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12.01.18 / Vom Staat manipuliert / Nähert sich die moderne russische Bevölkerung Sowjetidealen an?

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 02-18 vom 12. Januar 2018

Vom Staat manipuliert
Nähert sich die moderne russische Bevölkerung Sowjetidealen an?
MRK

Eine starke Führung, ein Leben in Wohlstand und Sicherheit – das scheint dem russischen Volk zu genügen. Als Garant für solch ein Leben sieht die Mehrheit der Russen Wladimir Putin. Für diese Sicherheit verzichten sie auf demokratische Rechte, wie echte freie Wahlen oder Pressefreiheit. 

Immer häufiger wird über eine Rückentwicklung Russlands in eine Art Sowjetunion spekuliert. Der Frage, ob dies zutrifft, ging der Journalist Alexander Schelenin nach. Seiner Ansicht nach ist  eine Bürgergesellschaft nur in Verbindung mit einer vom Staat unabhängigen Presse und Wirtschaft möglich. Im heutigen Russland gebe es weder das eine noch das andere. Stattdessen habe das autoritäre politische System zu Monopolismus, sowohl im Bereich der Politik als auch in der Wirtschaft geführt. Selbst das Großkapital der Oligarchen werde vom Staat kontrolliert. Heute liege die Macht nicht mehr in den Händen der „herrschenden Klasse“ wie zu Sowjetzeiten, sondern in der einer „herrschenden Gruppe“. Die Bedingung für deren Wohlergehen sei absolute Loyalität gegenüber den Machthabern. Zu dieser Loyalität zähle auch, dass sie keine unabhängigen Medien finanzierten. Das führe zu einer einzigen geltenden Meinung. 

Nachdem Putin Anfang der 2000er Jahre die Fernsehsender unter staatliche Kontrolle gebracht hatte, folgte Anfang 2010  ein großer Teil des russischen Internets. Der russische Staat habe schon seit fast 20 Jahren die Kontrolle über das Massenbewusstsein im Land, so Schelenin. Im Unterschied zum Sowjetbürger fehle heute jegliche Ironie, das heißt versteckte Kritik am System. Das Volk scheine die Manipulationen gar nicht zu bemerken, sondern wäge sich im Glauben, in einem demokratischen Land zu leben. Die Existenz einiger oppositioneller Zeitungen, wenn auch meist nur über das Internet erhältlich, nutze der Staat ge-

schickt, um seinen Bürgern die Illusion von freier Meinungsbildung und dem Vorhandensein einer unabhängigen Presse vorzugaukeln. 

Als Grund dafür, dass die Russen so leicht manipulierbar seien, vermutet der Journalist, dass die meisten den Idealen des „Homo Sovieticus“ treu geblieben seien. Zwar habe die Dissonanz der gebildeten Sowjetbürger mit der damaligen Regierung und ihrer archaischen Propaganda Ende der 80er Jahre zum Verfall des Staates mit beigetragen, doch die Freiheit des Wortes Anfang der 90er Jahre, die in einer ungezügelten „Freiheit ohne Grenzen“ mündete, – als skrupellose Emporkömmlinge den Staat ausplünderten – habe zu einer Gegenbewegung geführt. Es folgte der Ruf nach einer starken Hand, einem guten Herrn, der die Ordnung wiederherstellt. 

Dieser Sicht vom russischen Volk als homogene, leicht manipulierbare Masse widerspricht die Tatsache, dass im Frühjahr vergangenen Jahres in 97 russischen Städten Jugendliche gegen die Übermacht der Regierung auf die Straße gingen.  Sie schenken der Staatspropaganda, wie sie durch Fernsehen und Zeitungen verbreitet wird, keinen Glauben mehr. Sie trotzen der Staatsmacht trotz drohender Verhaftung. Einer ihrer Anführer, der Oppositionspolitiker Alexej Nawalnyj, wird regelmäßig mit Gerichtsverfahren überzogen. Bei der Präsidentenwahl im März darf er nicht als Kandidat gegen Putin antreten. 

Zwar dürfte die Mehrheit der Russen diesen Protesten gleichgültig gegenüberstehen, doch ist es fraglich, ob sich die jungen, politisch interessierten Russen auf Dauer unterdrücken lassen.