19.04.2024

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22.12.17 / Lewe Landslied, liebe Familienfreunde,

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 51/52-17 vom 22. Dezember 2017

Lewe Landslied, liebe Familienfreunde,

kein Fest führt uns so in die Kindheit zurück wie Weihnachten. Da verblasst Ostern, da vergisst man Silvester, da muss selbst der lustigste Kindergeburtstag zurückstehen. Wenn die vierte Kerze am Adventskranz angezündet wurde stieg die Erwartung auf der Skala der weihnachtlichen Vorfreuden fast bis zum Siedepunkt. Der wurde erreicht, wenn man festlich gekleidet vor der Türe zum Weihnachtszimmer bibberte und sie dann endlich geöffnet wurde, wenn das Glöckchen bimmelte. Und wieder wie in jedem Jahr war es der schönste Weih­nachtsbaum, der im Lichterkleid erstrahlte – selbst wenn er nur aus ein paar nadelnden Zweigen bestand, weil Vater sich mit dem Kauf zu viel Zeit gelassen hatte und dann nehmen musste, was übrig blieb. Und es waren die buntesten Bunten Teller, die Geschwister hatten noch nie so gut vierhändig gespielt, wie auch die Eltern versicherten, und es waren immer die schönsten Weihnachtsgeschenke, die man je bekommen hatte – jedenfalls so empfand ich es damals, als ich noch ein Kind in Königsberg sein durfte. Nur eines trübte zu Beginn der häuslichen Weihnachtsfeier die Stimmung, die sich erst löste, wenn man es aufgesagt hatte – das Weihnachtsgedicht! Ohne Steckenbleiben, ohne Stottern und mit viel Betonung – und dann den Eltern den goldumrandeten Weih­nachtsbogen überreichte, in dessen Innenseite man das Gedicht in Schönschrift und ohne zu kleck­sen geschrieben hatte. Und Muttchen behauptete, es sei der schönste Weihnachtsbogen, den sie je bekommen hatte, obgleich das bunte Stammbildchen auf der Vorderseite wie immer mein Lieblingsmotiv zeigte: Ein tief verschneites Häuschen mitten im Wald und davor ein Reh, manchmal mit oder ohne Kitz, das war der Unterschied.

So hütet jeder von uns seine weihnachtlichen Erinnerungen und holt sie einmal im Jahr hervor. Das hat auch unser Landsmann Johannes Fellner aus Höslwang getan und für uns sein Gedenken an eine glückliche Kindheit in Ostpreußen in Worte gefasst. Weil der Brief auch an unsere Leser gerichtet ist, reichen wir zuerst seine Weihnachtswünsche weiter. „Mit meinen Erinnerungen möchte ich unseren lieben Landsleuten ein wenig Heimat und Wärme vermitteln, ich wünsche ihnen viel Licht und gute Gedanken. Es geht ja nichts verloren, auch wenn es äußerlich nicht mehr existiert.“ Und dies ist seine kleine Geschichte, die er für unsere Familie geschrieben hat:

„Es ist dämmerig im Wohnzimmer bei den Großeltern. Ich sehe mich als kleinen Jungen auf dem niedrigen Plüschhocker sitzen. Großvater sitzt in seinem großen Ohrensessel. Neben ihm hängt das mächtige Geweih eines Zwölf­enders. An der anderen Seite des Zimmers das große Dünenbild von Arthur Steiner, auf dem Tisch blinkt im Kerzenlicht die Silberschale, gefüllt mit Plätzchen. Der Samowar auf der Anrichte summt gemütlich. Nun stopft Großvater bedächtig seine Pfeife und setzt sie in Brand, das Streichholz senkt seine Flamme in den Pfeifenkopf in gefährlicher Nähe zu seinem weißen, langen Vollbart. Blaue Wölkchen quellen hervor, durchziehen das Wohnzimmer.

‘Tja, mein Jungchen, was soll ich dir erzählen?’ Und dann füllt sich der heimelige Raum mit Bildern, lebendig, bunt. Ich sehe mich mitten auf der Wiese sitzen und zusehen, wie der Bulle mit gesenktem Haupt den Großvater angreift und seine Dogge Caesar das Ungetüm anspringt und vertreibt. Nicht minder gefährlich die Pirsch im feuchten Bruch, als die führende Elchkuh mit hocherhobenen Läufen den Jägersmann angreift. Ich war dabei, als Großvaters Jägerkompanie die große Eisenkiste, gefüllt mit goldenen Rubeln, findet – die russische Kriegskasse! Ich warte mit Spannung auf die Vögel, die den halbzahmen Uhu auf der Vogelwarte Rossitten angreifen, um dann Opfer der wachsamen Jäger zu werden. Es ist dunkel geworden, Bilder einer fernen und doch so nahen sagenhaften Welt wabern um den Knaben, sprechen zu ihm. Da tischt die tüchtige Großmutter etwas Herzhaftes auf, und in den heißen Tee fällt mit leisen Plumps und feinem Geklingel ein ordentliches Stück Zuckerkant.“ Das ist die Erinnerung, die Johannes Fellner aufschrieb als Weihnachtsgabe für unsere Leserinnen und Leser, obgleich der Name des Festes darin nicht einmal vorkommt.

Aber in den Erinnerungen meines Königsberger Landsmanns Hans-Georg Balzer taucht es wieder auf, und wenn es auch nur ein paar kurze Sätze sind, so spricht doch die Sehnsucht nach der Weihnachtszeit in seiner Vaterstadt aus ihnen. Auf dem Briefbogen gibt Herr Balzer noch immer seine Königsberger Adresse an: Hans-Georg Balzer zu Hause in Königsberg/Pr. Rich. Wagner Str, 27/28. Zu Hause – dahin gehen seine Gedanken, die er für unsere Familie aufgeschrieben hat: „Auch in diesem Jahr müssen wir das Christfest wieder fern unserer geliebten Heimat begehen. In diesen Tagen gehen meine Gedanken noch öfter als sonst nach Hause an den Pregel. Ich wandere durch die weihnachtlichen Straßen zu der ‘dicken Tante mit dem großen Herzen’ in der Bullatenstraße, über die ich schon geschrieben habe. Nun ja, selbst in schweren Zeiten durften wir noch zu Hause sein. Heilig Abend wurde es immer dann, wenn vom Schlossturm die alten Weihnachtslieder erklangen. Diese Erinnerung kann uns niemand nehmen.“ Vom Schlossturm aus geht auch der Blick über Königsberg in einem Bild, das Herr Balzer seinem Schreiben beigefügt hat. Es ist die Abbildung eines Gemäldes, das im Königsberger Dom hängt. Jörn Pekrul hat es aufgenommen – so dreht sich eben alles im Familienkreis. Und dreht sich weiter, denn aus Estland meldet sich unsere Freundin Anne Rekkaro, über deren Suche nach ihrer Königsberger Kindheit wir schon oft berichtet haben, und die in Jörn Pekrul einen guten Wegbegleiter für die Besuche in ihrer Geburtsstadt gefunden hat. Er sandte ihr als Weihnachtsgabe auch mein Buch „Der Wiesenblumenstrauß“, wo­rüber sie sich sehr gefreut hat. Und ich natürlich auch, wobei ich die Gelegenheit nutze, dem Verlag Rautenberg meinen Dank zu sagen, dass er dieses längst vergriffen gewesene Buch in gebundener Form neu herausgebracht hat, zusammen mit zwei weiteren Büchern von mir: „Rote Korallen“ und „Die Weihnachtsfamilie“. Eine große Freude für mich und sozusagen ein vorgezogenes Weih­nachtsgeschenk.

In der Weihnachtbäckerei geht es anscheinend auch in Estland hoch her, wie das Foto beweist, das uns Anne Rekkaro als Weih­nachtsgruß zusandte – ein Blech mit Lebkuchen, hübsch dekoriert mit Mandeln und Kirschen. An das Pfefferkuchenbacken erinnert sich auch Frau Jutta Abu Medain aus Lüdenscheid. „Zum 25. November, Kathrein, so ist es mir in Erinnerung geblieben, begann meine Mutter mit der Weih­nachtsbäckerei. Zunächst wurden die länger lagernden Gebäcke wie Pfeffernüsse hergestellt, in den Folgewochen dann die feineren Plätzchen.“ Diese Erinnerung bringt Frau Jutta auch in ihr Kalenderbuch mit ein, das der eigentliche Anlass ist, an uns zu schreiben, und mit dem sie eine Bitte verbindet. Sie schreibt: „Als unser Junge noch klein war, aber schon anfing, viele Fragen zum Alltagsgeschehen zu stellen, habe ich diese nicht nur gerne beantwortet, sondern auch begonnen Material für einen Familienkalender zu sammeln. Das konnten Gedichte, Lieder, Zitate sein, aber auch Aufzeichnungen von den Erinnerungen meiner Eltern – ‘wie es früher war’ –, Zeitungsberichte und Fotos. Zunächst als Geschenk für unsern Sohn gedacht, ist in den vergangenen Jahren daraus ein umfassendes Buchprojekt geworden. Inzwischen ist der Almanach, wie ich ihn nenne, bereits üppig mit Fundstücken und Begleittexten versehen. So habe ich ‘Kathrein’ das Thema ‘Lebkuchen’ zugeordnet und mich dabei natürlich auch mit den Thorner Kathrinchen beschäftigt. Das Ostpreußenblatt war dabei eine von vielen Quellen, die ich nutzen konnte.“

Und dabei stieß Frau Jutta in Folge 9 vom 28. Februar 1987 auf unsere Ostpreußische Familie, in der ich über d a s Kochbuch schrieb, nach dessen Rezepten Generationen von ostpreußischen Frauen kochten: Doennigs Kochbuch. Ich erinnerte mich noch genau, welche Faszination das Buch auf mich kleine Marjell ausübte, wenn Muttchen es hervorholte, nicht nur, weil es die Geheimnisse vieler leckerer Rezepte barg, sondern weil diese frühe Ausgabe für mich auch eine Art Kinderbuch war mit den heiteren Zeichnungen von fleißigen Heinzelmännchen, die der gestressten Hausfrau halfen. Ich durfte, wenn Muttchen backte und briet, die lustigen Bilder betrachten – ein Privileg, das ich zu schätzen wusste. Darüber hatte ich nun in der erwähnten Folge geschrieben, weil eine Leserin nach diesem Kochbuch suchte. Inzwischen sind die Heinzelmännchen aus den Neuauflagen der ostpreußischen „Kochfibel“ verschwunden, sie sind Rezeptfotos gewichen, aber Frau Jutta möchte gerne eine Abbildung von den Zeichnungen haben, weil sie ihr Kalenderbuch damit illustrieren will, sie hat da an den Monat Dezember mit dem Thema „Marzipan“ gedacht. Leider ist sie auf ihrer Suche in verschiedenen Antiquariaten nicht fündig geworden, aber vielleicht besitzt noch jemand aus unserem Leserkreis diese nun über 100 Jahre alte Ausgabe oder kann Hinweise auf eine Abbildung geben.

Auch Frau Hildegard Wilkens aus Hamburg-Harburg backt noch selber Pfefferkuchen, allerdings verzichtet sie auf das lange Reifen des Kuchenteigs. Da ihre Nichte ihr dabei hilft, hat diese wohl das Rezept mit eingebracht, das Frau Hildegard an die Ostpreußische Familie weitergeben möchte: Honigkuchen mit Rapsöl. Der Teig braucht nur eine Stunde im Kühlschrank zu ruhen.

Gleich nach welchem Rezept gebacken wird: Lewe Landslied, genießt die Feiertage mit ihrem Duft von Honig, Mandeln und Tannengrün und folgt dem Ratschlag eines guten Freundes, der die Weisung seiner memelländischen Mutter befolgen will: Ein bisschen abruhen!

Eure Ruth Geede