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22.12.17 / Süße Weihnacht / Voll auf Zucker – An den Feiertagen haben Naschereien Hochkonjunktur

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 51/52-17 vom 22. Dezember 2017

Süße Weihnacht
Voll auf Zucker – An den Feiertagen haben Naschereien Hochkonjunktur
Susan Bäthge

Weihnachtszeit, Genießerzeit, Backzeit. Kekse, Stollen, Dominosteine haben jetzt Hauptsaison. Naschkatzen zelebrieren den Verzehr der süßen Leckereien und verteidigen etwaige Kritik mit der Behauptung, alle Menschen seien von Natur aus Süßschnäbel. Doch werden wir tatsächlich immer zuckersüchtiger? Was raten die Experten? Und gibt es ein Entrinnen aus der Zuckerfalle?

Die Backbuchbranche boomt im Weihnachtsgeschäft. TV-Back­königin Cynthia Barcomi und der israelische Starkoch Yotam Ottolenghi brachten kürzlich ihre neuesten Werke auf den Markt. Ottolenghi nennt seines kurz und bündig „Sweet“, also „Süß“: „Im Kuchenbacken steckt viel mehr als nur Zucker. Es ist doch die ganze Zeremonie, die Tradition, die Muße, die zählen.“

Die Amerikanerin Barcomi mit Wohnsitz Berlin nimmt „nur gute Zutaten“ für ihre süßen Leckereien und betont: „Super sinnlich soll es sein! Der Weg zum Gebäck ist Teil vom Ziel, etwas Leckeres Selbstgemachtes zu kreieren.“ Barcomis Backschule beweist, dass Schokoladen-Chiffon-Torte, Biskuitroulade oder Buttermilch-Apfel-Muffins nicht schwer und mächtig sein müssen. 

Das reinste Schlaraffenland finden Berliner Naschkatzen in den Hackeschen Höfen, die sich auf die Fahnen geschrieben haben, ausschließlich Berliner Traditionsfirmen Einzug zu gewähren. Nur wenige Häuser vom Schokoladenhersteller Sawade entfernt, hat das Familienunternehmen Aseli eine kleine feine Naschboutique erschaffen. Die zartrosa Wände sind mit weißen und roten Fliesen verziert und erinnern an einen Tante-Emma-Laden aus vergangenen Tagen. Massive Holzschränke mit Kupferelementen und große Neonmäuse im Schaufenster katapultieren den Süßwarenladen schlagartig ins 

21. Jahrhundert. 95 Jahre nach dem ersten Ladengeschäft in der Karl-Marx-Allee hat die Maus, das Ladenmaskottchen, ein neues Zuhause gefunden.

Seit 1921 stellt Aseli Köstlichkeiten aus Schaumzucker her, jede Süßigkeit ist ein mit viel Lie­be zum Detail hergestelltes Unikat: Handgekocht, handgespritzt, handverpackt. Das Aushängeschild, die weiße Riesenmaus mit roten Augen, hat längst Kultstatus erlangt und wird bis nach Amerika exportiert. Ein Berliner Original mit unverwechselbarem Ge­schmack. Waldmeister, Vanille, Apfel oder Zitrone erweiterten die zuckersüßen Träume. 

Inhaber Michael Seliger wird von seinen Kunden jeden Tag bestätigt: „Die Menschen sehnen sich nach Handwerk, Tradition und Nostalgie in unserer schnelllebigen Zeit.“ Der gelernte Konditor übernahm in dritter Generation die Berliner Manufaktur, die in den Goldenen 20er Jahren von Großvater Alfred gegründet und nach ihm benannt wurde. Er träumte bereits als Kind davon, eigene Süßigkeiten herzustellen und zog mit einem Bollerwagen durch die Straßen, um den Berliner Einzelhändlern seine eigens kreierten Schaumzucker-Leckereien zu verkaufen. Schon bald war er mit seinen immer neuen Kreationen in der ganzen Stadt bekannt – der Grundstein für Aseli war gelegt. An der Zucker­dis­kussion möchte sich Nachfahre Michael nicht beteiligen, seine Maus mag er nicht rechtfertigen: „Verantwortungsbewusstes Essen bietet keinen Nährboden für Zuckersucht!“

Nichts Neues ist, dass zu viel (Industrie-)Zucker schlecht für uns ist. 35 Kilo Zucker nimmt jeder Deutsche pro Jahr zu sich, und jedes fünfte Kind schleppt sich hierzulande mit zu viel Gewicht durchs Leben, Tendenz steigend. 

Der Londoner Ernährungswissenschaftler John Yudkin warnte bereits 1972 vor dem weißen Suchtmittel: „Würde nur ein Bruchteil dessen, was wir über die Folgen von Zucker wissen, über irgendein anderes Lebensmittel bekannt, es würde sofort verboten.“ Der Professor für Ernährung war sicher, dass Zucker und nicht Fett der wahrscheinlichere Grund für Volksleiden wie Fettleibigkeit, Herzerkrankungen und Diabetes sei. 

Der Adipositas-Experte Robert Lustig hat die Effekte von Zucker auf das metabolische Syndrom, den Folgen der Fettleibigkeit, untersucht und mit seinem 

90-minütigen Vortrag im Internet einen echten YouTube-Hit gelandet: „Zucker: Die bittere Wahrheit“ wurde mehr als sechs Millionen Mal angeklickt.

Die ehemalige Verbraucherschutzministerin Renate Künast hält Zucker gar für „den neuen Tabak“, wie sie im Maischberger TV-Talk „Teufelszeug oder Ge­nussmittel?“ verkündete: „Seine Schädlichkeit hat man zu lange unterschätzt.“ Sie persönlich sei überzeugt, dass Zucker krank mache.

Längst ist es zum Trend geworden, zeitweise auf Zucker zu verzichten – Selbstversuche enden oft im „Psychotrip“, Probanden berichten von Kopfschmerz, Ungeduld, Reizbarkeit. Es scheint fast unmöglich, ganz auf Zucker zu verzichten, denn der Suchtstoff steckt auch in Brot, Nudeln oder Kartoffeln. Agavendicksaft oder Honig sind zwar gesünder, aber diese Süße kann auch abhängig machen. Künstliche Süßstoffe erhöhen die Lust auf Zucker. 

Das Süßkraut Stevia ist für viele keine echte Alternative, weil der Beigeschmack äußerst gewöhnungsbedürftig ist. Nach wenigen Wochen der Unausgeglichenheit soll das Verlangen nach Zucker übrigens verschwunden sein, inklusive aller Entzugserscheinungen. Statt abfallendem Blutzuckerspiegel und Müdigkeit nach dem Mittagessen sei hochkonzentriertes Arbeiten möglich – energetisch, kraftvoll und ausgeglichen, berichten Kenner.

So bleibt vielleicht nur eine Chance, der Zuckerfalle zu entkommen und trotzdem die Weihnachtszeit zu genießen: Alles in Maßen und bewusst genießen, statt die ungezügelte Sucht nach Zuckerhaltigem zu entwickeln. „Nutzt eure Sinne, hört auf euren Körper!“, gibt Ottolenghis Co-Autorin Helen Goh mit auf den Weg und appelliert an die Eltern: „Lebt euren Kindern ein ausgewogenes Leben vor, schafft keine Basis für eine Naschfalle und damit keine kleinen Zuckermonster!“