26.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
15.12.17 / Die bessere Alternative zur Elektronenröhre / Vor 70 Jahren wurde der Transistor erfunden – Grundlegende Vorarbeiten erfolgten durch Deutsche

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 50-17 vom 15. Dezember 2017

Die bessere Alternative zur Elektronenröhre
Vor 70 Jahren wurde der Transistor erfunden – Grundlegende Vorarbeiten erfolgten durch Deutsche
Wolfgang Kaufmann

Der Transistor war die vielleicht wichtigste Erfindung des 20. Jahrhunderts. Ohne ihn gäbe es weder Rechner noch Mobiltelefone oder viele der anderen Geräte, die heute unser aller Leben prägen. Der Transistor ist auch das technische Bauteil, das in der Geschichte der Menschheit bisher am häufigsten produziert wurde. Seine Geburtsstunde schlug vor 70 Jahren, als US-Physiker den ersten funktionierenden Prototypen vorführten.

Um elektrische Signale zu steuern oder zu verstärken, wurden zunächst Röhren verwendet. Diese wiesen allerdings den Nachteil auf, dass sie empfindlich und zugleich voluminös waren sowie reichlich Strom verbrauchten und sich aufheizten. Deshalb suchten Forscher schon bald nach Alternativen zu den unpraktischen Glaskolben, die der Fortentwicklung vieler elektronischer Systeme im Wege standen. Hierbei erzielten zunächst vor allem deutsche und österreichische Wissenschaftler Erfolge. So meldete Julius Lilienfeld 1925 und 1928 Patente auf ein sehr viel handlicheres Halbleiterelement mit Eigenschaften ähnlich denen der Elektronenröhre an. Weitere wichtige Schritte hin auf dem Wege zum funktionierenden Ersatz für das problematische Bauteil gelangen in den 1930er Jahren Oskar Heil, Robert Wichard Pohl und Walter Schottky.

Auf den Vorarbeiten dieser vier Forscher basierten dann die Experimente der Physiker William Shockley, Walter Brattain und John Bardeen von den Bell Telephone Laboratories der Firmen Western Electric und American Telephone and Telegraph Company (AT&T) in Murray Hill (New Jersey). Die Firma AT&T verwendete unzählige Röhren und Relais bei der Vermittlung von Telefongesprächen, was sich als zunehmend kostenintensiv erwies. Deshalb stellte sie schließlich 1945 auf Initiative ihres geschäftsführenden Vizepräsidenten Mervin Kelly eine Wissenschaftlergruppe namens Solid State Division zusammen, die Abhilfe schaffen sollte, indem sie sich die bisherigen Erkenntnisse bezüglich der Konstruktion von Halbleitern zunutze machte. Und tatsächlich gelang dieser mit immerhin einer Million US-Dollar geförderten Arbeitsgruppe der entscheidende praktische Durchbruch, als sie – dem Vorschlag von Bardeen folgend – Ende November 1947 zwei Spitzen aus Gold auf eine Platte aus Germanium setzte. Denn hierdurch entstand ein sogenannter Bipolar- beziehungsweise Punktkontakttransi­stor mit bis zu 100-facher Verstärkerwirkung. Den Namen „Transi­stor“ kreierte übrigens wohl der leitende Bell-Ingenieur und Science-Fiction-Liebhaber John R. Pierce im Rahmen eines firmeninternen Wettbewerbs: Er bildet die Kurzform von „transfer resistor“, was sinngemäß „durch Strom steuerbarer elektrischer Widerstand“ heißt.

Erstmals gemessen wurde der Transistoreffekt, also eine deutliche Spannungsverstärkung innerhalb des Halbleiterbauteils, am 16. Dezember 1947 durch Bardeen und Brattain. Die beiden versäumten es, den ebenso genialen wie menschlich schwierigen Shockley hinzuzuziehen. Darüber verärgert, soll sich der Gastprofessor an der Princeton University tagelang in sein Hotelzimmer zurückgezogen und dort „den ganzen fehlenden Rest“ rund um den Transistor ersonnen haben.

Jedenfalls veranstalteten Bardeen und Brattain am Vormittag des 23. Dezember 1947 einen zweiten Test mit dem improvisierten Halbleiterbauteil unter Zuhilfenahme eines Oszillators. Dabei waren nun auch Shockley sowie der Elektroniker Hilbert Moore, der Physiker Gerald Pearson und der Chemiker Robert Gibney zugegen. Danach hielt das Team den Moment für gekommen, die Erfindung dem Management von AT&T vorzuführen.

Die Demonstration erfolgte noch am Nachmittag desselben Tages im vierten Stock des Gebäudes Nummer 1 der Bell Laboratories. Für das „Weihnachtsgeschenk“ an die Firmenleitung hatten sich die Wissenschaftler etwas Besonderes ausgedacht: Bardeen sprach in ein Mikrofon, das per Kabel mit dem Transistor und einem Lautsprecher verbunden war, und tatsächlich verstärkte die „Wunderschaltung“ seine Stimme deutlich, was bisher nur mit Hilfe der stromfressenden und platzraubenden Röhrentechnik funktioniert hatte.

Für ihren Durchbruch in der Halbleitertechnik, der nachfolgend die epochemachende Miniaturisierung von Elektronikbauteilen mit all ihren weitreichenden Konsequenzen für den technischen und wirtschaftlichen Fortschritt ermöglichte, erhielten Shockley, Brattain und Bardeen 1956 den Nobelpreis für Physik. Und das vollkommen zu Recht, wenngleich ihre Leistung ohne die systematische Nutzung der Vorarbeiten anderer definitiv nicht möglich gewesen wäre.

Genauso verdient hätten die Auszeichnung aber auch die deutschen Physiker Heinrich Welker und Herbert Mataré, die damals für die französische Firma Compagnie des Freins & Signaux Westinghouse in Aulnay-sous-Bois bei Paris arbeiteten. Im Verlaufe der sechs Monate, in denen die Bell-Forscher ihre Erfindung geheimhielten, während die US-Streitkräfte diese auf militärische Brauchbarkeit prüften – übrigens mit negativem Ergebnis –, gelang den beiden nämlich eine Parallelentwicklung, die den Namen „Le Transistron“ erhielt. Der erste funktionierende Prototyp desselben lag im Frühjahr 1948 vor. Allerdings reichten der spätere Siemens-Forschungschef Welker und Mataré das diesbezügliche Patent erst am 13. August 1948 ein, womit sie um wenige Wochen zu spät kamen. Trotzdem trifft Michael Riordan, seines Zeichens Professor für Physikgeschichte an der University of California in Santa Cruz, den Nagel auf den Kopf, wenn er schreibt: „Die wohl wichtigste Erfindung des 20. Jahrhunderts wurde zweimal gemacht – unabhängig voneinander.“

Dass die Fachwelt die Leistung der Deutschen ignorierte, resultierte zum einen aus dem Bestreben der Bell-Physiker, sich als alleinige Väter des Transistors zu präsentieren. Zum anderen spielte aber wahrscheinlich gleichermaßen eine Rolle, dass die Vorarbeiten von Welker und Mataré teilweise unter der Ägide der deutschen Luftwaffe oder im Auftrag von Firmen beziehungsweise Institutionen des Dritten Reiches stattfanden. Offenbar sollte der NS-Staat nicht mit dem größten Meilenstein auf dem Wege der Fortentwicklung der Halbleitertechnik in Verbindung gebracht werden. Das dürfte dann auch die Entscheidung des Herausgebers des Fachblattes „Proceedings of the Institute of Electrical and Electronics Engineers“ aus dem Jahre 1998 erklären, einen Artikel Matarés zum Thema „Die weniger bekannte Geschichte des Transistors“ ohne weitere Begründung abzulehnen.