18.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
05.01.18 / Der Sozialstaat als filigraner Gängeler

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 01-18 vom 05. Januar 2018

Der Sozialstaat als filigraner Gängeler
Nike U. Breyer

Was nun?“, lautet die Frage, die Dimitrios Kisoudis dem zunehmend aus den Fugen geratenen Staat Bundesrepublik Deutschland im Titel seines neuen Buches stellt, um im Untertitel „Vom Sozialstaat zum Ordnungsstaat” zugleich die bündige Antwort zu geben. Dem Ideal des Ordnungsstaates, der sich klug auf sein ureigenes Terrain beschränkt, innere und äußere Sicherheit garantiert, die Außenpolitik bestimmt und ansonsten dem Bürger seine Freiheit garantiert und sichert, stellt Kisoudis den „totalen“ Staat gegenüber, der immer mehr Aufgaben findet, sich in alles einmischt und an allem scheitert, weil die immer filigranere Gängelung des Einzelnen seine Voraussetzungen und Mittel überstrapaziert – Paradebeispiel Asylkrise. 

Zeitlich umfasst das Buch die staatsrechtlichen Auseinandersetzungen vom Kaiserreich über die Weimarer Republik – das Dritte Reich bleibt ausgeklammert – bis zur Bundesrepublik und wirfte einen Blick auf die EU. Das alles ist interessant zu lesen und auch flott formuliert, wenn auch bisweilen etwas schief. So sei, mit Kisoudis gesprochen, der tiefrote Marburger Politologe Wolfgang Abendroth ein „Meister des method acting …, der Robert de Niro des Verfassungsrechts“. Nun ja. Kisoudis, der bereits Dokumentarfilme gedreht hat, scheint außerdem ein Faible für den dramatischen Showdown zu besitzen: „Mit Carl Schmitt, Rudolf Smend und Hermann Heller werfen ein Katholik, ein Protestant und ein Sozialdemokrat ihre politischen Überzeugungen in den Ring. Alle drei orientieren sich an der Soziologie“, heißt es an anderer Stelle. Das Problem dieser lässigen Sprachbilder ist allerdings die Ungenauigkeit. Kann ein Sozialdemokrat kein Katholik oder Protestant sein? 

Zu den kleinen Unklarheiten gesellen sich auch einige größere. Ist der totale Staat wirklich so total, wie Kisoudis behauptet? Unklar bleibt dabei das Reizthema Umverteilung. Diese kann von „oben“ nach „unten“ führen – aber eben auch umgekehrt. Hier ist Kisoudis‘ Blick selektiv, denn es geht nicht nur um Verteilung. Handstreichartig wird den Bürgern zugleich Eigentum entzogen. Genannt seien etwa die Privatisierungen der ehedem staatlichen Post oder Bahn. Die Altersvorsorge wird teilprivatisiert. Schulgebäude werden verkauft, um sie dann zurückzuleasen, weil das Geld für die Sanierung fehlt. Die Liste ließe sich fortführen. Richtiger wäre also die Diagnose, dass der Staat sich aus der treuhänderischen Fürsorge aus finanziellen Gründen immer mehr zurückzieht, um sich umso intensiver Bereichen zu widmen, die sein Scheitern absehen lassen. 

Der „totale Sozialstaat“ (Kisoudis) ist nicht sozial, er ist nicht einmal total, bestenfalls unentschlossen, schlechtestenfalls unfähig. Natürlich könnte der Staat dem heillosen Durcheinander bei Asyl, Einwanderung und Aufenthalten von Ausländern und dem Missbrauch von damit verbundenen Regelungen einen Riegel vorschieben. Es fehlt jedoch ein koordiniertes Handeln der Regierenden, respektive der Wille dazu. Stattdessen gewinnt das Projekt eines großen Bevölkerungsaustausches immer deutlicher an Kontur. Während das Geld für überfällige Brücken- und Straßenbauarbeiten allenthalben fehlt, wird eine längst zur „Asylindustrie“ mutierte Notfallregelung mit Finanzmitteln geradezu überschüttet. Weniger lax als bei den Grenzkontrollen von „Flüchtlingen“ ist der totale Staat bei deutschstämmigen Verweigerern der GEZ. Es geht eben auch anders. 

Das Ausklammern ganz wesentlicher Bereiche, die alle, wenn auch weniger direkt, mit dem Staatsrecht zu tun haben, trübt leider die Lektüre dieses interessanten Buches. Um die eingangs von Kisoudis gestellte Frage zu lösen, muss auch über Interessen geredet werden und über Souveränität, die Bundesrepublik – mit Wolfgang Schäuble gesprochen – zu keinem Zeitpunkt hatte. Es sind eben nicht nur die Debatten zwischen Schmitt und Kelsen, Smend und Heller oder Abendroth und die daraus hervorgehenden „Sieger“, die die „Weichen stellen“ (Kisoudis). Wobei maßgebliche Details überdies zu kurz kommen. So kreiste etwa die Kontroverse zwischen Schmitt und Kelsen in den 1920er Jahren um die Frage, wie unabhängig ein Verfassungsgericht sein könne, das vom Parlament eingesetzt wird und die Legislative kontrollieren soll. 

Ein heikler Punkt, der bis heute Fragen aufwirft. Man denke nur an die kontroversen Positionen der Verfassungsrichter Voßkuhle und di Fabio zur aktuellen Asylsituation. Voßkuhle, der die Merkel-Politik juristisch flankiert, wird – ein Schelm, wer Böses denkt – immer wieder als Kandidat für den Posten des Bundespräsidenten genannt. Als Skizze mit Anregungen zur Vertiefung ist das Buch gleichwohl lesenswert. Für die zahlreichen Anmerkungen wäre ein Register hilfreich gewesen.

Dimitrios Kisoudis: „Was nun? Vom Sozialstaat zum Ordnungsstaat“, Manuscriptum Verlag, Berlin 2017, broschiert, 128 Seiten, 16 Euro