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19.01.18 / Auf den Hund gekommen / Die bellenden Vierbeiner sind einfach die besseren Menschen – ein paar tierische Gedanken

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 03-18 vom 19. Januar 2018

Auf den Hund gekommen
Die bellenden Vierbeiner sind einfach die besseren Menschen – ein paar tierische Gedanken
Burkhard Voß

Etwas Merkwürdiges geschieht seit einigen Jahren in Deutschland: Die Zahl der Neugeborenen und Kinder wird immer geringer, die von Haustieren, Hunden wie Katzen, steigt. Und zwar drastisch. Hundefachzeitschriften, Hundesalons, Hundeschulen, Hundeführerschein, Hundeshows im Fernsehen, hundepsychologische Institute – die Prioritäten des kollektiven Bewusstseins sind auf den Hund gekommen.

Der Dog-Channel wird sicher bald den Kinderkanal ablösen. Früher gab es einen Muttertag, heute gibt es einen Dog-Day. Wer sich attestieren lässt, dass er ohne seinen Therapiehund das Haus nicht mehr verlassen kann, braucht keine Hundesteuer mehr zu bezahlen. In Zeiten der Ehe für alle haben sich solche Atteste allerdings wohl bald erledigt. Ab sofort führt die Ehe mit dem Hund zur Steuerbefreiung. Die Politik ist auf den Hund gekommen, und die sozialverträgliche  Einrichtung von Hundekotzonen im Stadtgebiet ist mindestens so wichtig wie Bildungspolitik.

An dieser Stelle aber wollen wir auch kurz der schnurrenden Vierbeiner gedenken. Sie sollen sich nicht benachteiligt fühlen. Schließlich ist das Schicksal der nichtkastrierten Katzen von Hartz-IV-Empfängern ebenso tragisch wie sexueller Missbrauch in der Kindheit. Überdies haben Katzen etwas gegen neue Familienmitglieder. Das sollte bei der Familienplanung unbedingt berücksichtigt werden. Besser erst das Baby und dann die Katze als umgekehrt. Vermutlich jedoch sollte man Katzenhaltern sowieso keine Kinder zumuten. Allerdings gibt es zwölf Millionen Katzen in Deutschland. Mehr als Kinder!

Aber das ist alles vollkommen in Ordnung. Jeder braucht sie, die lebende, atmende und bellende vierbeinige Schnullerprothese. Beispiel Arbeitsplatz: Mehr als eine Studie hat wissenschaftlich nachgewiesen, dass Hunde am Arbeitsplatz ein Wohlfühlklima erzeugen und den Blutdruck senken. Außerdem muss man sie regelmäßig Gassi führen, wodurch das Immunsystem stimuliert und die Fettverbrennung gefördert wird. Das senkt die Blutfette. Blutdruck-medikament und Fettsenker eingespart. Vermutlich zahlen die Krankenkassen demnächst die Hundesteuer. Vielleicht bezuschussen sie sogar ein paar der leckeren Dinge vom Vierbeiner-Speiseplan – natürlich nur, wenn sie Fitness, Fellglanz und tierisches Wohlbefinden fördern. Hundefutter ist nicht gleich Hundefutter. Und Truthahn nicht gleich Truthahn. Da gibt es Truthahn mit Reis, Truthahn mit Kartoffel oder Truthahn mit Erbsen. Natürlich aus freilaufender Haltung bis kurz vor der Dose. Für die optimale Gebisspflege ist regelmäßig Zähneputzen angesagt, die Hundezahnbürste macht’s möglich. Mit der Zahnseide will es irgendwie noch nicht so richtig klappen.

Aber ist das nicht ein herrliches Thema für die Kaffeepause im Kreise der Kollegen? Tierfernen Kritikern, die meinen, Hunde am Arbeitsplatz störten die Abläufe, sei gesagt: Das genaue Gegenteil ist der Fall. Die Auseinandersetzung darüber, wer mit welchem Hund Gassi gehen, wie hoch der Anteil von rohem Fleisch bei der Fütterung maximal sein und ob die Azubine Mandy mit dem Jack-Russel-Terrier des Chefs im Sozialraum Frisbee spielen darf, fördert eindeutig das kommunikative Repertoire der Arbeitnehmer.

So gelang es der Ladenkette Fressnapf durch die Einführung des Kollegen Hund ihre Produktivität um über 80 Prozent zu erhöhen und den Gang an die Börse zu wagen. Was Fressnapf kann, können auch Kitas: Hund rein in die Kita, Glückshormone rauf, Schwererziehbarkeit runter, Ritalin absetzen. Vielleicht sollte das Modell auf das deutsche Schulsystem angewendet werden. Außerdem bekommen Hunde kein Burnout. Wenn das so weitergeht, wird der Hund zum ärgsten Feind von Lehrersippe und Pharmaindustrie.

Auch woanders machen sich Hunde zunehmend nützlich, beispielsweise bei Banken und Sparkassen. Bevorzugte Rasse: Golden Retriever. Kein Hund hat feinere Antennen für das komplexe Innenleben des Homo sapiens. Betritt ein Kunde die Bank und sträuben sich beim Golden Retriever die Nackenhaare, merkt der Bankangestellte sofort: Etwas stimmt nicht, Kreditwürdigkeit ist nicht gegeben. Was den Banken ihr Golden Retriever, wäre den Sozialämtern der deutsche Schäferhund. Mit ihm kann auch eine aggressionsgehemmte und zierliche Mitarbeiterin eines Jobcenters den Mut aufbringen, einmal Klartext zu reden. 

Überhaupt, Frauen und ihre Hunde! Gegen diese innige Liebschaft wirken Romeo und Julia geradezu wie eine kalte Zweckgemeinschaft. So manche Dame vertraut sich nur noch ihrem vierbeinigen Frauenversteher an, bevor sie an das Mängelwesen Mann überhaupt noch einen Gedanken verschwendet. Oder um es mit den Worten des Protagonisten in Timur Vermes Satire „Er ist wieder da“ auszudrücken: „Mein Blick streifte eine verrückte Frau, die am Rande jener Grünanlage einen Hund an der Leine führte und im Begriff war, dessen Hinterlassenschaft aufzuklauben.“


Der Autor arbeitet als Arzt für Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapie in Krefeld. 2017 erschien sein siebtes Buch „Albtraum Grenzenlosigkeit” (Solibro Verlag).