Während über das umfangreiche Staatsdoping in der DDR immer wieder ausgiebig berichtet wurde, gehörte der Missbrauch von leistungssteigernden Substanzen durch Sportler der Bundesrepublik bis vor Kurzem eher zu den Tabuthemen der Zeitgeschichte. Dabei wurde auch im Westen kräftig geschluckt und gespritzt. So bekam der Diskuswerfer Alwin Wagner zwischen 1977 und 1988 insgesamt fünf verbotene Medikamente verabreicht. Der Kölner Radprofi Jörg Paffrath brachte es sogar auf eine Zahl von 30 Dopingmitteln innerhalb von nur vier Jahren – was der DDR-Praxis in nichts nachstand.
Und das waren keineswegs Einzelfälle: Wie der Krefelder Apotheker Simon Krivec in seiner im Dezember 2016 vorgelegten Dissertation zum Thema „Die Anwendung von anabolen-androgenen Steroiden in der Bundesrepublik Deutschland in den Jahren 1960 bis 1988 unter besonderer Berücksichtigung der Leichtathletik“ enthüllte, konsumierte im fraglichen Zeitraum fast jeder zweite Leichtathlet im Westen Anabolika – auch nach dem IOC-Verbot im Jahre 1974.
Dabei setzte der Dopinggebrauch nicht etwa erst dann ein, als die Sportler der DDR immer erfolgreicher wurden und man aus Prestigegründen nachziehen wollte. Vielmehr nahmen bundesdeutsche Wettkämpfer schon in den 1950er Jahren Aufputschmittel wie das unter dem Markennamen „Pervitin“ vertriebene Methamphetamin. In jenem Zeitraum begann auch der Missbrauch von anabolen Steroiden.
Das Doping in der Bundesrepublik wurde ab 1970 in systematischer Weise vom neugegründeten Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp) unterstützt, das dem Bundesinnenministerium unterstand. Wie Wissenschaftlergruppen der Berliner Humboldt-Universität sowie der Universitäten Münster und Freiburg in den vergangenen Jahren enthüllten, liefen am BISp 516 Forschungsprojekte, bei denen es um leistungssteigernde Substanzen ging. Hiervon wussten etliche der damals aktiven Politiker – ohne diese Praktiken zu unterbinden. Vielmehr wurde sogar dafür gesorgt, dass die gesetzlichen Krankenkassen Dopingmittel wie Dianabol bezahlten.