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15.12.17 / Symbolfigur der Republik / Der Literat als »Homo politicus« – Der vor 100 Jahren geborene Heinrich Böll im Porträt und in einer Kölner Ausstellung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 50-17 vom 15. Dezember 2017

Symbolfigur der Republik
Der Literat als »Homo politicus« – Der vor 100 Jahren geborene Heinrich Böll im Porträt und in einer Kölner Ausstellung
Harald Tews

Heinrich Böll hat eine erstaunliche Wandlung durchgemacht. Erst war er der böse Junge, dann der gute Junge. Der Wendepunkt war der Literaturnobelpreis von 1972, mit dem er als erster Autor der Bun­desrepublik Deutschland ausgezeichnet wurde. 

Als 2009 das Kölner Stadtarchiv einstürzte, wurde ein großer Teil des Böll-Nachlasses, den die Stadt Köln nur zwei Monate zuvor er­worben hatte, vernichtet. We­nigstens die Urkunde des Literaturnobelpreises konnte geborgen werden. Das wenigstens ist, was bleiben wird: Böll der Literaturnobelpreisträger. Doch sein Werk, so hochaktuell und bedeutend es auch zur Zeit seiner Entstehung gewesen war, wird nach und nach von einer Staubschicht des Vergessens bedeckt sein. 

Es steckt zweitens eine gewisse Ironie darin, dass der Nachlass des am 21. De­zember 1917 in Köln geborenen Sohns eines Schreinermeisters mit seinen frühen Erzählungen und Romanen den Epochenbegriff „Trümmerliteratur“ in Gang ge­setzt hat, nun selbst unter Trümmern begraben ist. Er selbst, so schrieb er in einer „Selbstkritik“ im Jahr 1956, könne ohne „ein wenig Trümmerstaub im Schlafzimmer“, diesem „Puder der Vernichtung“, den seine Söhne ausstreuten, gar nicht arbeiten.

So schrieb der Kriegsheimkehrer wie im Rausch 40 und mehr Schreibmaschinenseiten pro Tag. Vom Verkauf von Hörspielen – der NWDR bezahlte damals gut – konnten er und seine Familie einigermaßen gut leben. Mit seinen frühen Romanen, Kurzgeschichten und Satiren, die anfangs Ladenhüter waren oder gar nicht gedruckt wurden – seine ersten Romane „Kreuz ohne Liebe“ und „Der Engel schwieg“ wurden aus dem  Nachlass heraus publiziert –, aber bereitete er sich auf seine eigentliche Mission vor: sich als das „Gewissen der Na­tion“ für eine humanere Zukunft einzusetzen.

Wegen dieses moralischen Aufgusses haben seine Romane der 50er und 60er Jahre wie „Wo warst du Adam“, „Haus ohne Hüter“, „Und sagte kein einzigen Wort“, „Billard um halbzehn“ oder „Ansichten eines Clowns“ inzwischen ihr Ablaufdatum erreicht. Sie waren interessant in einer Zeit des Wirtschaftswunders, als politische Wendehälse Karriere machten und die einfachen Leute, mit denen Böll in seinen Romanen sympathisierte, auf der Strecke blieben.

Und je mehr sich Böll auch als Mitglied der Gruppe 47, die ihn 1951 für die heute vergessene Satire „Die schwarzen Schafe“ mit einem Preis bedachte, politisch nach links sozialisierte, je mehr er als „Homo politicus“ auftrat, ein desto schnelleres Verfallsdatum blieb an seinen späteren fiktionalen Werken kleben. Abgesehen von „Gruppenbild mit Dame“, das 1971 noch einmal ein leichtes Aufflackern Böllschen Könnens aufwies, verschwanden seine letzten Romane „Fürsorgliche Belagerung“ und „Frauen vor Flusslandschaft“ rasch in der Bedeutungslosigkeit.

Böll selbst ist aber bis heute nie in die Versenkung geraten. Daran hat auch der Literaturnobelpreis einen großen Anteil, den er Ende 1972 er­hielt. Das ge­­schah just in einer Zeit, als sich in der Bundesrepublik eine politische Wandlung vollzog.

Willy Brandt, der ge­rade ein Jahr zuvor den Friedensnobelpreis erhalten hatte, war Bundeskanzler, und die ganze Republik driftete nach links. Bis dahin wurde Böll, der als politischer Essayist und Redner gegen die konservative Adenauer- und Erhard-Politik opponierte, wie ein Aussätziger und geistiger Brandstifter behandelt. Als man ihn Anfang 1972 nach seinem „Spiegel“-Artikel „Will Ulrike Meinhof Gnade oder freies Geleit?“ der Beihilfe und ideologischen Unterstützung des Terrorismus bezichtigte, hat die Polizei sogar das Haus des überzeugten Pazifisten in Langenbroich in der Eifel durchsucht.

Der Nobelpreis änderte alles. Plötzlich war Böll der Gefeierte, die Vorzeigefigur der Bundesrepublik. Er wurde zum Stereotypen des „Gutmenschen“. Dabei blieb sich der Katholik, Dissidentenhelfer und Präsident des PEN-Clubs stets selbst treu. Es war die durch die 68er-Bewegung gewandelte Gesellschaft, die ihm zum Idol kürte. Als Teilnehmer einer Sitz­blockade ge­gen Raketenstellungen in Mutlangen und als Redner auf der Friedensdemo in Bonn 1981 wurde sein Engagement besonders von den Grünen gepriesen. 

Dabei vertrat er in seinen Schriften und rund 70000 Briefen An­sichten, die einem heute von ganz anderer Seite her vertraut vorkommen. Als einer der Ersten sprach er sich gegen die deutsche Kollektivschuld aus, und in seinen „Notstandsnotizen“ von 1968 ist von der „fast totalen Gleichschaltung“ der Presse die Rede. Das hört sich heute wie „Lügenpresse“ an. 

1974 griff er die Macht der etablierten Medien in seiner Erzählung „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ an, in der die „Zeitung“ – gemeint war die „Bild“ – gegen eine vermeintliche Terrorhelferin hetzt. „Fake News“ à la Böll sozusagen. Würde ein Autor heutzutage auch so gegen die inzwischen linkslastigen Medien schreiben, wäre er als Aussätziger und geistiger Brandstifter verschrien, und zwar so lange, bis ein erneuter politischer, dann aber konservativer Wandel eintritt.

So ist es am Ende der Mensch Böll, der sein eigenes literarisches Werk überstrahlt. Mit Wolfgang Koeppen, Arno Schmidt oder Uwe Johnson gab es 1972 Nachkriegsautoren, die für ihr ästhetisch bedeutsameres Werk eher den Literaturnobelpreis verdient ge­habt hätten. So aber ehrte man mit Böll in erster Linie den politischen Autor, der zugleich wie kein anderer auch eine Symbolfigur der neuen Ära in der Bundesrepublik Deutschland war. 

Aktuell ist die Republik in einem erneuten politischen Wandel be­griffen. Ein kommender Nobelpreisträger, der das Format eines Heinrich Böll hätte, um diesen Wandel literarisch zu dokumentieren, ist allerdings weit und breit noch nicht zu sehen.





Das Kölner Museum Ludwig würdigt den Literaturnobelpreisträger Böll gegenwärtig mit einer Ausstellung über sein Verhältnis zur Fotografie.

Es gibt mindestens drei gute Gründe für das Museum Ludwig, Bölls Verhältnis zur Fotografie eine Ausstellung zu widmen: Das Haus verfügt über eine große Fotografie-Sammlung – auch mit vielen Böll-Fotos. Und außerdem heißt die Adresse des 1986 eröffneten Museums: Heinrich-Böll-Platz.

Böll war ein eher kamerascheuer Mensch, der sich als weltweit be­kannter Autor allerdings nicht immer den Ablichtungen durch Presse- und Hobbyfotografen entziehen durfte, wollte oder auch konnte. Sein ambivalentes Verhältnis zur Fotografie formulierte er 1964 mit dem Text „Die hu­mane Kamera“ im Katalog zur „Weltausstellung der Photographie“. Darin verabscheut er die „zu­dringliche Kamera“, die zum „Instrument des ... Photographen wird, der darauf aus ist, den Menschen zu ertappen, zu de­nunzieren, zu entlarven“. Die Fo­tografie überschreite dann „eine moralische Grenze“.

Diese zudringliche Kamera thematisierte Heinrich Böll 1974 in seinem (später verfilmten) Ro­man „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“, in dem sensationslüsterne Reporter der Boulevardpresse eine unbescholtene junge Frau mit Wort und Bild attackieren, bloßstellen und da­mit ihrer Würde berauben.

In den 1960er Jahren wurde der Fotoapparat für viele Menschen erschwinglich. Um ein Bild von sich und der Familie zu erhalten, war der Besuch im Atelier eines Fotografen nicht mehr nötig. Nahezu jeder konnte nun fotografieren. Beliebt waren die Schnappschüsse, die mal eben so eine bildliche Erinnerung an Lebensmomente und Situationen festhielten. In Bölls Augen war das eine wenig humane und deshalb bedenkliche Angelegenheit: „Im Wort Schnappschuss sind zwei Gewaltverben, schießen und zuschnappen, vereint.“

Dass heute rund 50 Millionen Menschen in Deutschland ein Smartphone – und damit zu­gleich einen Fotoapparat – ständig mit sich herumtragen, konnte Heinrich Böll natürlich noch nicht wissen. Aber er ahnte schon 1964 die Gefahren solch einer umfassenden Nutzung und Verbreitung: „Wenn technisch perfektes Photographieren in jedermanns Hand gegeben ist, ist Orwells Großer Bruder ja fast allgegenwärtig.“ Böll meinte damit den totalen Überwachungsstaat, den George Orwell schon Ende der 1940er Jahre in seinem utopischen Roman „1984“ beschrieben hat.

Ausstellungs-Kuratorin Miriam Halwani hat rund 50 Exponate aus der Foto-Sammlung des Mu­seums zusammengetragen, die Bölls Verhältnis zur Fotografie wiedergeben. Zum Beispiel Bildbände von Carl-Heinz Hargesheimer – Künstlername: Chargesheimer –, zu denen Böll Texte verfasst hat, aber auch Porträts und Aufnahmen, die den Schriftsteller selbst darstellen. Die meisten dieser Bilder, die Böll in privatem Umfeld, zu Hause am Schreibtisch oder im Garten zeigen, stammen vom be­freundeten Fotografen Heinz Held. Bei ihm musste Böll keine „aufdringliche Kamera“ befürchten. 

Der Böll-Sohn René, der den Nachlass des Vaters verwaltet, steuerte außerdem einige Ausstellungsstücke aus dem Privatbesitz bei. Siegfried Schmidtke

Die Ausstellung „Heinrich Böll und die Fotografie“ läuft im Museum Ludwig, Köln, Heinrich-Böll-Platz, bis 7. Januar jeden Dienstag bis Sonntag (inklusive Feiertage) von 10 bis 18 Uhr, Eintritt: 12 Euro. Das Heft zur Ausstellung kostet 8 Euro