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08.12.17 / Der blutige Umsturz beendete den Krieg / Mit Friedensverhandlungen wollte Leo Trotzki die Revolution beschleunigen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 49-17 vom 08. Dezember 2017

Der blutige Umsturz beendete den Krieg
Mit Friedensverhandlungen wollte Leo Trotzki die Revolution beschleunigen
Klaus J. Groth

Krieg schadet der Revolution. Wer den blutigen Umsturz will, dem kommt der Feind von außen in die Quere. Die Bolschewisten wollten nach der Oktoberrevolution ihre Machtübernahme in Russland festigen. Sie schlugen den Mittelmächten einen Waffenstillstand an der gesamten Ostfront vor. Das beschleunigte das Ende des Ersten Weltkrieges im Osten. Ab 15. Dezember 1917 schwiegen dort die Waffen.

Die Kriegsparteien waren auf beiden Seiten erschöpft. Für die Mittelmächte bedeutete der Waffenstillstand das Ende des zermürbenden Zweifrontenkrieges. In Russland zerfielen die Truppen oder machten Revolution, die Menschen hungerten. Sie waren empfänglich für die Parolen der Bolschewisten, die „Brot und Frieden“ versprachen. Die Friedensverhandlungen wurden am 9. Dezember 1917 in der russischen Festungsstadt Brest-Litowsk aufgenommen. Der Ort lag in von deutschen Truppen besetztem Gebiet. Am Verhandlungs­tisch saßen die Vertreter Russlands und der Mittelmächte, also des Deutschen Reiches, Österreich-Ungarns, des Osmanischen Reiches und Bulgariens.

Zwei Welten prallten aufeinander, Menschen, die im Denken und Handeln einander vollkommen fremd waren. Traditionsbewusste Vertreter des Hochadels saßen mit fanatischen Umstürzlern an einem Tisch. Nach einem gemeinsamen Abendessen notierte der Leiter der österreich-ungarischen Delegation, Ottokar Graf Czernin: „Merkwürdig sind diese Bolschewiken. Sie sprechen von Freiheit und Völkerversöhnung, von Friede und Eintracht, und dabei sollen sie die grausamsten Tyrannen sein, welche die Geschichte gekannt hat – sie rotten das Bürgertum einfach aus, und ihre Argumente sind Maschinengewehre und der Galgen.“

Leo Trotzki, der als Volkskommissar für äußere Angelegenheiten ab Januar 1918 die Verhandlungen auf russischer Seite leitete, beurteilte die Delegation der Mittelmächte so: „Mit dieser Art Menschen kam ich hier zum ersten Mal von Angesicht zu Angesicht zusammen. Es ist unnötig zu sagen, dass ich mir auch früher keine Illusionen über sie gemacht hatte. Aber immerhin, ich gebe zu, ich hatte mir das Niveau höher vorgestellt. Den Eindruck der ersten Begegnung könnte ich mit den Worten formulieren: Diese Menschen schätzen die anderen sehr billig ein, aber auch sich selbst nicht sehr teuer.“

Mit dem Auftritt Trotzkis änderten sich die Verhandlungen grundlegend. War bis dahin relativ zügig über das von den Bolschewisten unterbreitete Angebot – Räumung der besetzten Gebiete, Selbstbestimmungsrecht der Völker, Verzicht auf Reparationen – verhandelt worden, wurden nun die Verhandlungen verzögert. 

Von vornherein wollte Trotzki die Verhandlungen als Bühne nutzen, um die Revolution in anderen Ländern zu schüren. Er verschleppte die Gespräche mit dem Ziel, „die Arbeitermassen Deutschlands und Österreich-Ungarns wie auch der Ententeländer aufzurütteln“. Mit langen Erklärungen versuchte Trotzki, die Welt von der Friedfertigkeit der Bolschewisten zu überzeugen: „Die Hoffnung auf eine rasche revolutionäre Ent­wick­lung in Europa gaben wir selbstverständlich nicht auf.“ 

Die deutsche Seite durchschaute die Taktik. Durch einen beschleunigten Vormarsch der Truppen erhöhten sie den Druck auf die Bolschewisten. Der Generalbevollmächtigte der Obersten Heeresleitung, General Max Hoffmann, tobte: „Die russische Delegation spricht mit uns, als ob sie siegreich in unserem Lande stünde und uns Bedingungen diktieren könnte. Ich möchte darauf hinweisen, dass die Tatsachen entgegengesetzt sind.“ Er warf den Bolschewisten vor, das von ihnen geforderte Selbstbestimmungsrecht der Völker in besetzten Gebieten vollkommen zu missachten und jeden Andersdenkenden als Gegenrevolutionär und Bourgeois für vogelfrei zu erklären. Er nannte als Voraussetzung für einen Friedensvertrag die Entlassung Polens und der baltischen Staaten in die Unabhängigkeit. Die Verhandlungen wurden auf Wunsch Trotzkis unterbrochen.

Nach innenpolitischen Problemen – die Macht der Bolschewisten war durch Verluste bei der Wahl zur Volksvertretung erschüttert – drängte Trotzki darauf, die Friedensverhandlungen zu verlassen, nahm sie aber am 30. Januar wieder auf, im Deutschen Reich und Österreich-Ungarn war es zu den erwarteten Massenstreiks gekommen. Wieder spielte Trotzki auf Zeit. Dazu gehörte auch die Weigerung, an Verhandlungen mit der Volksrepublik Ukraine teilzunehmen. Es ging auch ohne ihn. Die Mittelmächte schlossen einen separaten Frieden. Die Anerkennung des ukrainischen Staates wurde mit großen Getreidelieferungen honoriert. 

Trotzki versuchte abermals, eine Situation zu schaffen, die weder Krieg noch Frieden war. Damit wollte er bis zum Ende der Kämpfe an allen Fronten überdauern. Er gab an, auf einen Vertrag verzichten zu wollen und erklärte einseitig „den Kriegszustand mit den Zentralmächten für beendet. Den russischen Truppen wird gleichzeitig der Befehl zur vollständigen Demobilisierung an allen Fronten erteilt.“

Darauf ließen sich die Mittelmächte nicht ein. Ohne Friedenvertrag würde wieder gekämpft werden, erklärte General Erich Ludendorff von der Obersten Heeresleitung. Trotzki hielt das für eine leere Drohung. Das war ein fataler Irrtum. Am 17. Februar 1918 begann die Offensive „Faustschlag“. Die deutschen Truppen stießen kaum auf Widerstand. Zwei Tage später baten die Russen um Frieden. Und am darauffolgenden Tag erklärte Lenin: „Es gibt keine Armee mehr.“ Nun ließ sich die Oberste Heeresleitung Zeit. Erst nach vier Tagen nannte sie neue Bedingungen: vollständige Räumung von Finnland, Livland, Estland und der Ukraine, Demobilisierung der russischen Armee. 

Es war Lenin, der mit seinem Rücktritt drohte und damit die erneute Aufnahme von Friedensverhandlungen gegen Trotzki und Nikolai Bucharin durchsetzte. Der Friedenvertrag von Brest-Litowsk wurde am 3. März 1918 unterzeichnet. 

Für die Deutschen war damit der Zweifrontenkrieg endlich beendet. Gerettet hat es sie aber nicht. Sie und die übrigen Mittelmächte verloren den Ersten Weltkrieg trotzdem, und mit dem Kriegsende war der Frieden von Brest-Litowsk Makulatur. 

Die Bolschiki hingegen hatten mit dem Frieden von Brest-Litowsk ihr wichtiges Friedensversprechen eingehalten, mit dem sie sich von der von ihnen gestürzten Entente-freundlichen Provisorischen Regierung in den Augen vieler ihrer Landsleute positiv absetzten. Nun konnten sie sich mit voller Kraft dem Kampf gegen den Feind im Inneren widmen.