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19.01.18 / Wird Özdemir Kretschmanns Nachfolger in Stuttgart? / Rätselraten über die politische Zukunft des Grünen-Voritzenden nach dem Verzicht des 52-jährigen Realos auf eine erneute Kandidatur

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 03-18 vom 19. Januar 2018

Wird Özdemir Kretschmanns Nachfolger in Stuttgart?
Rätselraten über die politische Zukunft des Grünen-Voritzenden nach dem Verzicht des 52-jährigen Realos auf eine erneute Kandidatur
Peter Entinger

Es ist eine Tradition der Grünen, dass es keine jahrzehntelangen Funktionärskarrieren gibt. Der Verzicht von Cem Özdemir auf den Parteivorsitz kam dennoch überraschend. Ist die Karriere des Ober-Realos wirklich zu Ende?

Bei der ersten Vorstandsklausur des neuen Jahres herrschte Abschiedsstimmung: Die Chefs Cem Özdemir und Simone Peter waren das letzte Mal dabei. Beide sind noch bis zum letzten Januar-Wochenende im Amt – dann wählt der Parteitag in Hannover eine neue Spitze. Weder Özdemir noch Peter treten an. Bei der Saarländerin Peter, einer Vertreterin des linken Flügels, kam dies wenig überraschend. Zu blass war ihr Auftritt in der Vergangenheit, zu wenig bekannt wurde sie an der Spitze der Bundespartei. Ihren Rückzug begründete sie damit, dass sich die niedersächsische Grünen-Fraktionschefin Anja Piel, die wie Peter dem linken Flügel zugeordnet wird, um den Parteivorsitz bewerben will. Die Statuten der Partei sehen eine Doppelspitze vor, eine Frau muss auf jeden Fall dabei sein. Das macht die Sache kompliziert. 

Annalena Baerbock, Fraktionsvorsitzende in Brandenburg, würde mit 37 Jahren für eine Verjüngung stehen. Tritt sie gegen die 52-jährige Piel an, könnte sie das Machtgefüge der Partei ins Wanken bringen. Denn Baerbock gehört dem Realo-Flügel der Partei an. Aber Wunschkandidat für die Özdemir-Nachfolge ist eigentlich der Umweltminister von Schleswig-Holstein, Robert Harbeck. Ob der überhaupt antritt, ist allerdings noch gar nicht sicher. Dafür müsste nämlich der Parteitag einer Satzungsänderung zustimmen, die es möglich macht, dass der Kieler für eine Übergangszeit sowohl Minister als auch Parteichef sein darf, denn vor einer Wahl zum Parteivorsitzenden will er auf sein Ministeramt nicht verzichten.

Auf der Strecke bleibt auf jeden Fall Özdemir. Mit 52 Jahren ist der Diplom-Sozialpädagoge aus Baden-Württemberg im besten Politikeralter. Er gilt neben dem einzigen Ministerpräsidenten der Partei, Winfried Kretschmann, als bekanntester Politiker der Grünen. Einer der beliebtesten der Republik ist er obendrein. Sein Netzwerk reicht tief bis ins Bürgertum. Özdemir gilt als Musterbeispiel einer gelungenen Integration, selbst Christsoziale loben ihn in höchsten Tönen. Er ist ein Brückenbauer, kein Scharfmacher. Er war es, der die Grünen stramm auf ein „Jamaika“-Bündnis trimmte, er galt als sicherer Ministerkandidat, möglicherweise sogar für das Auswärtige Amt. Doch daraus ist bekanntermaßen nichts geworden. und so bleibt die Frage: Was wird aus Özdemir? 

Vorerst wird er als einfacher Abgeordneter im Bundestag sitzen. Der Weg an die Fraktionsspitze war von vorneherein verbaut, Katrin Göring-Eckardt und Toni Hofreiter galten stets als gesetzt. „Die Fraktion entscheidet nach anderen Kriterien über den Vorsitz, als es die Parteimitglieder oder die Wähler tun würden. Es gibt bei uns aber auch keine Erbhöfe. Es ist, wie es ist. Ich hadere nicht. Ich will nach vorne schauen“, sagte Özdemir der „Stuttgarter Zeitung“. Die interessanten Posten in Berlin sind aber begrenzt. Möglichweise könnte er den Vorsitz im Auswärtigen Ausschuss übernehmen, er wäre dann quasi Außenminister der Opposition. „Wenn Putin oder Erdogan versuchen, Parallelstrukturen in Deutschland zu errichten, darf man dazu nicht schweigen – von der großen Koalition kommt da allerdings viel zu wenig. Das SPD-geführte Außenministerium ist sogar in ständiger Gefahr, zu sehr auf einen Kuschelkurs mit autoritären Regimen zu setzen“, erklärte Özdemir kürzlich, und es klang wie eine Bewerbungsrede. 

Doch es gibt noch eine andere Option. Kretschmann ist in Baden-Württemberg bis 2021 gewählt, allerdings wird der grüne Ministerpräsident im Mai 70 Jahre alt. „Er macht seinen Job hervorragend und wird das hoffentlich noch sehr lange – ich unterstütze ihn von Berlin aus jedenfalls nach Kräften“, sagt Özdemir brav, doch hinter vorgehaltener Hand wird längst davon gesprochen, dass er Nachfolgekandidat Nummer Eins sei. Özdemirs derzeitige Situation sei kein Abschied aus der Politik, sagte Kretschmann der „Heilbronner Stimme“. „Cem ist einer der Besten bei den Grünen. Und Qualität setzt sich immer durch, das ist meine langjährige Erfahrung. Es werden andere Aufgaben kommen. Die Berliner Bühne wird regelmäßig neu bespielt, und einer wie Özdemir ist immer prädestiniert für eine Hauptrolle.“ Und wie sieht es mit der landespolitischen Bühne in Stuttgart aus? Ministerpräsident Kretschmann hat unlängst eine mögliche Kandidatur für eine dritte Amtszeit angedeutet, sich aber noch nicht festgelegt. „Sie müssen damit rechnen, dass ich noch mal antrete“, sagte er. Zugleich machte er klar, dass er sich noch nicht entschieden habe. Er wisse heute nicht, wie es ihm in zwei Jahren gehe, was dann mit der Bundespartei sei und wie ihn dann seine Enkel faszinierten. „Das Leben ist voller innerer und äußerer Reize.“ Möglicherweise gibt es aber doch noch eine kurzfristige bundespolitische Option für Özdemir. Sollten die Koalitionsverhandlungen von Union und SPD scheitern, wäre er der Top-Kandidat für die Spitzenkandidatur. „Das wird dann Cem machen“, sagte Kretschmann in Stuttgart. Und Widerspruch blieb aus.