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08.12.17 / »Boykottiert Lidl!« / Oder vielleicht doch nicht? Was bringen Verbraucherstreiks heutzutage überhaupt?

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 49-17 vom 08. Dezember 2017

»Boykottiert Lidl!«
Oder vielleicht doch nicht? Was bringen Verbraucherstreiks heutzutage überhaupt?
W. Kaufmann

Der Aufschrei war groß, als die Supermarktkette Lidl jüngst einige pseudogriechische Produkte der Eigenmarke 

Eridanous in die Regale räumte. Die Verpackungen zeigten Fotos malerischer Kirchen auf der Ägäis-Insel Santorin. Nur: Der Discounter hatte die Kreuze auf den Kuppeln der Gotteshäuser wegretuschieren lassen. „Boykottiert Lidl!“, forderten daraufhin viele, die einen Kniefall vor der muslimischen Kundschaft vermutete. Aber: Wie sinnvoll sind Konsumentenboykotte eigentlich?

Besonders erfolgreich ist der strategische Konsumverzicht natürlich, wenn er einen spürbaren Imageschaden oder schmerzhafte wirtschaftliche Verluste bewirkt und die Forderungen der Verbraucher auch tatsächlich in der Praxis umsetzbar sind. So wie 1995, als sich Greenpeace den Shell-Konzern vorknöpfte und die geplante Versenkung der Öllager- und Verladeplattform „Brent Spar“ in der Tiefsee westlich von Irland anprangerte. Ob die Umweltschützer Recht hatten mit ihrer Aktion ist umstritten, aber sie zeigte immense Wirkung. Der Umsatz an Shell-Tankstellen ging teilweise um bis zu 

50 Prozent zurück. Das Unternehmen gab daraufhin nach und ließ die Plattform abwracken, statt sie im Meer zu versenken.

Heute würde Shell wahrscheinlich gelassener reagieren. Boykott-aufrufe sind inzwischen weitaus weniger wirksam. Es gibt einfach zu viele. So sah sich in den letzten anderthalb Jahrzehnten bereits jede zweite Firma von Rang damit konfrontiert. Zum Zweiten enden die meisten „Verbraucherstreiks“ zu schnell. Es fehlt an Durchhaltevermögen und Frustrationstoleranz der – schnell mal eben – Empörten. Die Verzichtsbereitschaft, welche die schwarze Bevölkerung von Montgomery 1955/56 an den Tag legte, sucht man heutzutage vergeb-lich: Damals wurden die städtischen Busse ein geschlagenes Jahr lang gemieden, um das Ende der Rassentrennung in den öffentlichen Verkehrsmitteln zu erzwingen! Dahingegen mussten die Teilnehmer am  Shell-Boykott lediglich das „Opfer“ bringen, zur meist nicht weit entfernten nächsten Tankstelle zu fahren, wo es das Benzin dann zur Belohnung oft sogar noch billiger gab.

Abgesehen vom Sonderfall Shell führt die Kurzlebigkeit heutiger Verbraucherboykotte dazu, dass die Absatzzahlen der ins Visier genommenen Unternehmen oft kaum zurückgehen. Spötter meinen daher nicht zu Unrecht, ein Konsumentenstreik zeitige in der heutigen Welt schon deshalb keine gravierenden finanziellen Folgen mehr, weil der Umsatzeinbruch infolge des Wegbleibens bisheriger Kunden durch den Zustrom von Neukunden ausgeglichen werde, welche gerade aus anderen Gründen die Konkurrenz boykottieren. Darüber hinaus lasse sich jeder Boykott mit tollen Angeboten zu Schnäppchenpreisen brechen.

Aus dem Gesagten kann man unschwer schlussfolgern: Es hat wenig Sinn, sich an irgendwelchen momentan gerade laufenden Kampagnen zu beteiligen, die schnell wieder vergessen sind und keine Massenbasis haben. Besser ist wohl eine permanente überlegte und konsequente Kaufentscheidung zuungunsten bestimmter Anbieter, welche regelmäßig und systematisch Dinge tun, die beispielsweise den Gepflogenheiten der „schon länger hier Lebenden“ widersprechen und unerwünschte Veränderungen der gesellschaftlichen Verhältnisse herbeiführen sollen. Dazu benötigt der Verbraucher freilich ein waches Auge, denn die wahren Skandale kommen oft auf ziemlich leisen Sohlen daher. Wie die schleichende Umstellung auf Fleischprodukte, die dem Gedanken des Tierschutzes Hohn sprechen und ausschließlich von Muslimen nachgefragt werden. Welche Handelsketten diese derzeit anbieten, lässt sich mühelos im Internet recherchieren. Wer boykottiert, ohne lautstark zum Boykott aufzurufen, handelt zudem auch effektiver, weil er dem Unternehmen damit die Möglichkeit nimmt, die Öffentlichkeit mit diversen Ausreden einzulullen oder sich gar als Opfer einer „rechten“ Rufmordkampagne zu gerieren, was dann am Ende noch zu Solidaritätskäufen führen kann.





Der skrupellose Charles Cunningham Boycott

Das Wort „Boykott“ geht auf einen Akt gewaltlosen Widerstands im Jahre 1880 zurück. Damals folgten irische Bauern in der Grafschaft Mayo dem Aufruf des Nationalistenführers Charles Stewart Parnell, keine Pachtverträge mehr mit dem aus England stammenden und für seine Skrupellosigkeit berüchtigten Grundstücksverwalter Charles Cunningham Boycott abzuschließen: Er wurde boykottiert, wie es in der Londoner „Times“ hieß. Als Ursprung des modernen Konsumentenboykotts – auch wenn man das Ganze seinerzeit noch nicht so nannte – gilt hingegen die berühmte „Tea Party“, mit der sich Bürger der nordamerikanischen Stadt Boston am 16. Dezember 1773 gegen als ungerecht empfundene Importzölle wehrten. Sie warfen 342 Kisten Tee von Schiffen der englischen East India Company ins Wasser des Hafenbeckens. Der Konflikt mit dem Mutterland England mündete dann 1775 in den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg.