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05.01.18 / Mit einer Dosis Zyankali / Wenn Menschen aus politischen Gründen Selbstmord begehen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 01-18 vom 05. Januar 2018

Mit einer Dosis Zyankali
Wenn Menschen aus politischen Gründen Selbstmord begehen
Wolfgang Kaufmann

Am 29. November verurteilte der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag den früheren Generalmajor und Oberbefehlshaber der bosnisch-kroatischen Armee Slobodan Praljak letztinstanzlich wegen angeblicher Verstöße gegen das Kriegsvölkerrecht und die Genfer Konvention zu 20 Jahren Haft (siehe PAZ 50, Seite 6). Daraufhin rief der Angeklagte empört: „Slobodan Praljak ist kein Kriegsverbrecher, mit Verachtung weise ich Ihr Urteil zurück.“ Wenige Sekunden später schluckte der Ex-Militär eine tödliche Dosis Zyankali. Diese spektakuläre Tat veranlasste die „Bild“-Zeitung zu schreiben, das sei „der feige Selbstmord eines Kriegsverbrechers“ gewesen, „der seine gerechte Strafe nicht ertragen wollte“.

Das kann man auch ganz anders sehen. Sogar ohne den bemerkenswerten Umstand zu diskutieren, dass das Tribunal in Den Haag bisher immer recht einseitig agierte und Kriegsverbrechen von muslimischen Kombattanten im Jugoslawienkrieg nur mit lächerlich geringen Strafen sanktionierte oder am Ende gar auf Freispruch erkannte: typische Beispiele sind die Prozesse gegen die Generäle Naser Oric und Sefer Halilovic.

Beim genaueren Hinsehen erscheint der Suizid des 72-jährigen Praljak kaum als Ausdruck persönlicher Feigheit und Flucht vor der Verantwortung. Immerhin hatte sich der Kroate ja 2004 freiwillig gestellt und seitdem im Untersuchungsgefängnis gesessen. 

Viel eher agierte der frühere General wohl im Rahmen der uralten Tradition, nach der Selbstmord dann legitim oder gar geboten ist, wenn es gilt, ein starkes finales Zeichen gegen Missstände oder Ungerechtigkeiten zu setzen und die eigene Ehre zu verteidigen. So ergeben sich Parallelen zu den japanischen Samurai, die mit dem Seppuku (im Westen besser bekannt als Harakiri) einen bis in die jüngere Vergangenheit gepflegten Brauch begründeten, nach dem die rituelle Selbsttötung mittels Bauchschnitt beispielsweise auch dann erfolgen konnte, wenn der ausführende Krieger gegen Entscheidungen seines Herrn oder der Obrigkeit protestieren wollte.

Gleichermaßen sei an all die anderen erinnert, deren spektakulärer öffentlicher Suizid als Anklage gedacht war. Zu nennen wären hier  Personen der Zeitgeschichte wie die tschechischen Studenten Jan Palach und Jan Zajíc, die sich am 19. Januar beziehungsweise 25. Februar 1969 auf dem Wenzelsplatz verbrannten, um gegen die gewaltsame Niederschlagung des „Prager Frühlings“ zu demonstrieren. So wie auch der DDR-Pfarrer Oskar Brüsewitz, der 1976 als lebende Fackel endete, weil er ein Zeichen gegen die Kirchenfeindlichkeit des SED-Regimes in Ostberlin setzen wollte. Respekt verdient sicherlich auch der jüdische Journalist Štefan Lux. Dieser erschoss sich am 3. Juli 1936 während einer Generalversammlung des Völkerbundes in Genf, um auf den Antisemitismus im Dritten Reich aufmerksam zu machen. Und dann wäre da noch die 16-jährige Amina Filali aus Marokko, die am 15. März 2012 eine tödliche Dosis Rattengift einnahm, nachdem man sie gezwungen hatte, ihren Vergewaltiger zu heiraten. All diese Menschen waren sicherlich genauso wenig feige wie Praljak.

Mut braucht es, den eigenen Lebenswillen aus freien Stücken zu überwinden. Die Frage, ob der Freitod legitim ist, führt dabei nicht nur unter Philosophen, Theologen und Psychiatern zu leidenschaftlichen Debatten. „Es gibt nur ein wirklich ernstes philosophisches Problem: den Selbstmord“, befand Albert Camus, der französische Schriftsteller und Philosoph. Diejenigen, die ihn begehen, dürften sich darum wenig scheren. Die Schweizer Theologin und Judaistin Verena Lenzen fordert, dass man ihnen Achtung entgegenbringt: „Die Selbsttötung ist weder als Sünde noch als Krankheit zu interpretieren, sondern als vielschichtige Vollendung eines konkreten Lebens zu respektieren.“