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19.01.18 / Ein Apfel aus Jokehnen / Immer noch unter Dampf und voller Schaffenskraft: Arno Surminski – ein Porträt aus der Ferne und aus der Nähe

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 03-18 vom 19. Januar 2018

Ein Apfel aus Jokehnen
Immer noch unter Dampf und voller Schaffenskraft: Arno Surminski – ein Porträt aus der Ferne und aus der Nähe

So kann man sich auch einem Schriftsteller nähern: Man reist erst einmal ein paar hundert Kilometer von ihm fort. Im vergangenen Herbst hat PAZ-Autor Peer Schmidt-Walther die ostpreußische Heimat von Arno Surminski erkundet. Danach hat er ihn und Frau Traute zwischen Weihnachten und Neujahr höchstpersönlich an seinem Wohnort in Hamburg-Barmbek aufgesucht. – Fernblicke, Rückblicke und Ausblicke auf einen bemerkenswerten Autor.

Umsteigen in Stettin. Weiterfahrt mit dem „Ostpreußen-Express“. Es geht über Danzig, Dirschau, Marienburg, Elbing, Allenstein, Korschen, Rastenburg nach Lötzen, dem heutigen Gizycko, am Löwentin-See. Mit quietschenden Bremsen hält der Zug mit Fahrtziel Bialystok an der weißrussischen Grenze vor dem alten deutschen Bahnhofsgebäude. Angekommen in Masuren, dem Land der 3000 Seen, nach neuneinhalb Stunden seit der Oder-Überquerung 

Mein Fahrer Bartek, Leiter einer Reiseagentur, ist schon instruiert, wohin die Reise am nächsten Tag gehen soll. „Da bin selbst ich noch nicht gewesen“, sagt er kopfschüttelnd, als ich ihm meine Wunschroute zeige: von Lötzen Richtung Norden, bei Großgarten Abzweigung nach Steinort zwischen Mauersee und Dargainen See. Hier liegt das bekannte Schloss der gräflichen Familie von Lehndorff. Im Gegensatz zur Marina, in der zahlreiche Segelboote dümpeln, macht das Gebäude einen verwahrlosten Eindruck. Daran ändert auch nichts, dass eine Gruppe Dresdner Studenten hier werkelt.

Es geht weiter auf Drengfurth im Kreis Rastenburg zu. Damit beginnt die Spurensuche. In der Kirche wurde Arno Surminski getauft, am Rathaus sammelten sich 1945 die Trecks zur Flucht. Auf halbem Weg nach Barten hinter Marienthal taucht das grüne Ortsschild mit dem weißen Schriftzug Jeglawki auf. Jäglack hieß der Ort zu deutscher Zeit, Surminskis Geburtsort, dem er sein Buch „Jokehnen oder ein Dorf in Ostpreußen“ gewidmet hat. „Jokehnen klingt besser“, meint der 83-Jährige verschmitzt lächelnd. 

Das Buch dient mir jetzt als Wegweiser durch die Vergangenheit. Aha, gleich rechts der ehemalige Volkmann'sche Krug, dann links die Schule von Lehrer Kloss, der Gedenkstein für die Gefallenen des ersten Weltkriegs am Heller, dem kleinen Teich. Bis sich der Blick weitet auf den großen Teich. Das Schloss der Familie Siegfried schließt sich links an. Inzwischen wieder vollständig renoviert und als Hotel geplant. Wir dürfen einen vom Verwalter geführten Rundgang unternehmen.

Von der Terrasse blickt man auf die andere Teichseite, wo auf einem kleinen Hügel das ehemalige Grundstück von Erna und Max Surminski liegt, Schneider- und Bürgermeister bis 1945. Wir fahren hinüber auf dem Weg, der nach Wolfshagen führt. Links das Haus, das einst Onkel Franz gehörte, rechts die Einfahrt zum ehemaligen Surminskischen Grundstück. Auf dem Fundament der dem Verfall ausgesetzten Hausreste wurde zwischen 2012 und 2015 ein Neubau errichtet. Der Besitzer, ein freundlicher Warschauer Geschäftsmann, gibt bereitwillig Auskunft. Auch ihn fasziniert immer wieder die Lage des Grundstücks mit Blick über den Teich auf Dorf und Schloss. Zum Abschied schenkt er uns Äpfel. Einen bekommt später Arno Surminski in Hamburg. Seine Freude ist groß. Er verspricht, die Kerne einzupflanzen. „Aber ob ich’s noch erlebe, dass ein Bäumchen mal groß wird und Früchte trägt“, gibt er zu bedenken, „das sei dahin gestellt“.

Wir fahren noch ein Stück auf dem 45er-Fluchtweg Richtung Skandlack ins nördliche Ostpreußen zur Küste mit den rettenden Flüchtlings-Schiffen. Die Eichenallee hinter Jäglack – für Arno Surminski die schönste, die er kennt – nach Barten ist ein weiteres Muss. Über eine abenteuerliche Kopfsteinpflasterstraße steuern wir Wolfshagen an, erreichen Drengfurth, Angerburg und schließlich wieder Lötzen. Auf der anderen Seite des Sees, in Wilkassen, wartet schon das polnische Seen-Kreuzfahrtschiff Classic Lady, um zu seiner Reise über die masurischen Seen aufzubrechen, die mit Unterbrechungen über das Talter Gewässer, Nikolaiken, den Spirding- und Beldahnsee bis nach Piaski bei Niedersee führt.

Von all dem berichte ich dann einige Wochen später einem sehr agilen Ehepaar Surminski. Bei einem Spaziergang von ihrem gepflegten Altbau durch Barmbek zum Museum der Arbeit und am Osterbekkanal entlang kann ich mich davon überzeugen, wie flott die Beiden zu Fuß daherkommen. „Das ist Teil unseres gemeinsamen Fitnesprogramms“, sagt die gut trainierte Hamburgerin Traute, die – auch ernährungsmäßig – darauf achtet, dass es „ihrem Arno“ gut geht, „denn“, so er, „man sitzt ja doch viel zu lange am PC“. 

In Wacken, dem Rock-Dorf am Nord-Ostsee-Kanal bei Hochdonn, da kann er sich austoben. Nicht bei Musik, Bier und Tanz, sondern auf dem eigenem Waldgrundstück mit Ferienhaus. „Da gibt es genügend Bäume, die ich fällen und zerkleinern kann“, sagt der Mann, der zwei Jahre lang in Kanada als Holzfäller gearbeitet und das in seinem Roman „Fremdes Land oder als die Freiheit noch zu haben war“ verarbeitet hat. „Der Wald erinnert mich immer an Ostpreußen“, freut sich die Surminski aufs Aktiv-Wochenende, wobei auch Radtouren in die Umgebung und an den Kanal unternommen werden. Für Abwechslung und Bewegung sorgen auch drei Kinder und acht Enkel. 

In seinem Arbeitszimmer stapeln sich Manuskripte und Bücher, die auch die Wohnzimmerwände fast komplett bedecken. Viel Historisches darunter, das er zum Recherchieren braucht. Ganz aktuell für sein „Lokführer-Buch“, an dem er zurzeit und noch eine Weile arbeitet. „Ein Eisenbahner aus dem Grenzbahnhof Prostken im südöstlichen Ostpreußen“, lässt er durchblicken, „den es zwischen den Weltkriegen bis nach Hamburg-Altona verschlägt – mit vielen schick-salhaften Erlebnissen“. Auch Arno Surminski hat Bahn-Erinnerungen. Der damalige Kreis Rastenburg war gut durch Kleinbahn-Strecken erschlossen. Sogar Jäglack unterhielt hinter dem Schloss einen behelfsmäßigen Bahnhof der Barten-Nordenburger-Kleinbahn. „Eisenbahn hat mich schon immer fasziniert“, gibt Surminski zu, der sich tief in die Thematik eingearbeitet hat durch Fachbücher über die Deutsche Reichsbahn und historische DVD-Filme. Das habe ihm sehr geholfen bei der sachlichen Bearbeitung dieses umfassenden Gebietes. Auf historischen Gleisen verkehrt bis heute der „Ostpreußen-Express“, mit dem ich auch durch den Heimat-Kreis von Arno Surminski gefahren bin. 

Nach dem Mittagessen – Traute serviert einen leckeren Lachsauflauf, dazu ein Silvaner aus Franken und zum Nachtisch Zimstern-Eis – führt mich Arno in den Keller. Die Wände sind gepflastert mit 70 Aktenordnern. Lauter Leserbriefe, eingegangen seit 1974, und seine Antworten. Die hat er in einer enormen Fleißarbeit durchgeackert, ausgewählt und kommentiert. Daraus ist schließlich 2013 das Buch „Jokehnen oder die Stimmen der Anderen“ geworden. Jetzt überlegt er sogar, angesichts der Materialfülle noch ein zweites Buch daraus zu machen. Last but not least hat er ein historisches Buch am Wickel. „Aber dazu kann ich noch nichts Genaueres sagen“, meint er, „das ist erst eine Ideenskizze“.





Zur Person

Geboren wurde Arno Surminski 1934 als Sohn eines Schneidermeisters im ostpreußischen Jäglack fünf Kilometer westlich von Drengfurth. Dort verbrachte er auch seine Kindheit. Nach Kriegsende wurden seine Eltern in die Sowjetunion deportiert, er blieb allein zurück. Und kam in verschiedene Lager. 1947 gelangte er ins schleswig-holsteinische Trittau und wurde von einer sechsköpfigen Familie aufgenommen. Nach der Volksschule machte er von 1950 bis 1953 eine Lehre in einem Anwaltsbüro. 1957 bis 1960 lebte er als Holzfäller in Kanada, zog dann aber wieder zurück nach Deutschland. 1962 bis 1972 arbeitete er als Angestellter in der Rechtsabteilung einer Hamburger Versicherungsgesellschaft.

Seit 1972 ist er neben der schriftstellerischen Arbeit als freier Wirtschafts- und Versicherungsfachjournalist tätig. Bekannt wurde Surminski mit zahlreichen Erzählungen und Romanen, die meist von seiner ostpreußischen Heimat und dem Schicksal der Vertriebenen und Flüchtlinge handeln. Sein Erstling „Jokehnen oder wie lange fährt man von Ostpreußen nach Deutschland“ wurde 1987 als TV-Dreiteiler verfilmt.  

Arno Surminski ist Mitglied der Freien Akademie der Künste Hamburg. Er lebt mit seiner Frau Traute in Hamburg und hat drei erwachsene Kinder.