst, die Bürokratie noch mehr – Allerorten klagen Firmen über den Behördenirrsinn
Frank Horns

Unternehmen investieren nicht in Deutschland, weil sie den Verwaltungsaufwand scheuen. Jungunternehmer bekommen graue Haare beim Umgang mit Amtsgericht und Finanzamt. Selbst das sogenannte E-Government, die schnelle und kostensparende Behördenkommunikation via Internet, wird in Deutschland zur nervenaufreibenden Geduldsprobe.

Kalt wie das Neonlicht in einer Beamtenstube blicken die staubgrauen Augen. Der gewaltige Rumpf und die turmhohen Beine sind aus tausenden Aktenordnern zusammengefügt. Dutzende Fangarme, dicht und fest gewebt aus Verordnungen und Gesetzestexten, umschlingen ihre Beute. Wird ein Tentakel abgeschlagen, wachsen sofort zehn andere nach. Das Maul, ein nimmersatter schwarzer Schlund, verschlingt Arbeitszeit, Nervenkraft und finanzielle Mittel in unerhörten Mengen.

Grässlich anzusehen ist das Bürokratie-Monster. Nicht eines, sondern Dutzende streifen durch die deutsche Unternehmenslandschaft. Die Folgen zeigt beispielsweise eine aktuelle Umfrage des Ifo-Instituts. Die Münchener Wirtschaftsforscher befragten 1500 deutsche Unternehmen nach ihren Investitionsplänen. Nur ein Drittel von ihnen will demnächst in Deutschland investieren. Bei einer früheren Umfrage war es noch die Hälfte. „Mann könnte ja, aber die Auflagen und Vorschriften seien einfach zu abschreckend“, lautete die häufigste Begründung. Ausgebremst fühlen sich auch viele Existenzgründer. Als größte Belastung ihres jungen Unternehmerdaseins empfinden sie die administrativen Hürden und Verzögerungen, ergab eine Studie der staatlichen Förderbank KfW. Besonders häufig bemängelten die Befragten die Komplexität der Besteuerung sowie den Aufwand für Anmeldungen und Registrierungen, etwa für den Eintrag ins Handelsregister beim Amtsgericht oder Meldungen beim Finanzamt. 

Kein Wunder, dass manche Spötter sich die jetzige geschäftführende Bundesregierung möglichst lang im Amt wünschen. Neue Gesetze bringt sie nicht auf den Weg. So wächst die düstere Schar der Bürokratiemonster etwas weniger schnell. 553 Gesetze hat der Bundestag in der letzten Wahlperiode verabschiedet. Hinzu kommen zahllose Verordnungen, die von der Regierung oder von den Verwaltungsorganen erlassen wurden. Von der Bundesnetzagentur stammt beispielsweise die Marktstammdatenregisterverordnung (MaStRV). Das 33-Buchstaben-Wort verleitet zahllose Unternehmer zu einem lautstarken, wenig feinen Sieben-Buchstaben-Wort. Die „Deutsche Handwerkszeitung“ spricht vom „blanken Bürokratirrsinn“. 

Die MaStRV soll der Netzagentur helfen, den Stromverbrauch der Deutschen besser einzuschätzen. Da im Zuge der Energiewende die Stabilität der Netze zunehmende Probleme bereitet, sollen alle Stromlieferanten erfasst werden. Das Problem: Laut MaStRV ist dies praktisch jeder, der über eine Steckdose verfügt, die hin und wieder von anderen genutzt wird. Absurde Situationen sind die Folge. Normale Privatkunden, die den Elektriker, Glaser oder Fliesenleger im Haus haben, werden plötzlich zu registrierungspflichtigen Stromlieferanten, wenn die Arbeiter ihre Geräte anschließen. 

Eigentlich ist die Neuregelung bereits seit März dieses Jahres in Kraft. Da die Technik noch nicht mitspielt, wird sie erst ab dem kommenden Jahr umgesetzt. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks sowie der Deutsche Industrie- und Handelskam-mertag haben unterdessen einen Protestbrief an die geschäftsführende Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries (SPD) geschickt. Sie fordern eine Bagatellgrenze für Energielieferungen, so dass die Abgabe geringer Strommengen an Dritte nicht mehr unter die amtliche Meldepflicht fällt. 

Die Antwort von der Bundesnetzagentur fiel anders aus als erwartet. Das MaStRV-Monster scheint selbst seinen Schöpfern nicht mehr geheuer. Es soll nicht mehr buchstabengetreu umgesetzt werden. Man verzichte in diesen Fällen zunächst einmal auf die Durchsetzung der Registrierung als Stromlieferant im Marktstammdatenregister. 

Sieben-Buchstaben-Worte, Kopfschütteln und Behördenverdruss lösen derlei administrative Kapriolen aus, – und dennoch: „All der Papierkram“ ist in seiner gemäßigten Form ein notwendiges Übel. Der Staat muss regieren, reagieren und regeln. Er muss verwalten und gestalten. Das klappt nur, wenn er Bescheid weiß und seine Bürger in die Pflicht nimmt, zu dokumentieren, was sie tun und was sie lassen.

Im Internetzeitalter lässt sich zudem vieles vereinfachen und beschleunigen. „E-Government“ heißt das Fachwort. Per Mausklick vom heimischen Computer aus, können Mensch und Amt auch ohne Behördengang zusammenfinden. In Litauen, der Schweiz und Österreich läuft das schon prächtig, in Deutschland weniger. Hier sinkt die Nutzung digitaler Behördendienstleistungen sogar. Die Gründe? Der deutsche Amtsschimmel mag anscheinend einfach keine geraden Wege. Volten, Zirkel und Pirouetten müssen her. Eine aktuelle Studie der E-Government-Initiative D21 ergab, dass den Nutzern die Dienstleistungen zu kompliziert und aufwendig sind. Wer sich mit seinem Personalausweis via Internet bei den Ämtern identifizieren möchte, muss sich ein extra Kartenlesegerät anschaffen. Andere Angebote lassen sich nicht vollständig im Internet abwickeln. Der Behördengang bleibt trotzdem notwendig. 

Hannes Schwaderer, Präsident der Initiative D21 und Deutschland-Chef des US-amerikanischen Halbleiterherstellers Intel, forderte daher geradezu Unerhörtes: Für das E-Government brauche es Anreizsysteme. Zeit und Gebühren müsse der Bürger sparen, wenn er auf diese Art mit den Behörden kommunizieren solle.