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05.01.18 / Ein Planet namens Erde / Naturschutz ist lebenswichtig, dennoch besitzt die Erde enorme Fähigkeiten, sich selbst zu heilen – Einige verblüffende Erkenntnisse

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 01-18 vom 05. Januar 2018

Ein Planet namens Erde
Naturschutz ist lebenswichtig, dennoch besitzt die Erde enorme Fähigkeiten, sich selbst zu heilen – Einige verblüffende Erkenntnisse
Ulrike Dobberthien

Umweltsünder Nummer Eins ist nicht der Mensch, sondern die Erde selbst. Heiße Quellen auf dem Meeresboden speien tonnenweise gefährliche Schwermetalle in die Ozeane. Vulkane verpesten die Atmosphäre mit quadratkilometergroßen Giftwolken. Bewohnbar bleibt der „wilde“ Planet trotzdem. Fünf Mal in seiner Geschichte hat er alles Leben allerdings auch beinahe ausgerottet.

Seit dem März 2009 sucht das Weltraumteleskop Keppler im Universum nach Planeten. Dabei gibt es einen, der ist so wild, unberechenbar und gefährlich, dass es schaudert: Auf glühendem Magma treiben hauchdünne, erstarrte Schollen aus teils giftigen, teils radioaktiven Elementen. Wenn sie kollidieren, ist ihre Wucht so groß, dass sie dadurch explosive Eruptionen aus giftigen Gasen, Schwefeldioxiden, erstickendem Staub und 1200 Grad heißem, flüssigen Gestein bis zu vier Kilometer in den Weltraum schleudern, dass sie problemlos die Achse des Planeten um acht  Zentimeter verschieben und ihn schneller rotieren lassen. Aus den gewaltigen Ozeanen des Planeten dünsten Methanwolken, auf seinem Boden speien Schlote 300 Grad heißes Wasser voller giftiger Schwermetalle. Asphaltvulkane teeren den Seeboden mit zähen Bitumen und Ölschichten.

Der Planet heißt Erde. Wenn er sich einmal schüttelt, einmal hustet oder einmal etwas stärker von der Sonne angehaucht wird, hat er die Gewalt, sämtliches Leben, das auf ihm wimmelt, fast vollständig auszurotten. Fünf Mal kam so ein Massenaussterben in der Geschichte der 4,6 Milliarden alten Erde bisher vor. Alle fünf Mal regenerierte sich das Leben auf unserem gewalttätigen Planeten auf stürmische Weise. Das ist wichtig, weil es den Menschen, der seit jeher dazu neigt, sich zu überschätzen, wieder auf seinen Platz rückt: eine Lebensform, deren Wirken und Werken bereits in die ungeheure, gleichgültige Existenz der Erde eingepreist ist. Denn es zeigt sich, wie wenig der Mensch der Erde schaden kann. Das klingt paradox: Schließlich möchte niemand morgens aufwachen und auf einen schwarzglänzenden Ölstrand gucken, in dem verteerte Vögel flappen, weil gerade ein Tanker havariert ist. Oder in einer Schwefelwolke sitzen, weil im Chemiewerk nebenan die eine oder andere Leitung explodierte. Darum erfand der Mensch den Umweltschutz – weil er nun mal lieber in einer Umgebung lebt, die für ihn angenehm ist. 

Das ist richtig, wichtig und ein ungeheurer zivilisatorischer Fortschritt. Der Erde ist das aber egal. Sie kann das ab und regeneriert sich in erstaunlich schneller Zeit. Sie unterscheidet nicht zwischen „natürlichen“ und „menschgemachten“ Umweltkata-strophen. Das Leben, das auf ihr an den giftigsten, scheinbar lebensfeindlichsten Orten der Welt gedeiht – eben an den Asphaltvulkanen, an den Schwarzen und Weißen Rauchern – zeugt von dieser Vitalität in dem, was fanatisierte Naturschützer eigentlich sofort verbieten müssten: „Korken in alle Vulkane!“, „Stoppt die Plattentektonik!“

Auffällig ist etwa, dass eine der größten menschgemachten Umweltkatastrophen in keiner einzigen Klima- oder Umweltstatistik auftaucht, obwohl durch sie, folgt man dem üblichen Alarm, alle Meere und Kontinente unrettbar verseucht sein müssten: der Zweite Weltkrieg. Denn den hat „die Natur“ längst weggesteckt. Was die Kriegsflotten 1939 und 1945 allein in den Weltmeeren, vor allem im Atlantik, dem Golf von Mexiko, der amerikanischen Ostküste und der europäischen Westküste an vollbeladenen Tankern, Frachtern und Munitionstransportern versenkten, ist ungeheuer. 1941 schickten deutsche U-Boote vor der Küste North Carolinas allein 400 Schiffe auf den Grund. Die komplette Flotte der neun „Arrow“-Tanker von Socony-Vacuumm Oil Co., also dem Mobil-Konzern, musste vollbeladen – je 86000 Barrel Öl – daran glauben. 1941 bis 1944 versanken 4000 vollbeladene Tanker im Atlantik. Bis 1945 flossen geschätzte zehn Millionen Tonnen Öl und Flugbenzin allein ins Nordmeer. Bilder aus der Zeit zeigen die brennenden Ölschiffe, die pechschwarzen Rauchsäulen zu Wasser und zu Land, denn auch die Treibstofflager brannten: bombardiert, angezündet, gesprengt. 

Moderne Tankerunglücke wie das der Torrey Canyon vor Cornwall (1967, 119000 Tonnen Rohöl), der Amoco Cadiz (1978, 223000 Tonnen Rohöl) vor der Bretagne und der Exxon Valdez in Alaska (1989, 37000 Tonnen Rohöl) muten dagegen an wie ein Klacks.

2011 stellten britische Biologen fest, dass sich Leben und Meeresboden rund um das von der Ölpest betroffene Gebiet der Torrey Can-yon wieder vollständig erholt hatten. Im Golf von Mexiko ist auch nichts mehr zu spüren. Doch, halt – da gab es doch 2010 die Explosion der Bohrinsel Deepwater Horizon samt Ölpest, einer 35 Kilometer langen Ölwolke in etwa 1100 Metern Tiefe. Vorbei, vergessen, gefressen von Mikroorganismen. Jenen, die vom deutschen Forschungsschiff Sonne im Jahr 2003 als Beifang eingesammelt wurden, als die Wissenschaftler im Golf von Mexiko Asphaltvulkane entdeckten, aus denen ständig Öl und Teer fließen („Campeche Knolls“).

Das erklärt, warum auf Satellitenbildern oft Ölflecken über Asphaltvulkanen zu erkennen sind, die als Wegweiser dienen. „Wir suchen Asphaltvulkane, indem wir auf Satellitenbildern nach relativ kleinen Ölflecken auf dem Wasser schauen. Diese stammen von Öl, das aus 3000 Metern Tiefe an die Oberfläche steigt. Finden wir Stellen, an denen sich die Ölflecken über lange Zeit am selben Ort halten, lohnt es sich nachzusehen, ob dieses Öl aus einem Asphaltvulkan aufsteigt“, so der auf marine Geologie spezialisierte Professor Gerhard Bohrmann von der Universität Bremen, der damals an der Entdeckung beteiligt war.

Ihr ausgespuckter Asphalt besteht aus einer schwer verdaulichen Mischung von Gesteinen und vor allem aus Bitumen oder Erdpech. Das sind langkettige Kohlenwasserstoffe mit gebundenem Schwefel, Sauerstoff, Stickstoff und winzigen Spuren von verschiedenen Metallen. Der Laie hält das für verheerend – doch der Wissenschaftler ist entzückt: „Wir haben dort ein ganzes Ökosystem gefunden, dass nicht nur auf Asphalt lebt, sondern sich anscheinend von ihm ernährt“, beschreibt Bohrmann die Situation in 3300 Meter Tiefe vor der Küste der mexikanischen Halbinsel Yucatan. Neben ganzen Büscheln von Bartwürmern gibt es verschiedene Muschelarten, Krebse, sesshafte Korallen- oder schwammartige Gebilde, Fische und vor allem gewaltige Mengen an Bakterien – also ähnlich vielfältige, reiche Lebensgemeinschaften, wie man sie in den letzten 30 Jahren an Schwarzen und Weißen Rauchern am Meeresboden entlang des gesamten Atlantischen Rückens gefunden hat. 

Apropos Schwarze und Weiße Raucher: Diese Millionen Hydrothermalquellen mit ihrem ununterbrochenen Ausstoß von 300 Grad heißem Wasser erwärmen die Ozeane nicht – ebenso wenig wie die unzähligen Unterwasservulkane im Pazifik und Atlantik, die dort ständig kochende Lava als neuen Meeresboden produzieren.

Womit die nächste Ungeheuerlichkeit der wilden Erde ins Visier gerät: gigantische Vulkanausbrüche, die weltweit für Hungersnöte, Missernten und sogenannte genetische Flaschenhälse sorgten, weil durch sie fast die gesamten Tiere und Menschen des betroffenen Gebiets starben. Als verheerendste Naturkatastrophe der Neuzeit gilt 1783/84 der acht Monate währende Ausbruch des isländischen Lakis, Teil des Grimsvötn-Vulkansystems: Schwarze Aerosolwolken zogen damals vom Atlantik bis zum Schwarzen Meer. Eisige Hungerwinter mit minus 27 Grad waren die Folge. Allein in England verhungerten 25000 Menschen. In Europa, so neue Schätzungen, starben mehrere Hunderttausend und weltweit Millionen, da die Vulkanasche und seine Gase, Fluor, Schwefeldioxid, Schwefelwasserstoff, Kohlendoxid, in der Stratosphäre jahrelang um den Globus zogen. 

Die Erde, die ungeheuer vitale „Natur“, hat sich von allem erholt. Denken Sie ruhig daran, wenn Sie zum nächsten Spaziergang aufbrechen, um in der Natur beim tiefen Durchatmen aufzutanken. Freuen Sie sich an ihr. An ihrer Schönheit. Und dass Sie gerade nicht dort sind, wo sie wild ist. Lassen Sie ihre Gedanken zum Umweltschutz wandern: Er ist richtig und wichtig. Aber bitte drei Nummern kleiner: nicht „für den Planeten“, dem er egal ist sondern für unseren eigenen Seelenfrieden. Für unser Glück. Weil kein Mensch am Morgen aufwachen will, und statt auf einen Strand auf eine Ölwüste gucken will.