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22.12.17 / Das Christentum lebt / Und es wandelt sich. Experten sehen Anzeichen einer neuen Gegenreformation

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 51/52-17 vom 22. Dezember 2017

Das Christentum lebt
Und es wandelt sich. Experten sehen Anzeichen einer neuen Gegenreformation
Gernot Facius

Trotz leerer Kirchen sehen immer noch viele Deutsche das Christentum als Fundament unserer Kultur. Weltweit gesehen ist es sogar eine rasch wachsende Religion. Die neuen Christen in Afrika und Asien werden ihren Glauben allerdings deutlich konservativer und fundamentalistischer betreiben.

„Nun sag, wie hast du‘s mit der Religion?“ Die Gretchenfrage aus Goethes „Faust“ ist wieder aktuell. Viele, die an Weihnachten, dem „Fest der Liebe“, die Kirchenbänke füllen, finden vielleicht nur einmal im Jahr in einen Gottesdienst. Darf man deshalb mit dem Finger auf diese „Weihnachtschristen“ zeigen? Eher nicht. Das wäre anmaßend. Denn auch sie, die „religiös Unmusikalischen“, wie sie heute genannt werden, sind angesteckt von der Hoffnung auf das „Heil“, auf Frieden und Gerechtigkeit. 

Deutlich wird auch: Zumindest die christliche Grundierung ist trotz fortschreitender Säkularisierung noch vorhanden. Eine stattliche (Dreiviertell-)Mehrheit im Westen der Bundesrepublik sieht im Christentum das Fundament unserer Kultur. Und dort, wo der religiöse Sinn gelitten oder gar an Bedeutung verloren hat, hat das Christfest auf einer anderen Ebene an Bedeutung gewonnen: Familiäre Rituale überlagern die kirchlichen Weihnachten als Rückzugsgebiet ins heimelige Private.

Auch dieses Faktum sollte man nicht kleinreden. Gewiss, die kirchlichen Erosionserscheinungen sind nicht zu übersehen. Der Anteil der organisierten Christen liegt in Deutschland nur noch bei 58 Prozent. Der Religionssoziologe Detlev Pollack von der Uni Münster sieht als Ursache des Schrumpfens nicht unbedingt Ärger über die sprudelnde Kirchensteuer oder die Affären kirchlicher Amtsträger: „Der entscheidende Punkt ist, dass Eltern ihre Kinder heute viel weniger religiös erziehen und taufen lassen.“ 

Und nicht jeder, der den verfass-ten Kirchen den Rücken kehrt, wechselt ins atheistische Lager. Viele vermeintlich Abtrünnige sind aus Protest gegen unbiblische Tendenzen gegangen. Deutschland, wie überhaupt Europa, ist freilich längst nicht mehr der Nabel der christlichen Welt. Das Christentum in seiner katholischen und evangelischen Ausprägung hat zwar einen dramatischen Wandel hinter sich, aber es ist eine universale, rasch wachsende Religion, auch wenn diese Botschaft noch nicht überall angekommen ist. Es dominiert allerdings der globale Süden. Noch vor 100 Jahren lebten mehr als 80 Prozent aller Christen in Europa und Nordamerika, heute wohnen von 2,2 Milliarden Christen zwei Drittel in Afrika, Asien und Lateinamerika.

Hält der religionsdemografische Trend an, könnte das afrikanische Christentum bald den größten Christenblock bilden. Der britische Religionswissenschaftler Philip Jenkins sagt eine „neue christliche Revolution“ voraus, die möglicherweise in religiöse Auseinandersetzungen, vergleichbar denen des Mittelalters, mündet. Im Klartext: Durch die tektonische Verschiebung der Zentren des Christentums wird es konservativer, charismatischer und fundamentalistischer. Folgt man Jenkins, dann wird etwa der Katholizismus in Afrika und Asien bald wie eine Tradition vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil wirken, verhaftet den alten Gottesdienstformen. Experten sehen Anzeichen einer neuen Gegenreformation vor allem durch das Wachsen der pfingstkirchlichen Bewegung, zu der heute 400 Millionen Gläubige gerechnet werden, um 2040 könnten es schon etwa eine Milliarde sein.

Angehörige der Pfingstkirchen vertrauen auf den Heiligen Geist, auf Wunderheilungen und Erweckungserlebnisse, und sie legen die Bibel wörtlich aus. „Liberale“ Christen in Europa mögen über diese Spiritualität lächeln. Sie werden aber in absehbarer Zeit damit konfrontiert werden, dass evangelikale und pfingstkirchliche Denominationen aus Afrika verstärkt den Fuß auf den europäischen und amerikanischen Kontinent setzen – auch im Zuge der Migrationsbewegung. Dann wird den „progressiven“ Christen von ihren Glaubensgeschwistern aus Übersee ein Sündenregister aufgeblättert werden. Denn in moralischen Fragen wie Homosexualität und Abtreibung sind afrikanische, asiatische und lateinamerikanische Kirchen Lichtjahre von den europäischen Positionen entfernt.