25.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
02.02.18 / Die »kleinen Deutschen« / Drei sehr unterschiedliche Bücher erzählen vom Leben der ostpreußischen Wolfskinder

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 05-18 vom 02. Februar 2018

Die »kleinen Deutschen«
Drei sehr unterschiedliche Bücher erzählen vom Leben der ostpreußischen Wolfskinder
Eckhard Scheld

Nach einem Zitat von Siegfried Lenz nennt sich eine verdienstvolle Publikation zu den sogenannten Wolfskindern „Im Rücken der Geschichte“. Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge hat sie im Herbst veröffentlicht. Schüler des Leistungskurses Geschichte des Frankfurter Friedrich-Dessauer-Gymnasiums haben sich unter Leitung ihres Tutors Björn Schaal sachkundig mit dem Schicksal von Ostpreußens Wolfskindern auseinandergesetzt.

Das Buch ist eine Überraschung, da es sich nicht um eine reine Sammlung von Zeitzeugenberichten handelt. Die gibt es zum Beispiel auch von Siegfried Gronau. „Im Rücken der Geschichte“ überzeugt dagegen durch eine Vielzahl von Beiträgen, die der Komplexität des Themas gerecht werden: Der Schriftsteller Arno Surminski hat ein Geleitwort geschrieben, Deividas Matulionis, der Botschafter der Republik Litauen in Deutschland, verfasste ein Grußwort. Der Philologe Ernst Erich Metzner lieferte eine erhellende Analyse des Begriffes 

„Wolfskinder“. Der historische Hintergrund wird durch eine Untersuchung der Jugendlichen und des Historikers Christopher Spatz erläutert. Spatz verweist auch auf die mangelnde Entschädigung dieser Opfergruppe durch die Bundesrepublik. 

Schließlich war es auch dieser Historiker, der den Jugendlichen wesentliche Impulse zur Durchführung ihres Projektes gab, als er 2016 im Friedrich-Dessauer-Gymnasium zusammen mit Zeitzeugen sein eigenes Buch zum Thema vorstellte: „Nur der Himmel blieb derselbe. Ostpreußens Hungerkinder erzählen vom Überleben“. Aber zurück zum Buchprojekt der geschichtsbewussten Gymnasiasten aus Frankfurt: Tutor Björn Schaal hat darin einen eigenen wichtigen Beitrag verfasst. Unter der Überschrift „Wiederbegegnung nach langer Trennung“ beleuchtet er am Beispiel des ehemaligen Wolfskindes Friedrich Schäfer die Arbeit des Suchdienstes des Deutschen Roten Kreuzes. Gut ist auch, dass dem Band ein bewegendes Gedicht aus dem Jahr 1952 beigefügt wurde. Agnes Miegel hat es verfasst. Treffend macht sie in „Es war ein Land“ den erfahrenen Verlust und die Verwüstungen deutlich. 

Das Taschenbuch „Im Rücken der Geschichte“ mit seinen 124 Seiten ist in der Reihe Volksbund Forum 21 erschienen. Das Besondere daran ist, dass man es nicht im Buchhandel kaufen kann. Es wird  vom Volksbund abgegeben und erfreut sich einer großen Nachfrage. Nach einer Startauflage von 4000 Exemplaren ist jetzt schon eine zweite in Höhe von 20000 Exemplaren an Förderer des Volksbundes versandt worden. Das Buch ist kostenlos, regte aber schon viele Leser zu einer Spende an den Volksbund an. So kamen bislang erstaunliche 150000 Euro zusammen. 

Aber auch andere aktuelle Bücher zum Thema sind erfreulich erfolgreich. In diesem Zusammenhang sei auf das Buch des litauischen Autors Alvydas Šlepikas hingewiesen. In seinem Land brach er mit dem Tatsachenroman „Mein Name ist Maryte“ das Jahrzehnte währende Schweigen über die „Wolfskinder“, die dort „Vokietukai“, die kleinen Deutschen, genannt werden.  Šlepikas 200 Seiten umfassender Roman wurde in Litauen als Buch des Jahres 2012 ausgezeichnet.

In der Spektrumreihe des Herderverlages ist in diesem Herbst Freya Kliers Buch „Wir letzten Kinder Ostpreußens: Zeugen einer vergessenen Generation“ als Taschenbuch erschienen. In diesem Buch (Erstauflage 2015) widmete sich die bekannte Autorin, Regisseurin und ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin sieben Kindern, die in den Jahren ab 1944 alle ein ähnliches Schicksal teilten. Ihre Kindheit ist leidvoll geprägt vom Krieg, dem Verlust der Eltern, der Identität und Bewahrung. Die von Freya Klier dargestellten Einzelschicksale stehen in ihrer Besonderheit und Dramatik für sich, zugleich zeigen sie jedoch ein exemplarisches Bild für die Generation Kinder, deren Jugendzeit und das spätere Leben vom Krieg, dessen Ende und den Folgen beeinflusst wurde. 

Nun gibt es schon eine Reihe von Tagebüchern und Autobiografien mit ostpreußischer Thematik. Was ist also hier anders? Sie gibt nicht nur den Sprachlosen ein Wort, denjenigen, die Jahrzehnte über ihr bitteres Schicksal geschwiegen hatten. Sie bettet dieses Geschehen historisch ein, und richtet den Fokus dabei nicht nur auf die Kinderschicksale, sondern sie berichtet auch, was alles vorher geschehen war. Sie blendet den entsetzlichen Rassenwahn der Hitlerzeit nicht aus, verweist auf die Folgen der Belagerung von Leningrad, erinnert an die Mordorgien der Nationalsozialisten in Osteuropa. Klier zitiert auch aus anderen Dokumenten und Erinnerungen wie von Swetlana Alexijewitsch, Lew Kopelew oder Alexander Solschenizyn und stellt sich die Frage, warum man das Leid dieser Menschen in Deutschland weitgehend negiert, nichts mehr davon wissen will.

Zu der nun erschienenen Taschenbuchausgabe hat die Autorin, die 2016 mit dem Franz-Werfel-Menschenrechtspreis ausgezeichnet wurde, ein aktuelles Vorwort geschrieben, in dem sie auch auf die politischen Verwerfungen in Europa durch Putins Krieg gegen die benachbarte Ukraine und die Annektierung der Krim eingeht. Sie erinnert daran, dass es in der Ukraine fast eine Million Binnenflüchtlinge gibt und einen Kriegsalltag wie in Ostpreußen des Jahres 1945. Sie ruft uns damit in Erinnerung, dass gerade wieder die Kinder die Leidtragenden des Krieges in der Ostukraine sind, für die Gewehrfeuer, Granateinschläge und Blindgänger zum Alltag gehören.

Freya, Klier: „Wir letzten Kinder Ostpreußens: Zeugen einer vergessenen Generation“, Herder 2017, broschiert, 464 Seiten, 16 Euro.

Alvydas Šlepikas: „Mein Name ist Maryte“, Mitteldeutscher Verlag 2015, gebunden, 200 Seiten, 19,95 Euro.

„Im Rücken der Geschichte. Das Schicksal von Ostpreußens Wolfskindern“, Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, Kassel 2017, broschiert, 128 Seiten. Das Buch kann als PDF hier heruntergeladen werden: www.volksbund.de/mediathek/mediathek-detail/volksbund-forum-21.html# sowie beim Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge per E-Mail: info@volksbund.de oder unter Telefon (0561) 70090 bestellt werden.