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26.01.18 / Ein Gefühl für Mord

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 04-18 vom 26. Januar 2018

Ein Gefühl für Mord
Britta Heitmann

Glaubst du, man bekommt je ein Gefühl dafür?“

„Ein Gefühl für was, Helga?“

„Na für Mord.“ Ich kann das Unwort fast nicht aussprechen.

Ilse sieht mich mit strengem Blick an. „Stell dich nicht so an, Helga.“

Sie blickt verträumt in den Abgrund, wo kurz vorher mein Walter abgestürzt war. Ilse war ins Straucheln gekommen, dabei war sie gegen ihn gestoßen und schwupp, war er verschwunden. Es ging so schnell, er hatte nicht einmal geschrien.

Walter stand immer genau an der Kante. Ich hasste das seit 30 Jahren, solange wir in unserem gemeinsamen Sommerurlaub nach Österreich in die Berge fuhren, zusammen mit meiner großen Schwester Ilse und ihrem Heinz-Georg. Ich hatte ein bisschen Höhenangst, darüber hatte er sich immer lustig gemacht. Dann ging er noch näher an den Abgrund. Na, das Problem hatte sich jetzt erledigt. Und noch einige andere dazu.

Die fingen an, nachdem Walter nach 40 Jahren im Verwaltungsdienst pensioniert worden war. 40 Jahre lang hatte er jeden Morgen um halb acht mit seiner Aktentasche unter dem Arm das Haus verlassen. Zuvor hatte ich ihm seine Thermosflasche mit koffeinfreiem Kaffee und seine Brote zubereitet, eins mit Bierschinken, eins mit Käse und eins mit Mettwurst. Dann entschwand er ins Stadtarchiv und sortierte dort Akten, während ich meine Hausarbeit erledigte und mich dann mit Ilse unserem gemeinsamen Garten widmete, der unsere große Leidenschaft war.

Wir hatten am Stadtrand ein Doppelhaus gebaut, damit die Kinder im Grünen aufwachsen konnten, aber die waren natürlich schon lange aus dem Haus. Wir arbeiteten gemeinsam im Garten, der ein wahres Schmuckstück war. Zwischendurch gönnten wir uns eine Kaffeepause mit einem Stück Torte, plauderten mit den Nachbarn oder gingen zusammen einkaufen. Wenn Walter nach Hause kam, legte er sich auf die Couch und hörte klassische Musik, zum Glück mit Kopfhörern. Das brauchte er zur Entspannung, und so störte er meinen Lebensrhythmus nicht weiter. Ein angenehmes Leben, bis Walters Pensionierung es durcheinanderbrachte.

„Helgamaus, jetzt habe ich ja Zeit und kann dir bei deiner Arbeit helfen“; für mich klang es wie eine Drohung. Ich sollte recht behalten. Er fing an, einen Putzplan aufzustellen, den Garten neu zu gestalten, stritt sich mit den Nachbarn und meckerte wegen der Kuchenpause.

„Helgamaus, du solltest wirklich mehr auf deine Figur achten, vielleicht möchtest du mich mal zum Joggen begleiten?“ Er hatte doch tatsächlich angefangen, Sport zu treiben. Mir reichte es schon, wenn wir einmal im Jahr nach Österreich zum Wandern fuhren. Natürlich war ich nicht mehr so schlank wie vor 40 Jahren, aber an Walter war die Zeit auch nicht spurlos vorbeigegangen. Und egal, wie er die verbliebenen Haare drapierte, natürlich sah man die Platte auf dem Kopf.

„Ilse, so geht es nicht weiter, mein Mann treibt mich zum Wahnsinn.“

Ilse sah mich prüfend an. „Möchtest du unser altes Leben zurück, so mit freier Zeiteinteilung und Kuchenpausen?“

Ich wusste, dass Walter Ilse auch furchtbar auf die Nerven ging. Ihr Heinz-Georg war ja noch nicht im Ruhestand. Außerdem hatte er ein paar praktische handwerkliche Fähigkeiten, die wir immer mal gut gebrauchen konnten.

„Das klingt traumhaft.“

„Willst du es wirklich um jeden Preis?“

Ich nickte.

„Dann lass mich mal machen. Aber beschwer dich hinterher nicht.“

Wir fuhren wieder nach Österreich zum Wandern. Walter schaute beim Abendbrot der knackigen Bedienung im Dirndl auf Brust und Hintern. Dann musterte er mich von oben bis unten. „Helga, du lässt dich gehen.“

Ich würgte an meinem Schweinebraten. Drei Scheiben lagen auf meinem Teller, garniert mit Soße und Butterklößchen dazu. Ilse stieß mich unauffällig an. „Morgen“, sagte sie nur.

Am nächsten Tag hatten wir eine größere Wanderung geplant. Heinz-Georg war unpässlich, er hatte plötzlich Durchfall bekommen. Also brachen wir zu dritt auf.

Zu zweit kehrten wir zurück, ich als trauernde Witwe, gestützt und getröstet von meiner großen Schwester. Ein bedauerlicher Bergunfall. Nach kurzer behördlicher Untersuchung fuhren wir unbehelligt nach Hause. Heinz-Georg war auch wieder fit, die Wirkung von Ilses Abführmittel hatte nicht lange angehalten.

Ich habe Walter eine würdevolle Beerdigung ausgerichtet, sogar mit einem Eichensarg. Auch der Bürgermeister ist kurz vorbeigekommen. Meine Tochter Silvia ist blass und sieht ihren Mann Christoph zwischendurch immer wieder böse an, sie haben wohl mal wieder Eheprobleme. Alle reden über Walter, wie schrecklich der Unfall war, wie schön die Beerdigung ist. Nach Kaffee und reichlich Streuselkuchen gehen alle zufrieden nach Hause. Meine Probleme sind gelöst, als gut versorgte Beamtenwitwe kann ich jetzt wieder ungestört mein Leben genießen.

Allerdings geht Heinz-Georg jetzt auch in den Ruhestand. Bisher mähte er nach Aufforderung unseren Rasen und erledigte die Reparaturen am Haus. Außerdem spielte er in der Senioren-Mannschaft Fußball oder sah fern. Ein angenehmer Zeitgenosse.

„Helga, ich habe ein Problem.“ So kenne ich meine Schwester gar nicht, eigentlich weiß sie für alles eine Lösung. „Heinz-Georg hat jetzt einen Haushaltsplan aufgestellt und will, dass ich ein Haushaltsbuch führe. Außerdem streicht er jetzt immer die Sonderangebote an. Ich soll nicht nur hier beim Kaufmann einkaufen, sondern er will mit mir zu den großen Supermärkten fahren.“ Klar ist unser Kaufmann hier im alten Ortskern teurer, als die modernen Supermärkte, aber die Informationen die man hier bekommt, sind unbezahlbar.

Geht es denn schon wieder los? Walter ist uns nach der Pensionierung ein halbes Jahr auf die Nerven gegangen, wir werden ja schließlich auch nicht jünger. Vielleicht dieses Mal ein Unfall im Haus?

Ilse hatte gerade mit Heinz-Georgs sehr spezieller Einkaufsliste das Haus verlassen, als er bei mir klingelt. „Hast du mal eine Taschenlampe? Bei unserer sind die Batterien gerade alle. Ilse hat beim Staubwischen an der Deckenlampe die Kabel herausgezogen, so doof kann sich auch nur eine Frau anstellen.“

Es ist ein diesiger Winternachmittag, er wird bestimmt die Sicherungen ausschalten und dann unter dem Licht der Taschenlampe die Lampe wieder anschließen. Leise drehe ich meinen Schlüssel im Schloss und husche unbemerkt in den Keller. Ich finde mich hier blind zurecht, es ist ja schließlich alles wie bei mir, die Minilampe an meinem Schlüsselanhänger spendet mir Licht. Im Sicherungskasten ist nur eine Sicherung heruntergedrückt, „Licht“ steht darüber. Mit einem kurzen Ruck drücke ich mit einem Holzstück die Sicherung wieder hoch, oben ertönt ein Schrei, ein Rumpeln und dann fliegt die Hauptsicherung heraus. Tja, Heinz-Georg, so viel zu „doofen“ Frauen, selbst Schuld.

Unauffällig verlasse ich das Haus und warte an meinem Küchenfenster auf die Rückkehr meiner Schwester. „Es ist erledigt.“ Erstaunt schaut sie mich an, dann geht sie rüber in ihr Haus und findet ihren Heinz-Georg.

„Vorsicht beim Heimwerkeln“, steht in unserem örtlichen Anzeigenblatt. In dem Artikel wird nach dem Unglücksfall, bei dem der Schatzmeister des Fußballvereins, Heinz-Georg B. (65), einem Stromunfall erlag, auf die Gefahren beim Basteln an der Elektrik hingewiesen. Bei der polizeilichen Untersuchung stellt sich auch noch heraus, dass unsere Hauselektrik marode ist. Es hätte schon viel früher etwas passieren können. Ich hole gleich unseren Hauselektriker, ein stattlicher Endfünfziger, fast könnte ich da auf dumme Gedanken kommen, aber nein – der steht ja auch schon kurz vor der Rente.

Wieder gibt es eine würdige Beerdigung. Der ganze Fußballverein ist gekommen. Dann kehrt Ruhe bei uns ein. Endlich. Es ist Sommer und unser Garten steht in voller Blüte. Wir freuen uns über unser ungestörtes Leben. Es war jedoch die Ruhe vor dem Sturm.

Völlig verheult steht Silvia vor meiner Tür. Im Gegensatz zu mir ist sie auch mit Mitte 40 noch so schlank wie früher, allerdings hat bei ihr das dauernde Hungern zu einem verhärmten Aussehen geführt. Und schlank sein ist wirklich nicht alles: Christoph betrügt sie seit Monaten mit seiner jungen Sekretärin. Ilse und ich sehen uns an und offerieren Silvia unsere Dienste. Fassungslos schaut sie uns an, zum Glück hatte sie schon immer Schwierigkeiten mit ihrem Vater und kann mich verstehen. Unterm Kirschbaum genießen wir das Sommerwetter in unserem wunderschönen Garten und planen zusammen, wie wir das Problem mit Christoph lösen.

Zwei Wochen später fährt Silvia mit einer Freundin in den Urlaub, will Abstand gewinnen. Christoph geht jeden Montag zum Sport, danach in seine Kellersauna. Während er beim Sport ist, gehe ich mit Silvias Schlüssel ins Haus, bewaffnet mit mehreren Holzkeilen und probiere, welcher passt. Dann warte ich, bis Christoph kommt und in die Sauna geht. Leise schiebe ich den Holzkeil zwischen Fußboden und Tür. Das wird ein langer Saunagang werden. Am nächsten Tag kommt dann der unangenehme Teil. Noch einmal gehe ich im Schutz der Dunkelheit in das Haus und entferne den Keil. Durch das Fenster in der Saunatür sehe ich Christoph. Kein schöner Anblick – er hat wohl verzweifelt versucht, der Hitze zu entkommen, bis sein Kreislauf versagt hat. Was tut man nicht alles für seine Kinder.

Zwei Tage später finden ihn seine Kollegen, die sich Sorgen gemacht haben, weil er nicht erreichbar war. Ein tragischer Unfall. Natürlich bricht Silvia ihren Urlaub sofort ab und fliegt als trauernde Witwe nach Hause.

Nach der Beerdigung sitzen wir unter dem Kirschbaum und freuen uns auf die ungestörte Zukunft.

Einige Wochen später steht Ingelore vor der Tür, unsere verhuschte Nachbarin, die das Grundstück hinter unserem Garten mit ihrem Herbert bewohnt. Er ist schon seit Jahren mit allen zerstritten, eben ein Querulant, wie er im Buche steht. „Ich brauche euren Rat“, sagt sie, „ich habe euer Gespräch mit Silvia mitgehört. Könnt ihr mir auch helfen?“

So langsam bekommen wir ein Gefühl für Mord.