19.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
08.12.17 / Ein Schlosser ermöglichte das Schnellfeuer / Johann Nikolaus von Dreyse entwickelte das Zündnadelgewehr und den ersten tauglichen Hinterlader

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 49-17 vom 08. Dezember 2017

Ein Schlosser ermöglichte das Schnellfeuer
Johann Nikolaus von Dreyse entwickelte das Zündnadelgewehr und den ersten tauglichen Hinterlader
Manuel Ruoff

Mittlerweile wird das Zündnadelgewehr nicht mehr unbedingt als entscheidend für den Ausgang des Deutschen Krieges von 1866 eingestuft. Seine große Bedeutung ist jedoch unumstritten. Vor 150 Jahren starb sein Erfinder, der ursprünglich bürgerliche Konstrukteur und Unternehmer Johann Nikolaus von Dreyse.

In der später maßgeblich durch ihn zur Industriestadt gewordenen damaligen Erfurter Exklave Sömmerda kam Johann Nikolaus Dreyse am 20. November 1787 zur Welt. Dreyse war also kein gebürtiger Preuße, doch kam seine Geburtsstadt als Folge des Reichsdeputationshauptschlusses noch während seiner Kindheit mit Erfurt zu Preußen. Der nunmehr preußischen Stadt stand deshalb nach der von Preußen gegen Frankreich verlorenen Doppelschlacht von Jena und Auerstedt vom 14. Oktober 1806 die Besetzung bevor. Möglicherweise bewegte das den jungen Schlossersohn, der im Herbst des Jahres seine Lehre bei seinem Vater beendet hatte, nun ohne Verzug auf die Walz zu gehen. Seine Tippelei führte ihn schließlich in die Hauptstadt des seinerzeit entwickeltesten und modernsten Staates des Kontinents, nach Paris. 

Seine Gesellenwanderung soll ihn gleich zu Beginn zu dem Schlachtfeld von Jena geführt haben. Die schlechte Qualität der Gewehre der Gefallenen soll ihn nachdrücklich beeindruckt haben. In Paris hatte er die Gelegenheit, an einer Verbesserung des Gewehres mitzuwirken. Kaiser Napoleon hatte einen Preis für die Entwick­lung eines brauchbaren Hinterladergewehres ausgelobt, und Samuel Johann Pauli, in dessen Gewehrfabrik Dreyse ab 1809 arbeitete, versuchte, ihn zu gewinnen. Pauli gelang es nicht, einen brauchbaren Hinterlader zu entwickeln, aber sein Mitarbeiter Dreyse lernte dabei viel für seinen späteren eigenen Durchbruch.

1814 fiel Paris. Der gebürtige Schweizer Pauli wanderte nach London aus, und Dreyse kehrte nach Sömmerda zurück. Nach dem Tod seines Vaters übernahm er dessen Werkstatt und fertigte dort zivile Produkte des täglichen Bedarfs. Der kreative Kopf entwickelte sowohl neue Produkte als auch neue Fertigungsmethoden. Eine von ihm konstruierte Knopfzange, mit der jeweils sechs Knöpfe in einem Arbeitsgang hergestellt werden konnten, fiel derart überzeugend aus, dass die Erfurter Knopffabrik Kronbiegel mit ihm 1816 die „Dreyse & Kronbiegel-Metallwarenfabrik“ mit Sitz in Sömmerda gründete. 

Nach dem Tod seines Kompa­gnons heiratete ein Buchhalter dessen Witwe und das Unternehmen trug fortan den Namen „Dreyse & Collenbusch“. Der umtriebige Dreyse konnte seinen neuen Partner dazu bewegen, sich neu zu erfinden, sprich nun etwas ganz anderes zu tun beziehungsweise zu produzieren. Das Unternehmen machte dort weiter, wo Dreyse in Paris aufgehört hatte. In Zusammenarbeit mit zwei Apothekern und einem Weimarer Büchsenmacher bemühte Dreyse sich um die Verbesserung der Zündmasse und der mit ihr gefüllten Zündhütchen für Perkussionswaffen. 1823 nahm „Dreyse & Collenbusch“ die Zündhütchenfabrikation auf, 1824 meldete das Unternehmen ein Patent an für ein Zünd­hütchen, dessen Füllung mittels einer Metallfolie versiegelt wurde. Das Produkt verkaufte sich gut, und Dreyse konnte es sich leisten, sich unverkrampft der Forschung zuzuwenden.

Nach langem Probieren erkannte er, dass ein Nadelstich genügte, um den Zündsatz explodieren zu lassen. So kam es zur Entwick­lung der Zündnadel und des auf dieser Basis arbeitenden Zündnadelgewehrs. 1827 stellte Dreyse das erste Zündnadelgewehr her.

Dieses erste Zündnadelgewehr, das 1828 patentiert wurde, war noch ein Vorderlader mit glattem Lauf. Dreyse optimierte nun die Waffe kontinuierlich. Beim Vorderlader war das konstruktionsbedingte Laden von vorne nicht ganz ungefährlich, da es immer wieder zu ungewollten vorzeitigen Zündungen kommen konnte. Dreyse verletzte sich auf diese Weise selber an der Hand. Er entwickelte deshalb einen ziemlich gefahrlos zu ladenden Hinterlader. Ihm gelang damit als erstem, woran sein damaliger Chef Pauli in Paris einst gescheitert war: ein praxistauglicher Hinterlader. Eine größere Stabilität in der Flugbahn erreichte er durch die Verwendung eines gezogenen statt eines glatten Laufs. Ähnlich innovativ wie das neue Gewehr war die dafür entwickelte sogenannte Einheitspatrone. Sie vereinte Geschoss, Pulverladung und Zündmasse in einer Patrone, was den Ladevorgang vereinfachte und verschnellerte.

Die Vorteile lagen auf der Hand: eine relativ stabile Flugbahn, die Möglichkeit, dreimal so schnell nachzuladen und damit auch zu feuern wie bei einem herkömmlichen Karabiner, ein vergleichsweise geringes Verletzungsrisiko beim Laden sowie schließlich die Tatsache, dass der Schütze zum Laden nicht aufrecht stehen oder zumindest knien musste, sondern dieses im Liegen verrichten konnte, womit er für den Gegner ein kleineres Ziel abgab.

Diese Fülle an Vorteilen von Dreyses Hinterlader überzeugte schließlich auch die preußische Militärbürokratie. Nach einer Reihe von Versuchen erkannte die königliche Prüfungskommission in ihm „eine vollkommene Kriegswaffe“. Nach seinem Regierungsantritt genehmigte Preußens König Friedrich Wilhelm IV. einen Groß­auf­trag über 60000 Zünd­na­del­ge­weh­re mit je 500 Patronen. Dreyse erhielt einen großzügigen Staatskredit, um eine entsprechende Massenfabrikation aufziehen zu können. 1841 wurden die neuen Fabrikanlagen in Sömmerda in Betrieb genommen. 

Seine Praxistauglichkeit bewies das Gewehr in der Bekämpfung von Revolutionären während der 48er Revolution und im Schleswig-Holsteinischen Krieg. Daraufhin erfolgte die Einführung der Waffe in der gesamten Armee. Das überforderte Dreyses Produktionskapazitäten, und mit seiner Zustimmung produzierte nun auch der Staat sein Gewehr. 

Die bereits erwähnte königliche Prüfungskommission hatte einst geweissagt, dass Dreyses Waffe „bei Bewahrung ihres Geheimnisses voraussichtlich berufen“ sei, „bei Eintritt großer historischer Momente zu einer gefeierten Nationalwaffe zu werden“. Das war 1866 schließlich im Deutschen Krieg der Fall. 

Ein Erfolgsrezept des zu Recht legendären preußischen General­stabschefs Helmuth von Moltke bestand darin, dem Fortschritt kreativ Rechnung zu tragen. Er reagierte auf die durch die industrielle Revolution ausgelöste Bevölkerungsexplosion und die sich daraus in Verbindung mit der allgemeinen Wehrpflicht ergebenden Massenheere mit seiner Devise „Getrennt marschieren, vereint schlagen!“ und nutzte Eisenbahn und Telegrafie, die damals noch relativ neu waren, erstmals systematisch und im großen Stil für die schnelle Verschiebung von Truppen beziehungsweise Übermittlung von Informationen. Ebenso wusste er auch das Zündnadelgewehr mit seiner hohen Schussfolge militärisch adäquat zu nutzen. So setzte er das sogenannte Schnellfeuer ein, das heißt, dass jeder beteiligte Soldat so schnell schoss, wie er konnte, sodass nicht wie bisher zwischen einzelnen Salven eine größere Pause des gemeinsamen Nachladens entstand, sondern sich der Gegner vielmehr einem permanenten Feuer gegenüber sah, ein Vorgeschmack auf das Maschinengewehrfeuer im Ersten Weltkrieg.

Der österreichische Gegner hatte dem mit seinem veralteten Lorenz-Gewehr nichts Vergleichbares entgegenzusetzen. Das war im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 schon ganz anders. Seit 1866 war fast ein halbes Jahrzehnt ins Land gegangen, und Frankreich war ein hochmoderner Industriestaat mit einer leistungsfähigen Volkswirtschaft und Rüstungsindustrie. Das Chassepotgewehr des französischen Infanteristen basierte auf Dreyses Zündnadelgewehr, war jedoch von der Konstruktion um 25 Jah­re jünger und moderner. Kriegsentscheidend wurde diese technische Unterlegenheit nicht, denn sie konnte von den Preußen durch bessere Artillerie kompensiert werden, aber symptomatisch war sie doch. Der von Dreyse mit seinem Zündnadelgewehr erarbeitete Vorsprung war dahin. Preußen zog die Konsequenzen und entschied sich nach dem Deutsch-Französischen Krieg für das Infanterie-Gewehr 71 der Mauserwerke als Nachfolgemodell, das nun wiederum das Chassepotgewehr zum Vorbild hatte. Das von Dreyse für die Produktion des Zündnadelgewehrs und dessen Munition gegründete Unternehmen ging Konkurs und wurde von Rheinmetall übernommen. 

Für all das ist Dreyse nicht verantwortlich zu machen. Er lebte da schon nicht mehr. Vielmehr starb er, kurz nachdem das von ihm entwickelte Zündnadelgewehr im Deutschen Krieg den Zenit seiner Geschichte erreicht hatte, geadelt und auch ansonsten hochgeehrt am 9. Dezember 1867 in seiner Geburtsstadt Sömmerda. Ihm war es nicht vergönnt, ein Unternehmen zu gründen, das bis heute besteht. Aber sein Prinzip des Hinterladers mit Innenzündung, Einheitspatrone und gezogenem Lauf setzte Maßstäbe.