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26.01.18 / Die »glücklichen Mädel unserer Zeit« / Vor 80 Jahren wurde in Deutschland das Pflichtjahr für Mädchen und Frauen bis zum 25. Lebensjahr eingeführt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 04-18 vom 26. Januar 2018

Die »glücklichen Mädel unserer Zeit«
Vor 80 Jahren wurde in Deutschland das Pflichtjahr für Mädchen und Frauen bis zum 25. Lebensjahr eingeführt
Klaus J. Groth

Jeder Deutsche sollte seine Arbeitskraft einsetzen und helfen, das „Tausendjährige Reich“ aufzubauen. Am 15. Februar 1938 führten die Nationalsozialisten das Pflichtjahr für Mädchen ein.

„Heute sollte ich ein Huhn schlachten. Meine Hausfrau hat gesagt, zwischen den Knien festhalten und zuschlagen, ist doch ganz leicht. Aber ich konnte das nicht. Frau B. hat geschimpft und das arme Vieh selbst abgemurkst“, schreibt Gertrud S. an ihre Schulfreundin Anneliese H. in Gleiwitz. „Auch Kühe melken ist schreck­lich, eine hat nach mir getreten, und ich bin in einem Kuhfladen gelandet. Und dann das frühe Aufstehen! Du Glückliche, Du hast es besser getroffen.“ Die beiden „Lyzeen“, Schülerinnen des Gleiwitzer Eichendorff-Lyzeums, schreiben sich oft, seitdem sie ihr Pflichtjahr ableisten. Anneliese hat es wirklich besser. Sie hilft einer jungen Mutter mit drei Kindern in der Nachbarschaft. Auf einem verblichenen Foto sitzt sie an einem Tisch, umringt von drei kleinen Mädchen mit Zöpfen und stopft Strümpfe. Nachmittags kann sie nach Hause gehen, während es Gertrud in ein „ödes Kaff“ verschlagen hat. 

Die Einführung des Pflichtjahrs für alle Mädchen nach dem Schulabschluss und für unverheiratete Frauen unter 25 Jahren wird von der NS-Propaganda mit den üblichen schneidigen Worten begleitet. „Ihrer Pflichten und Aufgaben bewusst, sind sie glückliche Mädel unserer Zeit … Wollen wir uns nicht freuen, dass wir Kraft in uns fühlen, dass unsere Aufgabe unendlich ist?“

Wer Pech hat wie Gertrud, für den ist erst einmal der Arbeitstag unendlich und der symbolische Lohn gering. Zwischen drei und 15 Reichsmark erhalten die Pflichtjahrmädel monatlich. 300000 Schulabgängerinnen werden von den Arbeitsämtern jedes Jahr zu kinderreichen Familien, in Haushalte mit erkrankten Müttern oder auf Bauernhöfe vermittelt. Ohne Absolvierung des Pflichtjahrs gibt es keinen Ausbildungsplatz. Arbeitsbuch und Zeugnis müssen den künftigen Arbeitgebern vorgelegt werden. Die Mädchen sollen zu tüchtigen Hausfrauen erzogen und motiviert werden, dem Führer viele Kinder zu schenken. Mehrmals im Jahr finden Pflichtjahrtreffen statt, organisiert vom „Bund Deutscher Mädel“ (BDM), bei denen gesungen, getanzt und indoktriniert wird.

Ein Leitfaden mit dem Titel „Das Pflichtjahr“ gibt einen Einblick in die straffe Organisation. Wo ist der Bedarf nach einer Pflichtjahrstelle anzumelden, wie muss das junge Mädchen beschäftigt, untergebracht und betreut werden bis hin zur Arbeitskleidung: „Die Kleidung muss praktisch und für die in Aussicht genommene Arbeit passend sein. Dünne, seidene Fähnchen sind nichts für Land- und Hausarbeit. Das Deutsche Frauenwerk hat einen Bogen mit praktischen Vorschlägen und Zeichnungen für zweckmäßige Pflichtjahr-Kleidung herausgegeben, dessen Studium reiche Anregungen gibt.“

Dass nicht nur die Erziehung zum Idealtypus der Frau nach dem Geschmack der Nationalsozialisten Zweck des Pflichtjahrs war, erkannten die meisten jungen Mädchen nicht. Ende 1936 hatte Adolf Hitler den Vierjahresplan zur Kriegsvorbereitung erlassen. Zum Leiter der Vierjahresplanbehörde ernannte er Hermann Göring. Der sollte alle wirtschaftlichen und sozialpolitischen Maßnahmen treffen, um Deutschland kriegsfähig zu machen. Dazu gehörte die Anordnung zum „verstärkten Einsatz weiblicher Arbeitskräfte in der Land- und Hauswirtschaft“. Die Mädchen sollten im Kriegsfall zu Hause einen Soldaten ersetzen. In einer Plakataktion bringt der BDM den „Jungmaiden“ die Botschaft: „Auch Du gehörst dem Führer!“ 

Nachdem das Interesse Hitlers bisher mehr den Jungen als den künftigen Soldaten gegolten hatte, erhielten nun auch die jungen Frauen einen wichtigen Platz in der NS-Maschinerie. Die BDM-Reichsreferentin Jutta Rüdiger schrieb: „Die Jungen werden zu politischen Soldaten und die Mädel zu starken und tapferen Frauen erzogen, die diesen politischen Soldaten Kameraden sein sollen – und unsere nationalsozialistische Weltanschauung später in ihrer Familie als Frauen und Mütter leben und gestalten – und so wieder großziehen eine Generation der Härte und des Stolzes. Wir wollen darum bewusst politische Mädel formen. Das bedeutet nicht: Frauen, die später in Parlamenten debattieren und diskutieren …“ Die Gleichberechtigung der Frau bestehe darin, dass sie in den ihr von der Natur bestimmten Lebensgebieten jene Hochschätzung erfahre, die ihr zukomme. 

Ein „von der Natur bestimmtes Lebensgebiet“ wurde nach Ausbruch des Kriegs besonders wichtig. Die Zeitschrift „Völkischer Wille“ betonte: „Wir brauchen nun einmal – abgesehen von allen anderen Gründen – für den Ausgleich der blutigen Verluste des Krieges, für den Ausgleich des Geburtenrückgangs, der durch die Trennung der Soldaten von ihren Familien bedingt ist, heute soviel erbgesunde Kinder wie eben möglich. Ja, das Pflichtjahr hat jetzt erst seinen eigentlichen Sinn bekommen.“

Zunächst mussten die Mädchen die zur Front abkommandierten Männer an deren zivilen Arbeitsplätzen ersetzen. Tausende junge Frauen meldeten sich freiwillig zum Dienst in der Landwirtschaft, an Werkbänken und in Industriehallen, Tausende ließen sich als Krankenschwestern und Helferinnen in den Lazaretten des Roten Kreuzes anlernen. Ab 1941 bestand eine Verpflichtung zum Kriegshilfsdienst. Als nach den ersten Erfolgen der deutschen Wehrmacht immer mehr Niederlagen an Hitlers Hauptquartier gemeldet wurden, übernahmen Wehrmachtshelferinnen die Aufgaben von Soldaten, die an der Front kämpften oder gefallen waren. Sie arbeiteten als Stenoty­pistinnen, Telefonistinnen, Botinnen und im Wetterdienst. Im Eiltempo wurde das sogenannte weibliche Behelfspersonal an Horchgeräten bei der Flugabwehr oder als Hilfskanoniere ausgebildet. Nach Schätzungen arbeiteten rund 400000 junge Frauen als Krankenschwestern und 500000 als Wehrmachtshelferinnen, weit mehr als bei den Truppen der Alliierten. Nach dem verlorenen Krieg waren aus Joseph Goebbels’ „glücklichen Mädeln“ verhärmte Frauen geworden, die mit Schaufeln und Schubkarren die Trümmer in den Städten beseitigten.