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12.01.18 / Ein verwöhntes Raubtier / Winterbuffet macht müde Bären munter – Statt zu ruhen lebt Meister Petz richtig auf, wenn Menschen für Zufütterung sorgen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 02-18 vom 12. Januar 2018

Ein verwöhntes Raubtier
Winterbuffet macht müde Bären munter – Statt zu ruhen lebt Meister Petz richtig auf, wenn Menschen für Zufütterung sorgen
Kai Althoetmar

Um wilde Bären vom Nutzvieh fernzuhalten, füttern Menschen im Südosten Europas die Tiere. Abgesehen davon, dass das be­sonders im Winter Einfluss auf den Biorhythmus der Bären hat, kann es dann auch zu Kollisionen von Mensch und Tier kommen.

In nördlichen Breiten pflegen Braunbären im Winter ein längeres Nickerchen zu machen, meist zwei bis vier Monate lang – das schont die im Herbst angefutterten Energiereserven und lässt Ursus arctos, so die zoologisch korrekte Bezeichnung, über die an Futter armen Monate von Dezember bis März kommen. 

In manchen Gegenden Europas will die Landbevölkerung es auch im Sommer sichergestellt sehen, dass die zotteligen Wald- und Wiesenbewohner den Dörfern fernbleiben. So füttern Slowenien und Teile Rumäniens ihre Bären das ganze Jahr über in der Wildnis zu, seien es Kübel gezuckerten Maises, Schlachtabfälle oder auch mal der Kadaver einer alten Kuh. Wo der Bär fernab der Dörfer angelockt wird, bieten sich zudem für zahlende Foto- und Jagdtouristen gute Ansitzgelegenheiten, während örtliche Schafhalter und Bienenzüchter aufatmen dürfen, wenn der Bär bereits in Wald oder Karstgebirge satt wird.

In Slowenien, mit rund 450 Bären ein erster Brennpunkt südosteuropäischen Bärenlebens auf der langen Route von den Dinariden bis nach Griechenland, hat das ganzjährige künstliche Nahrungsangebot allerdings einen ungewollten Nebeneffekt heraufbeschworen: Die Bären verlassen im Winter ihre Höhlen, um sich selbst dann noch am menschengemachten Buffet gütlich zu tun, wenn sie eigentlich auf der faulen Haut liegen müssten. Sie verkürzen ihre Winterruhe deutlich, wie  Forscher der Universität Laibach (Ljubljana) herausfanden.

„In Slowenien hielten Bärinnen im Schnitt 82 Tage Winterruhe, männliche Bären 57 Tage – was 45 beziehungsweise 56 Prozent kürzer war, als den Breitengraden nach zu erwarten gewesen wäre“, heißt es in der Studie der Forscher. 61 Prozent der slowenischen Bären verließen während der Winterruhe auch mindestens einmal ihren Bau, um die künstlichen Futterstellen aufzusuchen.

Die Wissenschaftler hatten für ihre Untersuchung 33 Bären mit GPS-Halsbändern besendert. Die Tiere waren zuvor mit Schlingen gefangen oder per Betäubungsgewehr sediert worden. Über vier Jahre hinweg wurden die Aufenthaltsorte via Satellitendaten quer durch den Südwesten Sloweniens verfolgt und Bewegungsprofile erstellt.

Das Team um den slowenischen Wildbiologen Miha Krofel verglich anschließend die in Slowenien ermittelten Winterruhezeiten mit Daten älterer Studien zu anderen Braunbärpopulationen auf dem Globus. Braunbären gibt es außerhalb Europas auch in Nordamerika, in der Türkei und im Nahen Osten, in Sibirien, im Fernen Osten, in China und Teilen Zentralasiens. Die Zahlen zeigten, dass die Dauer der Winterruhe mit den Breitengraden nach Norden hin zunimmt. Mit jedem Breitengrad weiter nordwärts verlängerte sich die Winterruhe der Bären durchschnittlich um drei Tage. In südlichen Verbreitungsgebieten kann die Winterruhe ganz ausfallen. Neben den Bärenpopulationen Sloweniens fielen sonst nur die Braunbären der Kodiak-Insel vor der Küste Alas­kas mit sehr kurzer Winterruhe aus dem empirischen Rahmen. Der Grund: Die Bären profitieren dort von einem großen Lachsangebot im Winter. 

Die Winterruhe ist kein Winterschlaf wie der von Fledermäusen oder Igeln. Bären reduzieren während dieser Phase lediglich Herzschlag, Atemfrequenz und – um vier bis fünf Grad – die Körpertemperatur. Weibliche Tiere, deren Winterruhe der Studie zufolge im Mittel zehn Tage länger dauert als die der männlichen Artgenossen, gebären zudem während dieser Zeit.

Bären sind Allesfresser und Opportunisten, die nehmen, was sich bietet. Meister Petz ist nach dem Eisbär das größte Landraubtier, und doch ist seine Kost bis zu 80 Prozent pflanzlich. Im Frühjahr sieht man sie grasen, mal auch ein Rehkitz oder Lamm schlagen, im Sommer und Frühherbst suchen sie nach Beeren, Wurzeln, Insekten und Nüssen, gegen Winterende sind ihnen Aas und geschwächte Tiere willkommen. Im Herbst ist ihr Appetit besonders groß, der Winterspeck will angesetzt sein. In dieser Hyperphagie genannten Phase der Fresssucht plündert der Bär gerne Felder, bricht Bienenstöcke auf und reißt junges Vieh oder durchwühlt Abfälle.

Braunbären sind auf dem Erdball sehr weit verbreitet. Ihr Vorkommen reicht vom Nordwesten Amerikas bis nach Russisch-Fern­ost, vom Iran bis in den Himalaya, nach China und auf Japans Insel Hokkaido, von Skandinavien bis nach Griechenland, von der Türkei bis nach Syrien und in den Kaukasus.

Die slowenische Studie ist die erste, die den Effekt der Zufütterung von Braunbären untersucht hat. Über das Jahr gesehen macht das spendierte Korn in Slowenien ein gutes Drittel der Bärennahrung aus, wie Kotanalysen ergaben. 21 Prozent der Nahrung entfielen auf Insekten, 18 Prozent auf die Mast vor allem mit Bucheckern, 16 Prozent auf Früchte und sieben Prozent auf das Fleisch von Paarhufern wie Reh, Hirsch oder Gams. Der Kot im Winter indes bestand zu 100 Prozent aus verdautem Mais. Und: Alle Bären nutzten das ganze Jahr über das angebotene Zusatzfutter. 

Ein weiterer Befund der Forscher: Drei Viertel der Bären schliefen im Winter in Höhlen, die anderen nutzten Felsspalten, einer ruhte unter einem Asthaufen. Die längste Winterruhe gönnten sich die Höhlenbewohner.

In Slowenien, wo jedes Jahr an die 100 Bären zum Abschuss freigegeben werden, ist die Zufütterung von Braunbären schon seit einem Jahrhundert Praxis. Die Forscher sehen das Extrafutter im Winter kritisch, weil es das Risiko von Kollisionen zwischen Bär und Mensch erhöhe. Andererseits verbessere die Zufütterung die Überlebensrate von Bären. Die Populationen werden damit künstlich hochgehalten. 

Gleichwohl halte das Extrafutter die Bären aber in der Regel von menschlichen Siedlungen ab. Die Forscher plädieren daher dafür, die Fütterungen nur während der Wintermonate einzustellen. Wo es in Bärengebieten Winterfütterungen von Huftieren gebe, solle nur Futter angeboten werden, das Bären nicht annehmen – für Heu statt Mais verlässt kein Bär seine Winterhöhle.