23.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
26.01.18 / Menschenleerer Naturzauber / Einmal quer durch Kanada mit dem Auto – Eine Fahrt auf dem Transcanada-Highway kann so manche Überraschung bieten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 04-18 vom 26. Januar 2018

Menschenleerer Naturzauber
Einmal quer durch Kanada mit dem Auto – Eine Fahrt auf dem Transcanada-Highway kann so manche Überraschung bieten
Stefan Michels

Manche Gelegenheiten darf man sich nicht entgehen lassen. Eine kanadische Freundin fragte, ob ich ihr beim Umzug helfen könne. In Deutschland bedeutet solch ein Freundschaftsdienst vielleicht ei­nen geopferten Sonntag. In Kanada, dem zweitgrößten Staat der Erde, mitunter etwas mehr. 

Im konkreten Fall hieß das: Eine Autofahrt quer durch das Land von der Atlantik- bis zur Pazifikküste. 5300 Kilometer auf dem Transcanada Highway eingeklemmt zwischen Umzugskartons, Blumentöpfen und einem dösenden Hund auf der Rück­bank. Eine Belastung von Mensch und Material. Begeistert sagte ich sofort zu.

Los ging es von dem Atlantikhafen Saint John. Unsere Abfahrt hatten wir auf einen Morgen in der kalten Jahreszeit gelegt. Die Vorsichtsmaßnahme zahlte sich aus. Selbst in den dicht besiedeldsten Gebieten bleibt das Verkehrsaufkommen deutlich unter dem deutschen Niveau. Über weite Strecken beschränkt sich der sichtbare Verkehr auf einige we­nige Autos. Stressmomente hinter dem Steuer – praktisch null.

Quebec, unsere erste Zwischenstation, genießt zu Recht den Ruf als die europäischste aller kanadischen Städte. Nirgends ist der Charme der Kolonialzeit noch so präsent. Umwehrt von einer beeindruckenden Stadtmauer thront die Altstadt majestätisch auf einem Felsrücken über dem Sankt-Lorenz-Strom. Von der luftigen Promenade eröffnet sich ein weiter Blick auf den Unterlauf. Ein eher seltener Luxus, denn Kanada erweist sich bis auf die Rocky Mountains als ein überraschend flaches Land.

In der Provinz Quebec dominiert das Französische. Es war zu spüren, dass der Aufenthalt sich deswegen auch für meine anglo-kanadische Begleiterin ein wenig wie ein Besuch im Ausland an­fühlte. Zu offen werden derartige Gefühle aber nicht ausgedrückt. Dazu hat Kanada zu viel Kraft und Mühe aufgewendet, um das einstmals feindselige Verhältnis zwischen den beiden Sprachgruppen zu entspannen.

Ein Ausdruck dieser Politik ist auch Ottawa, das wegen seiner Lage an der Sprachgrenze zur Hauptstadt erhoben wurde. Das Parlamentsviertel bietet aufgrund seines recht gelungenen neogotischen Stils viele Fotomotive. Das Parlament selbst hat in den letzten Jahrzehnten zahllose Lobeshymnen auf den Multikulturalismus erlebt, der bereits 1971 zur offiziellen Staatsideologie erhoben wurde. Nur wenige Blocks weiter, erschreckend nahe am Macht- und Repräsentationszentrum des Landes, erlebt man jedoch auch die Kehrseite der Medaille. Aus der einstigen Altstadt ist ein verwahrlostes Quartier einer Mischbevölkerung aus Asien und Afrika geworden, das nicht zum Verweilen einlädt.

Westlich von Ottawa dünnt sich die Besiedlung schnell aus, und irgendwann geht der großzügige Highway in eine einspurige Fernstraße über. Bis zur nächsten Großstadt, Winnipeg, geht es 2500 Kilometer durch eine menschenleere Wald- und Seenlandschaft – bei einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 90 Stundenkilometern. Die Gegenfahrbahn ist nur durch einen weißen Strich abgetrennt, was angesichts der Vielzahl schwerer Lkw auf der Straße ein zweifelhaftes Vergnügen darstellt. Immerhin werden Überholvorgänge durch zweispurige Zwischenabschnitte erleichtert. 

In Cochrane fühlt man sich wie am Ende der Welt. Im Winter streifen in der Gegend Polarbären umher. Das Motel macht sich nicht die Mühe, den Internetzugang zu verschlüsseln. Warum auch, es gibt weit und breit niemanden, der unbefugt darauf zugreifen könnte. Nachts donnern die Gigaliner wie Geisterschiffe die Fernstraße herunter. In Kenora zeigt sich die ostontarische Seenplatte von ihrer schönsten Seite. Der beschauliche Ort liegt in einer Bilderbuchlage inmitten glitzernder Seen und bewaldeter Inseln. Wie überall in Kanada stehen viele Häuser in einer Seelage, die sich hierzulande nur Superreiche leisten können.

Kurz danach vollzieht die Landschaft einen radikalen Wandel. Wir erreichen Manitoba, die erste der drei Prärieprovinzen. Hier umwölkten noch vor wenigen Wochen Rauchschwaden von Steppenbränden den Himmel. Die Provinzhauptstädte Winnipeg und Regina (Saskatchewan) bieten im Zentrum wenig mehr als seelenlose Hochhausarchitektur.

Interessanter sind die Zwi­schenaufenthalte auf dem Land. Der Besuch eines Freilichtmuseums in Portage la Prairie erweist sich als lehrreicher Einblick in die europäische Besiedlungsgeschichte. Trapperhütten, Farmhäuser und Krämerläden legen Zeugnis ab vom ar­beits- und entbehrungsreichen Leben der Siedler und Pioniere. Von Privilegien der Weißen findet sich hier keine Spur. In Swift Current, einem Ort mit einer großen hutterischen Gemeinde, ergibt sich unvermittelt ein Gespräch mit einem älteren österreichischen Einwanderer. Auf die Frage, was ich von Merkels Willkommenspolitik halte, rede ich Klartext. Sein Gesicht hellt sich auf, er nickt. Kein Einzelfall. Sogar in Ka­nada schütteln viele den Kopf über die Dame im Bundeskanzleramt.

Schließlich bauen sich die Rockies vor uns auf. Selbst in den höchsten Lagen liegt kein Schnee. Dann kommt ein magischer Mo­ment. Direkt an der Straße steht ein riesiger Hirsch. So unbeweglich, dass ich ihn für eine Plastikfigur halte. Beim Vorbeifahren erkenne ich meinen Fehler, wen­de meinen Kopf, und für einen Augenblick treffen sich unsere Blicke direkt – kanadischer Naturzauber. 

In Vancouver erreichen wir den Pazifik. Die einmalige Lage am Kreuzungspunkt von Land, Meer und Himmel braucht den Vergleich mit Rio de Janeiro nicht zu scheuen. Die Stadt selbst ist völlig durchglobalisiert. Tonangebend sind mittlerweile die Asiaten, die ihren Reichtum ungeniert zur Schau stellen und die Einheimischen aus dem Wohnungsmarkt drängen. 

Wir bleiben einen Tag und erreichen Victoria mit dem Spätbus. Wieder ereignet sich so ein typischer Kanada-Moment. Weil ich meine Haltestelle verpasst habe, bietet mir der Fahrer ungefragt an, mich alleine mit dem Bus zurückzufahren. Ich bin baff. Solidarität und Sozialkapital der kanadischen Gesellschaft sind trotz ihres Erodierens durch kultur- und normfremde Rekordeinwanderung immer noch erstaunlich hoch. Noch!