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19.01.18 / Dreimal Marx – Dreimal Weichspüler

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 03-18 vom 19. Januar 2018

Dreimal Marx – Dreimal Weichspüler
Konrad Löw

Mit dem Godesberger Programm des Jahres 1959 entfernte sich die SPD von Karl Marx, dem „großen Führer“ von einst. Der Weg in den Kommunismus verlief wenige Jahrzehnte später im Sande. Der Mann, der die Berliner Mauer öffnete, Günter Schabowski, schrieb dem Autor dieser Rezension: „Nicht erst mit Stalin, sondern mit dem Freundespaar aus Trier und Wuppertal beginnen Misere und Höllensturz der ‚wissenschaftlichen‘ Weltverbesserung.“ 

Trotz dieser Niederlagen erscheinen nach wie vor Marxbiografien. Sie sind für jeden, der für politische Fragen aufgeschlossen ist, eine Herausforderung. Warum hat sich die SPD von ihrem Marx getrennt? Losgesagt hat sie sich nicht, vielmehr ihn sang- und klanglos fallen lassen. Wer die Antwort sucht, muss sich ins Archiv der SPD vertiefen. Dann erfährt er: Das Expertengremium der SPD hatte gefährliche Gemeinsamkeiten mit einem anderen, einem berüchtigten Deutschen ausgemacht: einem Hasser der slawischen Völker, einem Antisemiten, einem Vorkämpfer des Totalitarismus. 

Mitten im Herzen der Bundeshauptstadt, nahe dem Alexanderplatz, thront, aus Erz gegossen, Karl Marx. Errichtet hat das Monument der totalitäre SED-Staat. Kann der Staat des Grundgesetzes diesen Kult fortsetzen, ohne sich an der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu versündigen? Dass die beiden Folianten tiefe Einblicke in das Leben von Marx und seiner Umwelt vermitteln, versteht sich bei ihrem Umfang fast von selbst. Aber liefern sie auch das Material, das zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen dient?

Wenn wir mit dieser Erwartung das Buch von Stedman Jones zur Hand nehmen, werden wir enttäuscht. „Das Manifest gilt bis heute zu Recht als Karls ein-

drücklichster Text“, schreibt Stedman Jones. Doch wo bleibt der Vorwurf an die Adresse von Marx gerichtet, damit zu einem Weltbrand aufgefordert zu haben? Da heißt es am Ende: „Die Kommunisten verschmähen es, ihre Ansichten und Absichten zu verheimlichen. Sie erklären offen, dass ihre Zwecke nur erreicht werden können durch den gewaltsamen Umsturz aller bisherigen Gesellschaftsordnung.“ Als da sind neben anderem der Staat, die Ehe, die Familie, die Rechtsordnung. Geht es krasser?

Über „Das Kapital“ schreibt Stedman Jones: „Der außerordentliche Faktenreichtum, die Verbindung von Statistiken, amtlichen Berichten und Schilderungen … bleibt beeindruckend.“ Doch bluttriefende Gewalt beschließt das so harmlos beginnende Werk: „Die Gewalt ist der Geburtshelfer jeder alten Gesellschaft, die mit einer neuen schwanger geht.“ Dass schon der junge Marx als „Vernichter“ wahrgenommen wurde, gehört das nicht in die Biografie des „gottlosen Selbstgottes“?

„Karl Marx, der revolutionäre Querkopf und Vordenker des 

19. Jahrhunderts, ist wieder da.“ So heißt es im Klappentext zu Jürgen Neffes Buch. Auch sein Werk bietet viel Bekanntes und noch mehr Kurioses, kurzweilig aufbereitet, durchaus nicht hagiografisch. Oder doch mitunter? So wenn Neffe die „Schauergeschichte ‚Das Kapital‘“ mit den Worten beginnt:  „Der 11. September 1867 … markiert einen Meilenstein in der Geschichte des abendländischen Denkens.“ Was hatte sich ereignet? Marx’ Hauptwerk war erschienen, das bis heute kaum jemand gelesen hat.

Jene apokalyptischen Passagen, die die Revolutionäre im Vollzug ihrer welthistorischen Mission von jeder Sünde freisprechen – „dem Revolutionär ist jedes Mittel recht!“ –, bleiben ohne angemessene Bewertung gerade mit Blick auf die „bluttriefende“ Vergangenheit, die damals noch Zukunft war. Gibt es deshalb einen Dispens? 

Schier unvergleichlich mit den erwähnten Werken ist Thomas Steinfelds „Herr der Gespenster“. Schon der Klappentext belehrt, Steinfeld habe „Marx noch einmal gelesen und einen Intellektuellen gefunden, der selbst dort, wo er offensichtlich irrt, klüger ist als viele seiner Kritiker. Eine Weltanschauung wird man bei ihm nicht mehr suchen, dafür findet man bestechende Analysen zur Gewalt.“ Sind wir damit schon bei dem Stichwort angelangt, das, in Vollzug gesetzt, die Welt heimgesucht hat, dem Terror? Nein, es geht bei Steinfeld nicht um die Gewalt gegen Personen, Kollektive, ganze Völker, sondern um die Gewalt, die das Geld auf den Menschen ausübt, von dem Marx aber nie genug bekommen konnte. Steinfelds Werk ist keine Biografie, sondern eine Sammlung geistreich-witziger Essays mit Anleihen bei Marx, die unterhalten, aber nicht belehren können. 

Gareth Stedman Jones „Karl Marx. Die Biographie“, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2017, gebunden, 896 Seiten, 32 Euro 

Jürgen Neffe „Marx. Der unvollendete“, Bertelsmann Verlag, München 2017, gebunden, 656 Seiten, 28 Euro

Thomas Steinfeld „Herr der Gespenster. Die Gedanken des Karl Marx“, Hanser Verlag, München 2017, gebunden, 288 Seiten, 24 Euro