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26.01.18 / Wettlauf zwischen Ost und West um den prestigeträchtigsten Tierpark

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 04-18 vom 26. Januar 2018

Wettlauf zwischen Ost und West um den prestigeträchtigsten Tierpark
Dirk Klose

Als Tragikomödie bezeichnet Wilperts Literaturlexikon ein „Drama als Verbindung von Tragik und Komik zur wechselseitigen Erhellung“. Solche Dramen gab es gerade in Berlin in den Jahren der Teilung übergenug, und der Journalist Jan Monhaupt erzählt hier eine Geschichte, nämlich die der Zoologischen Gärten in Ost und West, bei der man nicht weiß, ob man weinen oder lachen soll.

Zwangsläufig entstanden nach der Teilung der Stadt hüben wie drüben für das alltägliche Leben annähernd gleiche Strukturen. Vieles doppelte sich – Rathäuser, Polizeidirektionen, Schulverwaltungen, Verkehrsbetriebe. Seinen traditionsreichen, schon 1844 gegründeten Zoo hatte Berlin im westlichen Bezirk Charlottenburg, am Rande des Tiergartens. Die geradezu tierverrückten Berliner pilgerten im zerstörten Nachkriegs-Berlin in Scharen dorthin und freuten sich über jedes Tier, das nach der totalen Zerstörung 1945 wieder hinzukam – das Nilpferd „Knautschke“ wurde prominenter als viele Politiker. 

Die SED-Verantwortlichen wurmte das, und so entstand die Idee, auch in Ost-Berlin einen Tierpark anzulegen. Und weil das Projekt rasch zu einem Prestigeprojekt wurde, kam das kostenintensive Vorhaben Mitte der 1950er Jahre in Gang. Als Ort wurde ein großes Gelände um das Schloss Fried­richsfelde gewählt, Zoodirektor wurde der bis dato am berühmten Zoo in Leipzig arbeitende Heinrich Dathe. Er leitete den Tierpark bis 1990 und baute ihn zu einem der größten Tierparks in Europa aus. In Ost und West genoss er gleichermaßen einen geradezu legendären Ruf.

Im Westen war fast gleichzeitig, nach einer miesen Intrige gegen die Zoodirektorin Katharina Heinroth, der erst 30-jähige Heinz Georg Klös berufen worden. Monhaupts Buch ist auch eine Geschichte der Rivalität zwischen diesen beiden tüchtigen, vom Temperament her ganz unterschiedlichen Männern: Hier der etwas trockene, aber trickreiche Manager Klös, dort der joviale, jede Woche im Fernsehen plaudernde Dathe, der schon bald der „Grzimek des Ostens“ genannt wurde.  

Monhaupt hat viele Jahre für eine Berliner Zeitung über die zoologischen Gärten geschrieben, kann also mit einer Fülle an Informationen die Geschichte beider Zoos erzählen. Wächst im Osten das seinerzeit europaweit bestaunte Alfred-Brehm-Raubkatzenhaus –  just zu Ulbrichts 70. Geburtstag eröffnet – empor, folgen im Westen bald ein Reptilienhaus, ein Vogelhaus und das legendäre Aquarium. Bekommt Dathe eine seltene Tierart, oft gespendet von volkseigenen Kombinaten (VEB) oder von der Stasi, gelingt Klös durch Drängen bei Bundeskanzler Helmut Schmidt, dessen Gastgeschenk aus Peking, das berühmte Panda-bärchenpaar Bao Bao und Chi Chi nach West-Berlin zu holen. 

Der Autor übergeht auch düstere Geschichten nicht: Ein Ost-Berliner Tierpfleger benutzt für seine Flucht in den Westen eine Kiste, in der ein Elch transportiert wird, was er glücklich, aber total erschöpft übersteht. Später scheitern mehrere Versuche der Stasi, ihn zu entführen und in die DDR zurückzubringen.  

Nach der „Wende“ wurde rasch alles anders. Brauchen wir zwei Zoos? war die Frage. Es kam zu beschämenden Szenen. Dathe wurde Ende 1990 gleichsam hinausgeworfen. Wohl aus Gram, seinen Tierpark verlassen zu müssen, starb er im Januar 1991, kurz nach seinem 80. Geburtstag. Auf der Gegenseite hat ihn Klös um 23 Jahre überlebt. 

Monhaupt erzählt eine wahrhaft tragikomische Geschichte aus der deutschen Teilung. Amüsant, vereinzelt etwas zu phantasiereich, erläutert er die Geschichte beider Zoos in Berlin, die übrigens heute „unter einem Dach“ fungieren. Er lässt auch die dunklen Kapitel nicht aus, die sich aus der politischen Rivalität ergaben. Besonders aber schildert er mit großer Wärme neben Dathe auch andere aus dem Osten stammende Tierpfleger und Direktoren. Das ist eine schöne Erfahrung, die man aus diesem Buch mitnimmt, dass über politische Grenzen hinweg viele persönliche Beziehungen weiter bestanden und die Zusammenarbeit nie abriss. Tiere, könnte man sagen, haben ihre eigenen Gesetze und halten sich nicht an politische Grenzen. 

Jan Monhaupt: „Der Zoo der anderen. Als die Stasi ihr Herz für Brillenbären entdeckte & Helmut Schmidt mit Pandas nachrüstete“, Carl Hanser Verlag, München 2017, gebunden, 300 Seiten, 20 Euro