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12.01.18 / Ein unsägliches Stückchen Nachkriegsgeschichte / Gedenken an 5000 Gefangene eines früheren NKWD-Lagers – ein bewegender Besuch im oberschlesischen Tost

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 02-18 vom 12. Januar 2018

Ein unsägliches Stückchen Nachkriegsgeschichte
Gedenken an 5000 Gefangene eines früheren NKWD-Lagers – ein bewegender Besuch im oberschlesischen Tost
Horst Lindemuth

Wer sich eingehend mit dem Leben von Joseph Freiherr von Eichendorff (1788-1857), dem wohl romantischsten Dichter unter den Romantikern, befasst hat, wird dabei auch auf das oberschlesische Städtchen Tost, heute heißt es Toszek, stoßen. Denn von 1791 bis 1797 gehörte die Burg in Tost Josephs Vater. Erste kindliche Eindrücke gewann Eichendorff also hier in Tost. Dazu dürfte nicht nur das Leben und Treiben in dem beschaulichen Landstädtchen mit seinen etwa 700 Einwohnern sowie auf dem Schloss gehört haben, sondern auch der Blick vom Burgberg auf der Tarnowitzer Höhe in die Weite der Landschaft mit ihren Dörfern, Feldern, Wäldern und Flüssen. Den Namen Tost hatten meine Frau und ich zwar zuvor noch nie gehört, dennoch entschlossen wir uns, an einer Fahrt dorthin teilzunehmen. Ein Hinweis im Mitteilungsblatt „Der Stacheldraht“, herausgegeben von der Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft, hatte uns neugierig gemacht. 

Also machten wir uns vom baden-württembergischen Weissach auf nach Dresden, wo die gemeinsame Reise startete. Von dort aus fuhren wir und die anderen Teilnehmer gemeinsam in einem Bus zu dem etwa 400 Kilometer entfernten Tost. Dort wollten wir an der Veranstaltung zur Erinnerung an die schrecklichen Ereignisse im zweiten Halbjahr 1945 teilnehmen. Das Programm schien auch deswegen vielversprechend, weil sowohl die polnische als auch die deutsche Seite zu Wort kommen sollte. 

Pünktlich erreichten wir die Gedenkstätte, wo wir von Grzegorz Kupczyk, dem jungen Bürgermeister von Tost, nebst weiteren Vertretern der Stadt sowie einigen Bewohnern unter den Klängen der Stadtkapelle freundlich empfangen wurden. Seine Begrüßungs- und Gedenkworte sprach der Bürgermeister in Deutsch und in Polnisch. Auch weitere Redner bemühten sich um Zweisprachigkeit. War dies nicht möglich, sprang ein geübter Dolmetscher ein. Es sprachen unter anderem die deutsche Konsulin aus Oppeln, ein Abgeordneter der Woiwodschaft Schlesien sowie Klaus Brähmig, bis zur letzten Bundestagswahl noch Mitglied des deutschen Bundestages. Leitwort für sie alle war die zweisprachige Inschrift im Gedenkkreuz: Mit Gottes Hilfe wollen wir dafür sorgen, dass es nie wieder Konzentrations- und Internierungslager geben möge. 

Das gemeinsame Mittagessen wurde auf der einstigen Burg, die Anfang des 19. Jahrhunderts abgebrannt war, jedoch als Ruine erhalten blieb, eingenommen. In jüngerer Zeit waren dort nämlich Räumlichkeiten für Veranstaltungen hergerichtet worden. Sehenswert auch heute noch das mächtige Torhaus und der riesige Innenhof, teils parkähnlich gestaltet. An geschichtlichen und baugeschichtlichen Stellen sind Sprechautomaten aufgestellt, die in mehreren Sprachen auf Knopfdruck und ohne Münzeinwurf (!) den Besucher informieren. 

An das Mittagessen schloss sich ein ökumenischer Gottesdienst in der St. Katharinen Kirche an mit beeindruckender musikalischer Umrahmung. Danach suchten wir die ehemalige Landesheilanstalt, heute psychiatrische Klinik, auf. Diese Anstalt mit kontrollierbarem Eingang und von hoher Mauer umgeben bot nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges beste Voraussetzungen für die Umnutzung in ein Straflager des NKWD (Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten der UdSSR). Zwischen Mai und Dezember 1945 waren hier fast 5000 Gefangene, die zumeist willkürlich und wahllos vom russischen Geheimdienst festgenommen worden waren, ohne jegliches Gerichtsverfahren eingesperrt. Mehr als Zweidrittel der Gefangenen sind elendig zugrunde gegangen. Ihre Leichen wurden am Rand von Toszek zumeist in Massengräbern verscharrt. Als das Straflager Anfang Dezember 1945 aufgelöst wurde, sind die noch arbeitsfähigen Gefangenen in andere Lager verbracht worden. Nur ein kleiner Rest sah die Heimat wieder. 

Die erlittenen Qualen und die unmenschlichen Leiden der Inhaftierten sind unvorstellbar. Die Berichte derjenigen, die diese Torturen überlebt haben, zu lesen, kostet Überwindung. Nur soviel. Der Saal, der heute als Kirche genutzt wird, misst etwa 18 auf 20 Meter. In ihm waren zeitweise 500 und mehr Menschen eingepfercht, die nur auf der Seite liegen konnten beziehungsweise mussten, um für die Menge Mensch in diesem Raum Platz zu haben. Auf ein Schlagzeichen hin hatten sich alle umzudrehen. Bedrückt und nachdenklich haben wir diesen geschichtsträchtigen Raum verlassen. Nach dem gemeinsamen Kaffeetrinken mit selbstgebackenen Kuchen galt es, Abschied zu nehmen. Beeindruckt von der Gastfreundschaft und der Offenheit im Umgang mit dem damaligen Geschehen traten wir die sechsstündige 

Rückreise nach Dresden an. Ein kleines Fernsehteam des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) hatte unseren Besuch in Tost begleitet. In der MDR-Sendung „Sachsenspiegel“ wurde schon am nächsten Tag über diese Gedenkfeier berichtet. So ist ein Stückchen unsäglicher und menschenverachtender Nachkriegsgeschichte ins öffentliche Bewusstsein getragen worden. 

Wie so oft im Leben, bedarf es einzelner Personen, um Dinge anzustoßen, die sonst in Vergessenheit geraten wären. So auch im Fall NKWD Tost. Die Tochter des im Lager Tost umgebrachten Unternehmers Hans Werner Skafte Rasmussen, Sohn des Erfinders, Fabrikanten und Autobauers Jorgen Skafte Rasmussen (DKW, Auto Union) hatte sich zur Aufgabe gestellt, die Umstände um den gewaltsamen Tod ihres Vaters aufzuklären und damit zugleich auch das Schicksal seiner Mitgefangenen. Seit 1993 widmet sich Tochter Sybille Krägel dieser sich selbst gestellten Aufgabe. Sie organisierte auch unsere Ausfahrt nach Tost und plant schon den nächsten Besuch in zwei Jahren zur stetigen Erinnerung und Mahnung: Nie wieder!