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19.01.18 / Gegenwind / »Österreich-Ungarn ist wieder da«

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 03-18 vom 19. Januar 2018

Gegenwind
»Österreich-Ungarn ist wieder da«
Florian Stumfall

Dass die schwarz-blaue Regierungsbildung in Österreich bei allen politisch korrekten Beobachtern und Kommentatoren Empörung und Entsetzen auslöste, hat nicht überraschen können. Ein SPD-Würdenträger im Deutschen Bundestag bemühte sogar eine Kategorie, die ansonsten nicht nur seiner Partei fremd ist, wenn es über das Bemühen der Nazi-Keule hinausgeht: „Österreich-Ungarn ist wieder da. Mit Kanzler Kurz, Burschenschafter Strache und Brandstifter Orbán geht’s im Dreivierteltakt nach rechts. Ade, felix Austria!“

In der Tat hat dieser Genosse in seinem dumpfen, gehässigen Ahnen erkannt, dass wir sind, was die Geschichte aus uns gemacht hat, und, zweitens, dass es eine Welt gibt, die über das Herrschaftsgebiet der bundesdeutschen Systemmedien hinausreicht. Das wurde nicht erst seit der Konstitution der Visegrád-Gruppe offenbar.

Diese bildete sich als, wie es genannt wird, „halboffizielles Binnen-Bündnis“ der Länder Polen, Tschechische Republik, Slowakei und Ungarn innerhalb der EU, und zwar ohne rechtliche Form oder Struktur. Es geht dabei einfach um eine erleichterte regionale Zusammenarbeit – im Grunde nichts als eine natürliche Reaktion auf den gleichmacherischen Zentralismus der Brüsseler Behörden.

Diesen und den Systemmedien ist die Visegrád-Gruppe spätestens dann unangenehm aufgefallen, als ihre Mitglieder, allen voran Polen und Ungarn, zu verstehen gaben, dass sie die Gäste der Kanzlerin Angela Merkel, die diese aus der halben Welt unkontrolliert nach Deutschland eingeladen hatte, ihrerseits nicht beherbergen wollen. Das ist die eine Sünde wider den Geist von Brüssel. Die andere erscheint womöglich noch unverzeihlicher: Hauptsächlich in Prag und Budapest bemüht man sich darum, den Gesprächsfaden mit Russland, von der EU und maßgeblichen ihrer Mitgliedsstaaten, allen voran Deutschland, über Gebühr gespannt und beansprucht, nicht völlig abreißen zu lassen. Im Gegensatz zur offiziellen EU-Linie, vorgegeben von den USA, ist man bei Visegrád der Meinung, gute Beziehungen zu benachbarten und dabei wichtigen Ländern seien besser als schlechte. So eine Auffassung gehört zwar eigentlich zum unverzichtbaren Vademecum der diplomatischen Grundausstattung, hat aber vor allem in Berlin und Brüssel ihre Gültigkeit längst verloren. Dort spricht man lieber vorwurfsvoll von „Putin-Verstehern.“

Soweit die Lage vor der Wiener Regierungsbildung. Dass sie durch eine rechts-bürgerliche Koalition nicht an Delikatesse verloren hat, liegt auf der Hand. Tatsächlich hat auch sofort Ungarn, ganz im Gegensatz zu den westlichen Nachbarn Österreichs, offen auf die Regierung Kurz in Wien reagiert und wissen lassen, dass man mit einer engeren Zusammenarbeit rechnet, vor allem auf den Feldern „Migration und die Rolle Mitteleuropas in der EU“. 

Österreichs Vize-Kanzler Heinz-Christian Strache von der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) äußerte seinerseits die Bereitschaft, mit der Visegrád-Gruppe gute Nachbarschaft zu halten: „Österreich sollte mit diesen Staaten vermehrt zusammenarbeiten, vielleicht sogar Mitglied der Visegrád-Gruppe werden.“

An dieser Stelle lohnt sich ein Blick auf die westliche Nachbarschaft Österreichs, nämlich nach Bayern. Erst vor einigen Tagen hatte die dort regierende CSU zu einer Klausurtagung den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán eingeladen, wohl wissend, welche Empörung sie dadurch bei allen deutschen Linken und Korrekten auslösen würde, und ohne jede Bereitschaft, solcher Empörung irgendwelches Gewicht beizumessen. Auch hier wird die Geschichte wirksam. Zwischen Ungarn und Bayern gibt es seit 1000 Jahren, also noch vor der Gründung Österreichs, enge Beziehungen, und beide Seiten sind sich bis heute dessen bewusst, was sich bis in die konkrete Politik auswirkt. 

Was nun Österreich und die Visegrád-Gruppe angeht, so widmete vor wenigen Wochen die große Wiener Tageszeitung „Die Presse“ dem Thema eine ganze Seite 1. Angesichts dessen, dass Österreich in der zweiten Jahreshälfte 2018 den EU-Vorsitz übernehmen wird, gewinnen Wiens Beziehungen zu Visegrád erheblich an Bedeutung. „Denn das von der Regierung in Wien favorisierte Reformszenario einer EU, die sich im Sinne der Subsidiarität auf die wesentlichen, für gemeinsame Lösungen geeignete Themen fokussiert, findet auch in der Region Anklang – wobei die in Ungarn, Tschechien, Polen und der Slowakei mit Abstand beliebteste Lösung ‚weitermachen wie bisher‘ lautet.“

Es fällt nicht schwer festzustellen, dass dies die perfekte Kontra-Position zu den Vorschlägen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron darstellt, die, in alter Tradition seines Landes, auf immer mehr Zentralismus hinauslaufen. Wer ratlos in der Mitte zwischen diesen beiden Auffassungen steht, ist Kanzlerin Merkel und mit ihr die ganze deutsche Politik. Dazu kommt laut einer Untersuchung, dass die Visegrád-Staaten Deutschland zwar als sehr wichtig in der EU ansehen, seine Beliebtheit aber seit einer Vergleichsstudie aus dem Jahr 2015 deutlich abgenommen hat. „Besonders auffällig“, so schreibt „Die Presse“ in Wien, „ist die Verschlechterung in Ungarn und Polen – also jenen Ländern, die gegen die von Deutschland und der EU-Kommission forcierte Umverteilung von Flüchtlingen auf alle EU-Mitgliedsstaaten opponiert haben“. Umgekehrt hat Österreich bei den betroffenen Ländern sein Ansehen wegen seiner Rolle bei der Sperrung der Westbalkanroute für Immigranten Anfang 2016 deutlich erhöht. Deutschland verliert, Österreich gewinnt – zu glauben, es komme nur auf die Größe an, ist ein Irrtum, einer der Grundirrtümer der EU.

Mit Visegrád also wird man rechnen müssen, auch wenn die Länder untereinander nicht in allen Belangen einig sind. So muss Polen von Brüssel mit einem Artikel-7-Verfahren rechnen wegen der Gerichtsreform, die Warschau durchgeführt hat. Ungarn hat bereits zugesichert, sich in dieser Sache an die Seite Polens zu stellen, die Tschechische Republik und die Slowakei tun das nicht. Es gibt also nicht nur innerhalb der EU Bruchstellen, sondern auch bei der Visegrád-Gruppe. Ein untrügliches Zeichen der Solidarität indes gab der neue polnische Premier Mateusz Morawiecki, der seine erste Auslandsreise im Amt nicht nach Brüssel oder Berlin oder meinetwegen Paris, sondern nach Budapest unternahm.

Bei dieser Gelegenheit kamen Gastgeber Orbán und Morawiecki ausführlich auf das Problem der Immigration zu sprechen. Die Politik der EU sei „spektakulär gescheitert“, so Orbán, aber man müsse damit rechnen, dass es 2018 zu großen Konfrontationen kommen werde, wenn eine große Zahl von EU-Staaten eine für alle gültige Asylpolitik zu „erzwingen“ suche. Ungarn aber wolle nicht in einem „Imperium“ leben, sondern in einem „Bündnis freier Länder“.

Es ist also nicht nur die Nachbarschaft, welche die vier Visegrád-Staaten zusammengeführt hat, sondern eine grundlegend andere Auffassung vom eigenen Staat und seiner Zukunft, als sie von der EU propagiert wird. In dieser Lage kommt dem jungen österreichischen Kanzler Sebastian Kurz eine wichtige Rolle zu, nicht nur während des halben Jahres, in dem Österreich den EU-Vorsitz innehaben wird. Es geht um Subsidiarität oder Zentralismus, um ein liberales System oder ein gelenktes, und dass die EU den Ländern, die mehr Liberalität wollen, diese abspricht, zeigt, wie verworren die Lage der EU in ist.