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22.12.17 / Punkte sammeln in Flensburg / Seit 60 Jahren gibt es die sogenannte Verkehrssünderkartei

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 51/52-17 vom 22. Dezember 2017

Punkte sammeln in Flensburg
Seit 60 Jahren gibt es die sogenannte Verkehrssünderkartei
Wolfgang Kaufmann

Es gibt Institutionen hierzulande, mit denen die meisten Menschen nur ungern zu tun haben, obwohl sie permanent in aller Munde sind. Dazu zählt auch jene Dienststelle des Kraftfahrt-Bundesamtes in Flensburg, die das Fahreignungsregister (FAER) führt, das früher „Verkehrszentralregister“ (VZR) hieß und umgangssprachlich „Verkehrssünderkartei“ genannt wird. Dessen Geburtsstunde schlug vor nunmehr 60 Jahren.

Mit Beginn des schwer erarbeiteten Wirtschaftswunders in der Bundesrepublik nahm auch die Zahl der privaten Kraftfahrzeuge explosionsartig zu: Ende 1956 lag sie bereits bei sieben Millionen. Das schuf vielfältige Probleme, wie nicht zuletzt der damalige Verkehrsminister Hans-Christoph Seebohm (CDU) feststellte: „Die Vermehrung der Kraftfahrzeuge aller Art hat zu einer Spannung zwischen den Verkehrswegen und den Verkehrsmitteln im Straßenverkehr geführt, wie wir sie bei den anderen Verkehrsarten niemals haben feststellen können.“ Die Folge hiervon waren 14811 Unfalltote allein im Jahre 1956.

Deshalb sah sich der Gesetzgeber schließlich am 16. Juli 1957 veranlasst, ein Änderungsgesetz zum Straßenverkehrsgesetz zu verabschieden, das Seebohm ermächtigte, mit Zustimmung des Bundesrates Rechtsvorschriften und allgemeine Verwaltungsvorschriften über die flächendeckende Erfassung von behördlichen oder gerichtlichen Entscheidungen nach Gesetzesübertretungen auf Westdeutschlands Straßen und Autobahnen zu erlassen. Und das tat der Minister dann auch bereits am 25. Juli 1957 mit seiner „Verordnung zur Änderung der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung“ betreffs Schaffung eines Verkehrs­zentralregisters.

Dessen Aufgabe bestand zunächst darin, Angaben über Versagungen oder Entziehungen von Fahrerlaubnissen und Verbote im Hinblick auf das Führen von Kraftfahrzeugen sowie auch die Rück­nahme solcher Entscheidungen zu speichern, also Verkehrsverstöße zu dokumentieren und zu verwalten. Verbunden war damit die Hoffnung, dass dadurch ein erzieherischer Effekt zustande kommt und die Verkehrssicherheit steigt. Damit knüpfte das VRZ im Prinzip an die Tätigkeit der Sammelstelle für Nachrichten über Führer von Kraftfahrzeugen an, die bereits 1910 beim Berliner Polizeipräsidium eingerichtet worden und 1945 nach Bielefeld umgezogen war.

Das VZR nahm seine Tätigkeit am 2. Januar 1958 auf. Damals residierte es in einem alten Hafengebäude am Flensburger Brauereiweg, wo die 70 Beschäftigten des Registers bis Ende 1958 Akten über 810000 Verkehrssünder anlegten. Allerdings blieb es nicht lange bei dieser Zahl, weil die Verstöße von Kraftfahrern weiter kontinuierlich zunahmen. So wies das Zentralregister, das zwischenzeitlich in der Bonte-Kaserne untergekommen war und schließlich am 1. Mai 1965 sein endgültiges Domizil in einem eigens errichteten Hochhaus in der Mürwiker Fördestraße gefunden hatte, 1970 bereits 3,3 Millionen Einträge auf. Gleichzeitig starben immer mehr Menschen auf bundesdeutschen Straßen: 1970 lag die Zahl der Verkehrsopfer nun schon bei 19193. Hieraus resultierte die Einführung des noch heute verwendeten Punktesystems im Jahre 1974. Nunmehr galt: Für Verkehrsdelikte gab es Punkte und bei 18 war das Konto voll und der Führerschein erst einmal weg.

Diese Regelung hatte bis zum 30. April 2014 Bestand. Dann erfolgte eine Reform, in deren Rahmen das Verkehrszentralregister in Fahreignungsregister umbenannt und eine neue Verfahrensweise bei der Punktevergabe eingeführt wurde. Seither dürfen Kraftfahrer nur noch acht Punkte einheimsen – im gleichen Zuge kam es allerdings zur Neubewertung sämtlicher Delikte: Konsequenzen drohen jetzt ausschließlich bei einer Gefährdung der Sicherheit im Straßenverkehr. Dann gibt es einen Punkt bei einfachen und zwei bei groben Ordnungswidrigkeiten wie dem Überfahren roter Ampeln, während drei Punkte erst bei Straftaten mit Entziehung der Fahrerlaubnis fällig werden. Zudem verfallen die Punkte nicht mehr nach zwei Jahren „Bewährung“, sondern können bis zu fünf Jahren stehenbleiben.

Auf Platz eins der Verstöße, die Punkte in Flensburg einbringen, liegt dabei mit fast 60 Prozent das Fahren mit überhöhter Geschwindigkeit. Hier traf es vor Jahren sogar den Präsidenten des Kraftfahrt-Bundesamtes Ekhard Zinke höchstpersönlich, als dieser innerorts mit 71 Stundenkilometern geblitzt wurde. Dem folgen Alkohol am Steuer und die Missachtung der Vorfahrt. Manchmal haben freilich auch kuriose Delikte einen Eintrag in Flensburg zur Konsequenz, wie das nächtliche Treiben von unbeleuchteten Schweinen quer über die Landstraße. Drei Viertel der Registrierten sind Männer, wobei wiederum die im Alter zwischen Anfang 20 und Mitte 30 die meisten Punkte kassieren – insonderheit, wenn sie in Autos der Marke Porsche sitzen. Der absolute Rekordhalter ist ein 35-jähriger Lkw-Fahrer, der bis 2012 sagenhafte 1014 Punkte anhäufte, weil die Polizei ihm mittels seines Bordbuches 169 Fahrten ohne Führerschein nachweisen konnte.

Ebenso gibt es Hochburgen, in denen besonders viele Verkehrsverstöße anfallen. Hier rangieren Rostock, Leipzig und Erfurt an der Spitze. Ansonsten sticht auch das Nord-Süd-Gefälle ins Auge. So liegt die Sünderquote in Mecklenburg-Vorpommern am höchsten und wird dann bis hinunter nach Bayern immer niedriger. Desweiteren rangieren die Flächenländer grundsätzlich vor den Stadtstaaten, was daran liegt, dass auf dem platten Land deutlich mehr Auto gefahren wird. 

Aktuell sind rund 10,1 Millionen Kraftfahrer im FAER eingetragen – so viele wie nie zuvor. Damit ist deutschlandweit im Durchschnitt etwa jeder fünfte Inhaber eines Führerscheins in Flensburg aktenkundig geworden. Erfreulicher ist, dass die Verkehrssünderkartei ihren Zweck zu erfüllen scheint, ist sie doch neben den zahlreichen technischen Neuerungen an den Fahrzeugen definitiv mit dafür verantwortlich, dass die Zahl der Verkehrstoten bis zum Jahr 2016 auf 3214 gesunken ist. Das veranlasste den Sprecher des Kraftfahrt-Bundesamtes Stefan Immen zu der Aussage: „Wir finden das Register ganz großartig und halten es für eine der wesentlichen Säulen der Verkehrssicherheit auf unseren Straßen.“ Darin stimmt ihm der Allgemeine Deutsche Automobil-Club (ADAC) zu, der den pädagogischen Nutzen der vor 60 Jahren ins Leben gerufenen Sünderkartei durchaus anerkennt und es für grundsätzlich begrüßenswert hält, wenn aggressive Fahrer mit ihrem Verhalten konfrontiert werden und Mehrfachtäter spürbare Konsequenzen erleben.