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19.01.18 / Lügen- oder Lückenpresse? / Was dran ist an den Vorwürfen gegenüber den sogenannten Leitmedien

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 03-18 vom 19. Januar 2018

Lügen- oder Lückenpresse?
Was dran ist an den Vorwürfen gegenüber den sogenannten Leitmedien
Gernot Facius

Es war das (medienpolitische) Debattenthema des Jahres 2016, und seitdem wird der „Lügenpresse“-Vorwurf mit immer neuer Schlagzahl wiederholt. Doch die mitunter emotional geführte Diskussion verdeckt mehr als sie zur Aufhellung des Begriffs beiträgt.

„Den Vorwurf der ‚Lügenpresse‘ halte ich für falsch und irreführend“, sagt der renommierte Professor für Empirische Kommunikationsforschung Hans Mathias Kepplinger (Mainz). „Journalisten sind keine Lügner, die die Wahrheit kennen und in übler Absicht das Gegenteil verbreiten. Viele sind aber Gläubige, die bei kontroversen Themen ihre berufstypische Sichtweise irrtümlich für die Wahrheit halten.“ Für Kepplinger grenzt das zuweilen an intellektuellen Hochmut. Seine dringende Empfehlung: Werdet bescheidener und kritischer, selbstkritischer und kollegenkritischer! 

Der Wissenschaftler hat den Begriff der „Ko-Orientierung“ geprägt. Gemeint ist, dass Journalisten sich vor allen Dingen für das interessieren, was die Kollegenschaft umtreibt. Für sein Buch „Totschweigen und Skandalisieren. Was Journalisten über ihre eigenen Fehler denken“ hat er 332 repräsentativ ausgewählte Redakteure von Tageszeitungen befragt. Der niederschmetternde Befund: 70 Prozent halten Übertreibungen bei der Anprangerung vermuteter oder tatsächlicher Missstände für vertretbar. Eine Verletzung der Berufsregeln? Kepplinger: „Sagen wir mal so: Es verletzt die Forderung, das Geschehen so darzustellen, wie es erkennbar ist.“

Darüber hinaus sei diese Haltung naiv oder unredlich, weil Übertreibungen negative Folgen haben könnten, für die kaum ein Journalist die Verantwortung übernehmen würde – „obwohl er es müsste, weil er mit Absicht die falsche Realität dargestellt hat“. 

Was mediale Einseitigkeiten in der Bevölkerung auslösen können, das zeigt eine Studie aus dem Ok­tober 2015: 43 Prozent der Befragten hatten den „Eindruck, dass man seine Meinung zu der Flüchtlingssituation nicht frei äußern darf oder sehr vorsichtig sein muss, was man sagt“. Eine tendenziöse Berichterstattung ist nicht weniger gefährlich als eine glatte Lüge. Beispiele gibt es genug. Es lässt sich auch mit Sprache lügen, wenn pauschal von „Flüchtlingen“ geschrieben oder gesprochen wird, obwohl diese Bezeichnung nur auf einen kleinen Teil der Zuwanderer zutrifft. Oder wenn die AfD permanent (und penetrant) mit dem Zusatz „rechtspopulistisch“ erwähnt wird, bei der Linken jedoch nie von „linkspopulistisch“ die Rede ist. 

Wie kommt man aus alldem heraus? Indem man, das mag altmodisch erscheinen, Informationen ganz ohne zensurähnliche pädagogische Überlegungen („Was ist gut für das Publikum, was darf es wissen?“) und Anpassungen an eine politische Korrektheit übermittelt. Journalisten verraten ihren Beruf, wenn sie sich als Volkspädagogen gerieren. Sie müssen sagen, was ist. Medienkonsumenten wollen das. Rund zwei Drittel aller Erwachsenen, darauf weist Professor Michael Haller (ehemals Universität Leipzig) hin, wünschen sich „umfassende Informationen“, also auch Nachrichten über abweichende Positionen. Und etwa drei Viertel fordern etwas, wogegen immer öfter verstoßen wird: eine klare Trennung von Nachricht und Meinung. 

15 Jahre lang haben Medienforscher untersucht, wie sich so genannte Leitmedien bei Megathemen, von Umweltschutz und Atompolitik bis zur Ukrainekrise, verhalten. Im Magazin „Cicero“: schreibt Haller von spezifischen Informationsleistungen, aber auch von Verzerrungen. Doch eine Tendenz wiesen alle diese Studien nach: „Die Journalisten der Leitmedien suchen die Nähe zu den Eliten in Wort, Ton und Bild. … Aufschlussreich der Befund, dass die für die Beurteilung der Außenpolitik zuständigen Redakteure die Politik der Nato gegenüber Russland oder den Truppeneinsatz in Afghanistan wortreich befürworteten – und zugleich in einschlägigen Think Tanks aktiv waren, etwa in der Münchener Sicherheitskonferenz, dem Aspen Institute, der Atlantik-Brücke. In den fraglichen Medien war von Vielfalt der Positionen keine Spur; abweichende Meinungen kamen praktisch nicht zu Wort.“ Wenn man so will: „Lückenpresse“.