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26.01.18 / Ein gescheiterter Angriff brachte den Durchbruch / Die Tet-Offensive entlarvte den von der US-Führung behaupteten nahen Sieg im Vietnamkrieg als Mär

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 04-18 vom 26. Januar 2018

Ein gescheiterter Angriff brachte den Durchbruch
Die Tet-Offensive entlarvte den von der US-Führung behaupteten nahen Sieg im Vietnamkrieg als Mär
M.R.

Vor einem halben Jahrhundert war die Propaganda der US-Regierung gegen­über den Amerikanern bezüglich des Vietnamkrieges ähnlich wie heute die der Bundesregierung gegen­über den Deutschen bezüglich der Griechenlandkrise. In beiden Fällen hieß es stets, dass man Geduld haben und noch ein paar Soldaten beziehungsweise Euro nachlegen müsse, und dann würde alles gut. Die USA waren damals einem erfolgreichen Ende ihres Engagements im Vietnamkrieg ungefähr so nahe wie Deutschland einem erfolgreichen Ende seines Engagements in der Griechenlandkrise. Während die Deutschen bislang jedoch im Zusammenhang mit der Griechenlandkrise noch kein großes punktuelles Desillusionserlebnis gehabt haben, so hatten es die US-Amerikaner bezüglich des Vietnamkrieges vor 50 Jahren mit der Tet-Offensive. 

Bis Mitte der 60er Jahre war es der von der Demokratischen Republik (Nord-)Vietnam (DRV) unterstützten Nationalen Befreiungsfront (FNL) gelungen, große Teile Südvietnams, wenn nicht unter ihre Kontrolle, so doch unter ihren Einfluss zu bringen. In den Städten und deren Umland herrschte jedoch noch die von den USA unterstützte Regierung der Republik (Süd-)Vietnam. Letzteres versuchten DRV und FNL vor einem halben Jahrhundert, mit einer lange vorbereiteten und einer großen Kraftanstrengung verbundenen Offensive zu ändern.

Am 31. Januar 1968 wurden fünf der sechs großen Städte, 36 der 44 Provinzhauptstädte, 64 Bezirkshauptstädte und alle kreisfreien Städte nahezu zeitgleich von über 80000 FNL-Kämpfern und DRV-Soldaten angegriffen. Die Überraschung war eine nahezu totale. Tet, der Neujahrstag nach dem Mondkalender, welcher der Tet-Offensive ihren Namen gab, gilt in Vietnam als der heiligste Tag des Jahres, und unmittelbar vorher hatten erst die Angreifer eine sie­bentägige Waffenruhe angekündigt. Die Hälfte der südvietnamesischen Regierungssoldaten befand sich auf Heimaturlaub. Die militärischen Nachrichtendienste hatten keine Warnung ausgesprochen. Die US-Amerikaner hatten ihrem Gegner eine derartige logistische Leistung nicht zugetraut.

Erschwerend kam hinzu, dass die US-Streitkräfte zuvor vom Gegner abgelenkt worden waren. Im Bergdorf Khe Sanh im äußersten Norden Südvietnams hatten das U.S. Marine Corps eine kleine Basis. Als nun die DRV zwei Divisionen mit etwa 20000 Mann in unmittelbarer Nähe zusammenzog und am 21. Januar, also zehn Tage vor dem Beginn der Tet-Offensive, auch tatsächlich mit Artillerie angriff, befürchteten die US-Strategen ein zweites Dien Bien Phu, sprich eine kriegsentscheidende Kesselschlacht, wie sie die Vietnamesen knapp 14 Jahre zuvor erfolgreich den Franzosen geliefert hatten. Der damalige US-Präsident Lyndon B. Johnson ging sogar so weit, dem Vorsitzenden der Vereinigten Stabschefs, General Earle Wheeler, das Versprechen abzunehmen, diese Basis unbedingt zu halten. Entsprechend groß war das US-Engagement vor Ort. Aus ganz Südvietnam wurden 15000 Elitesoldaten zusammengezogen. Außer 50000 GI wurden 100000 Tonnen Bomben für die Verteidigung des Stützpunktes im Norden eingesetzt – die in Saigon fehlten.

Trotz des gelungenen Überraschungsmoments erwies sich die Tet-Offensive jedoch als militärischer Misserfolg. Binnen einiger Tage wurden die Angreifer wieder aus den Städten vertrieben, wobei Hue eine Ausnahme darstellt, welche die Regel bestätigt. DRV und FNL verloren mit um die 40000 Mann in diesen wenigen Wochen Vietnamkrieg ungefähr so viel wie die USA in neun Jahren. Für diesen Misserfolg gibt es eine Reihe von Gründen. Zum einen fand die FNL bei den Städtern nicht die Unterstützung, die sie vom Lande gewohnt war. Es ist nun nicht so, dass die Städter die neuen Machthaber bekämpft hätten, aber sie unterstützten sie auch nicht. Zum anderen hatte die Befreiungsfront durch das Abweichen von der asymmetrischen Guerillakriegsführung die US-Streitkräfte in die Lage versetzt, ihre materielle Überlegenheit ebenso konsequent wie rück­sichtslos einzusetzen. Stadtviertel, in denen Gegner vermutet wurden, wurden einfach platt gemacht. Bezeichnend hierfür ist der Kommentar eines örtlichen US-Kommandeurs nach der Rück­eroberung einer Provinzhauptstadt: „Wir mussten Ben Tre zerstören, um es zu retten.“

Entsprechend groß war die Zahl der Opfer der Tet-Offensive und ihrer Abwehr. 670000 Zivilisten wurden obdachlos, 25000 wurden verwundet und über 14000 fanden den Tod, davon alleine in Saigon über 6000. Angesichts solcher Kriegsmethoden und Kollateralschäden sank bei den US-Amerikanern zunehmend der von der Führung vermittelte Glaube, in Vietnam zum Wohle der Vietnamesen zu kämpfen. Ein Extremfall ist das Massaker von My Lai, als wenige Wochen nach dem Beginn der Tet-Offensive ein US-Trupp in einem südvietnamesischen Dorf erst die Frauen vergewaltigte und anschließend fast alle Dorfbewohner erschoss.

Es war jedoch nicht nur der Glaube an die Güte der eigenen Sache, der schwand, sondern auch die von der politischen und militärischen Führung immer wieder genährte Illusion, dass der Sieg zum Greifen nahe sei und es nun gelte, nicht noch im letzten Moment zu schwächeln. Immerhin war es dem Gegner gelungen, für einige Zeit fast ganz Vietnam in seine Gewalt zu bringen. Die Tet-Offensive hatte gezeigt, dass die USA noch nicht einmal unumschränkter Herr im eigenen Hause waren. Zu den Zielen der Offensive hatte nämlich auch die US-Botschaft in Saigon gehört. Trotz der Anwesenheit von über einer halben Millionen GI in Südvietnam hatte es sechs Stunden gedauert, um die Herrschaft über dieses Fleckchen USA zurückzuerlangen.

Präsident Johnson klagte in sei-nen Memoiren über diese Zeit der Zäsur rückblickend: „Unsere Presse und unser Fernsehen berichteten sehr emotional über die Tet-Offensive. Die Massenmedien schienen darin zu rivalisieren, wer die grausigsten und deprimierendsten Berichte bringen konnte. Leitartikler, die gegen eine amerikanische Beteiligung in Südostasien waren, übernahmen die Führung.“ 

Johnson musste feststellen, dass vor diesem Hintergrund die Politik der Eskalation in der Vietnamfrage, die mit seinem Namen verbunden wurde, nicht mehr mehrheitsfähig war. Er zog die Konsequenz. Am 31. März 1968, zwei Monate nach dem Beginn der Tet-Offensive, hielt er eine Fernseh- und Hörfunkansprache an sein Volk. Hierin gab er bekannt, dass er auf eine erneute Kandidatur für das Präsidentenamt verzichte, die von den Militärs gewünschte Eskalation in Form einer Entsendung von über 200000 zusätzlichen GI nach Südvietnam ablehne und eine Deeskalation in Form eines Verzichtes auf die Bombardierung Nordvietnams nördlich des 19. Breitengrades vornehme.

Damit war das Engagement des US-Militärs in Vietnam noch nicht beendet, doch war der Höhepunkt überschritten und das Ziel nun nicht mehr der Sieg, sondern ein Rückzug mit wenig Gesichtsverlust und vielen Gegenleistungen des Gegners. Insofern war die militärisch erfolglose Tet-Offensive politisch ein entscheidender Erfolg.