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12.01.18 / »Nazi No. One« / Vor 125 Jahren wurde Hermann Göring geboren

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 02-18 vom 12. Januar 2018

»Nazi No. One«
Vor 125 Jahren wurde Hermann Göring geboren
Jan Heitmann

Obwohl Hermann Göring den Zweiten Weltkrieg nicht wollte, weil er wusste, dass er bei dessen negativem Ausgang materiell viel zu verlieren hatte, erreichte der Berufssoldat in eben diesem Krieg mit dem Aufstieg zum „zweiten Mann im Reich“ den Höhepunkt seiner Karriere. Hitlers Tod machte ihn in den Augen der Alliierten sogar zum „Nazi No. One“. 


Dass er einmal ausgerechnet wegen seiner Leibesfülle Gegenstand zahlreicher Witze sein würde, war dem am 12. Januar 1893 in Rosenheim geborenen Hermann Göring nicht in die Wiege gelegt. Sein Vater Ernst, der unter Bismarck erster Reichskommissar für Deutsch-Südwestafrika gewesen war, förderte die militärischen Ambitionen seines sportlichen Sohnes und schickte ihn im Alter von zwölf Jahren in das Kadettenhaus in Karlsruhe. Mit Abitur und Offiziersexamen schloss er die Kadettenanstalt ab und trat in das Badische Infanterie-Regiment Prinz Wilhelm Nr. 12 in Mülhausen im Elsass ein. Im Ersten Weltkrieg kämpfte er zunächst bei der Infanterie im Westen und meldete sich schon bald als Beobachter zur Fliegertruppe. Im Sommer 1915 ließ Göring sich zum Piloten ausbilden und wurde Jagdflieger. Am 2. Juni 1918 verlieh ihm der Kaiser den „Pour le Mérite“, die einst von Friedrich dem Großen gestiftete höchste preußische Tapferkeitsauszeichnung. Das Kriegsende erlebte Göring als Kommandeur des berühmten Richthofen-Geschwaders.

Da die Siegermächte den Deutschen die Fliegerei verboten, schlug sich der gefeierte Fliegerheld die nächsten vier Jahre als Kunst- und Verkehrsflieger in Schweden durch. Hier lernte er seine aus bestem schwedischem Uradel stammende Ehefrau Carin kennen, die er Anfang 1923 in München heiratete.

Bald darauf begegnete er eher zufällig bei einer Versammlung dem Weltkriegsgefreiten Adolf Hitler, jener mittellosen und gescheiterten Existenz, die nun ihr Glück in der Politik versuchte, und mit der ihn von Herkunft und Stand eigentlich nichts verband. Von dem Redner, der die „Schmach von Versailles“ zu tilgen versprach, tief beeindruckt, trat Göring spontan der NSDAP bei. Wenig später wurde er mit der Führung der SA betraut. Als Dank für diesen Vertrauensbeweis schwor er Hitler Treue „bis in den Tod“. Am 9. November 1923 marschierte Göring beim Hitler-Putsch mit Stahlhelm und vollem Ordensschmuck in der ersten Reihe mit und wurde durch einen Schuss in den Unterleib schwer verletzt. Seine Getreuen brachten ihn in Sicherheit und schafften ihn, da er steckbrieflich gesucht wurde, erst nach Innsbruck und dann weiter nach Italien. Von hier aus floh er mit seiner Ehefrau weiter in deren Heimat, nach Schweden. Seine Verletzung heilte nur langsam, und Göring erhielt gegen die unerträglichen Schmerzen Morphium in immer höheren Dosen verabreicht. Der einst attraktive und schlanke Mann setzte Fett an und wirkte aufgedunsen. Die Kugel, die ihn vor der Feldherrnhalle getroffen hatte, sollte seine Persönlichkeit und sein ganzes weiteres Leben beeinflussen.

Nachdem der Reichstag eine Amnestie für politische Straftäter erlassen hatte, konnte Göring im Herbst 1927 nach Deutschland zurückkehren. In der Folgezeit war er als Reisender für Flugzeugfirmen tätig, verkaufte Fallschirme und ließ sich vom Chef der Lufthansa, seinem alten Fliegerkameraden Erhard Milch, „Beraterhonorare“ zukommen. Nach anfänglichen Schwierigkeiten fasste Göring auch in der Partei wieder Fuß, zog im Juni 1928 in den Reichstag ein und wurde im August 1932, nachdem die NSDAP die stärkste Fraktion bildete, zu dessen Präsidenten gewählt. Als preußischer Innenminister sowie als preußischer Polizei- und Gestapochef sorgte er in den ersten Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft entscheidend dafür, das Regime durch Staatsterror zu etablieren und zu stabilisieren.

In dem gefeierten Kriegshelden Hermann Göring hatte Hitler den richtigen Mann gefunden, seiner Partei einen gewissen Glanz zu verleihen und ihm den Weg zu den gesellschaftlichen Eliten des In- und Auslandes zu ebnen. In großbürgerlichen Verhältnissen aufgewachsen und von einem Privatlehrer erzogen, als mustergültiger Internatszögling, preußischer Kadett mit Bestleistungen und Berufsoffizier umfassend ausgebildet sowie als Träger der höchsten Tapferkeitsauszeichnung des Ersten Weltkrieges berühmt, konnte Göring gewandt auftreten, beherrschte Umgangsformen und Etikette, verstand es als interessanter Gesprächspartner, andere für sich einzunehmen und durch volksnahes und leutseliges Auftreten die Sympathie der Bevölkerung zu gewinnen. Die jeglicher Nähe zum Nationalsozialismus unverdächtige Herzogin Viktoria Louise, Tochter des letzten deutschen Kaisers, erinnerte sich später, Göring sei der einzige führende Nationalsozialist gewesen, der sich zu benehmen gewusst habe. Andererseits dürfen diese Eigenschaften nicht darüber hinwegtäuschen, dass Göring rück­sichtslos gegen Regimegegner vorging, die Nürnberger Rassegesetze propagierte, die sogenannte Endlösung der Judenfrage vorantrieb, maßgeblich an den Kriegsvorbereitungen beteiligt war und nicht zuletzt wegen persönlicher Defizite in den meisten seiner Staatsämter kläglich versagte. Göring war eben nicht nur der joviale Staatsmann, der „aufrechte Soldat mit dem Kinderherzen“, der liebende Vater und „nette Chef“, an dem Angehörige und ehemalige Mitarbeiter noch Jahrzehnte nach dem Krieg in verklärter Erinnerung hingen, sondern auch ein berechnender und skrupelloser Machtmensch und Schreibtisch­mörder.

Dank seiner Herkunft und früheren Privilegien als Fliegeroffizier war Göring einen gehobenen Lebensstil gewohnt, den er nach den entbehrungsreichen 20er Jahren angesichts der nun für ihn angebrochenen besseren Zeiten fortzusetzen beabsichtigte. Göring, der von sich selbst behauptete, „der letzte Renaissancemensch“ zu sein, „der die Pracht liebe“, führte ein Dasein von wahrhaft monarchischer Lebensart. Einen Teil seiner Jugendjahre hatte der romantisch veranlagte, für die Natur schwärmende und sich für Ritterspiele begeisternde Göring auf den Burgen Veldenstein und Mauterndorf seines vermögenden Patenonkels, des jüdischen Arztes Hermann Ritter von Epenstein, verbracht, eines Freundes der Familie, der mit seiner Mutter offen ein Verhältnis pflegte. Ende der 30er Jahre fielen ihm beide Anwesen auf dem Erbwege zu, allerdings gingen sie seiner Familie nach 1945 aus formalrechtlichen Gründen wieder verloren. Hier hatte Göring einen geradezu höfischen Lebensstil kennengelernt, den er auch jetzt der Bedeutung und Zelebrität seiner Person für angemessen erachtete.

In der preußischen Staatsschauspielerin Emmy Sonnemann, einer stattlichen Erscheinung von walkürenhafter Statur, fand Göring nach dem frühen Tod seiner geliebten Carin unterdessen wieder eine zu ihm und seiner Stellung passende Gemahlin. Die Eheschließung im April 1935 wurde wie eine Fürstenhochzeit gefeiert, und auch die Geburt der Tochter Edda 1938 wurde von der nationalsozialistischen Propaganda zu einem Ereignis von nationaler Bedeutung hochstilisiert. Da Hitler bis in seine letzten Lebenstage unverheiratet blieb, nahm Emmy Göring als Gattin der zweit­höchsten Persönlichkeit Deutsch­lands nach Görings Vorstellungen den Platz der First Lady ein. Nur allzu gern überließ der auf gesellschaftlichem Parkett eher unbeholfene Hitler das Feld „seinem treuesten Paladin“, dem mit zahlreichen Staats- und Parteiämtern versehenen Göring, faktisch und seit dem 1. September 1939 auch formal „der zweite Mann im Reich“. Göring war zudem unter anderem Preußischer Ministerpräsident, Präsident des Reichstages, Vorsitzender des Ministerrats für die Reichsverteidigung, Reichsluftfahrtminister, Oberbefehlshaber der Luftwaffe, Reichsforstmeister, Reichsjägermeister, Beauftragter für den Vierjahresplan sowie seit 1940 Reichsmarschall und damit ranghöchster Soldat der Wehrmacht.

Die zahlreichen Ämter förderten seinen Uniformfetischismus, um den sich viele Anekdoten rankten. Als Göring Reichsmarschall wurde und damit ein weiteres Alleinstellungsmerkmal hatte, wünschte er eine besondere Uniform, um sich als ranghöchster Soldat der Wehrmacht bereits auf den ersten Blick vom Rest der Luftwaffengeneralität abzuheben. Hierfür wählte er einen hellen, auffälligen, als „taubengrau“ bezeichneten Stoff. Als er seinem Kammerdiener Robert Kropp ein Stoffmuster zeigte, bemerkte dieser irritiert, dass es sich aber um einen Stoff für Damengarderobe handele, worauf Göring entgegnete: „Nein, wenn ich ihn trage, ist es ein Herren-Stoff.“ Da­rauf­hin ließ sich der Reichsmarschall mehrere Uniformen in unterschiedlicher Farbschattierung mit Effekten in aufwändiger goldener Handstickerei und besonders geschmückte Schirm- und Feldmützen fertigen, was, wie sich Kropp noch Jahrzehnte später erinnert, zu manch spöttischer Bemerkung führte.

Zu diesem Zeitpunkt befand sich Göring auf dem Höhepunkt seiner Macht. Wie er selbst später in Nürnberg sagte, war er „der einzige Mann in Deutschland, der eine eigene, keine abgeleitete Autorität hatte“ und der einzige NS-Führer, der wirkliche Popularität im Volk genoss. Er, der stets auf sein Wohlleben bedacht war, wuss­te sehr gut, dass er durch einen Krieg persönlich kaum noch etwas zu gewinnen, bei dessen negativem Ausgang gleichwohl aber sehr viel zu verlieren hatte. Im Gegensatz zu Hitler hielt Göring Großbritannien nicht für zu unentschlossen, um in einen Krieg gegen Deutschland einzutreten, dessen Gefahren er sich durchaus bewusst war. Doch so, wie er auch später selbst dann Hitlers Befehle ausführte, wenn er von deren Absurdität überzeugt war, fügte sich Göring auch jetzt in das für ihn Unvermeidliche und bereitete den Angriff seiner Luftwaffe auf Polen vor.

Im weiteren Verlauf des Krieges betätigte sich Göring nur noch wenig auf politischem Parkett. Die Eingriffe des Oberbefehlshabers der Luftwaffe in die Kriegführung hatten, von Sachkenntnis kaum getrübt, fatale Folgen. Das begann mit dem Anhalten der Panzerverbände vor Dünkirchen als Folge von Görings leichtfertiger Versicherung, die Luftwaffe allein könne die Evakuierung der britischen Expeditionsarmee verhindern, es setzte sich mit dem verhängnisvollen Zielwechsel von den Flugplätzen der britischen Jagdwaffe auf den Großraum London fort und fand mit Görings unverantwortlichen Zusage, die in Stalingrad eingeschlossene 6. Armee aus der Luft versorgen zu können, und der Vernichtung deutscher Städte im alliierten Bombenhagel einen tragischen Höhepunkt. Auch auf dem Gebiet der wirtschaftlichen Kriegführung konnte der Beauftragte für den Vierjahresplan nicht überzeugen. Die Wirtschaft widersetzte sich den massiven Eingriffen des sachunkundigen Göring. Die Umstellung der Volkswirtschaft auf die Erfordernisse des „totalen Krieges“ erfolgte nur schleppend, und es gelang ihm nicht, die Kriegsproduktion nennenswert zu steigern. Göring zeigte auch auf diesem Gebiet Schwäche und ließ es zu, dass Rüstungsminister Albert Speer die Federführung in der gesamten Wehrwirtschaft übernahm und den Ausstoß der Industrie an Rüstungsgütern innerhalb kurzer Zeit deutlich erhöhte.

Göring beschränkte sich mehr und mehr auf repräsentative Aufgaben und verlor trotz seiner formal fortbestehenden Ämterfülle politisch zusehends an Terrain, vor allem an Bormann, Goebbels und Himmler. Am Ende hatte sein Wort kaum noch Gewicht. Von den Spätfolgen seiner 1923 erlittenen Verwundung gezeichnet und vom exzessiven Wohlleben erschlafft, zog sich der einst charismatische und kraftvolle Machtmensch schicksalergeben auf seine Latifundien zurück und frönte seinen Leidenschaften. Wenn Göring sich bei seinen Mitarbeitern nach Abschüssen erkundigte, meinte er nicht die Erfolge oder Verluste seiner Luftwaffe, sondern das Wild, das in seinen Jagdrevieren zur Strecke gebracht worden war. Derweil versanken Deutschlands Stä­dte in Schutt und Asche, und Görings tapfere Flieger verbluteten in ihrem verzweifelten Kampf gegen die alliierte Luftüberlegenheit zu Tausenden.

Als sich die Front der Reichshauptstadt näherte, setzte sich Göring in die sogenannte Alpenfestung nach Berchtesgaden ab. Von hier aus versuchte er am 22. April 1945, die Staatsführung zu übernehmen, da er annahm, dass Hitler im belagerten Berlin seiner Handlungsfähigkeit beraubt sei. Daraufhin wurde er von Hitler, der von Bormann und Goebbels beeinflusst war, wegen angeblichen Hochverrats aller Ämter und Würden enthoben, aus der Partei ausgeschlossen und zum Tode verurteilt, wegen seiner früheren Verdienste allerdings einstweilen in Mauterndorf unter Hausarrest gestellt. Schließlich konnte er kurz vor Kriegsende von einer Luftwaffeneinheit befreit werden.

Am 8. Mai begab sich Göring in US-amerikanische Gefangenschaft. Die Amerikaner behandelten ihn, seinem hohen militärischen Rang entsprechend, zunächst zuvorkommend und mit Respekt. Doch seine unrealistische Hoffnung, von den Siegern als ebenbürtiger politischer Gesprächspartner angesehen und bei der Neuordnung des Reiches zu Rate gezogen zu werden, erfüllte sich nicht. Er wurde nach Nürnberg gebracht und als Kriegsverbrecher vor das Internationale Militärtribunal gestellt. Als „Angeklagter Nr. 1“ war er endlich das, was er immer hatte sein wollen: „Nazi No. One“, der erste Mann des Dritten Reiches. Von seiner Morphiumsucht geheilt, offenbarte er in Nürnberg ein überdurchschnittliches Maß an Intelligenz und Sachkenntnis und lieferte sich mit Vernehmungsoffizieren, Anklägern und Richtern brillante Rededuelle. Er bereute nichts, sondern bekannte sich „uneingeschränkt zu Hitler und seiner Politik.“ Damit war das Todesurteil vorhersehbar. Nur wenige Stunden vor der geplanten Hinrichtung entzog er sich seinem Henker am 15. Oktober 1946 durch Selbstmord.