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09.02.18 / Der »Vater des modernen Rechnens« / Mit dem Gebrauch von Deutsch statt Latein und arabischen Ziffern statt römischen Zahlen setzte Adam Riese Maßstäbe

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 06-18 vom 09. Februar 2018

Der »Vater des modernen Rechnens«
Mit dem Gebrauch von Deutsch statt Latein und arabischen Ziffern statt römischen Zahlen setzte Adam Riese Maßstäbe
V. Wittmann

Wer zwei und zwei zusammenzählen kann, beruft sich gern auf ihn: Das macht nach Adam Riese vier. Die Redensart soll unterstreichen, dass die Rechnung stimmt, und das seit 500 Jahren. Der nachhaltig beschworene Oberfranke aus Staffelstein am Main veröffentlichte 1518 das erste seiner drei Rechenbücher für den Unterricht in Rechenschulen und für die Ausbildung von Kaufleuten und Handwerkern. Das bewährte Werk über das Rechnen auf den Linien eines Rechenbretts, ein historisches Rechenverfahren für die Grundrechenarten, erschien unter dem Titel „Rechnung auf der linihen“. Im ausführlichen Untertitel bekundete der Verfasser: „Gemacht durch Adam Riesen von Staffelsteyn / in massen man es pflegt tzu lern in allen rechenschulen gruntlich begriffen anno 1518. vleysigklich uberlesen / und zum anderen mall in trugk fertiget.“ Auf heutiges Deutsch und kurz gesagt schrieb Riese ein Rechenbuch für ABC-Schützen.

Ein halbes Jahrtausend Widerhall braucht mehr als einen guten Grund. Riese legte als erster einer größeren Öffentlichkeit die wichtigsten Rechenarten schriftlich dar. Seine Anleitung erklärte jedermann, der lesen konnte, wie sich die maßgeblichen Regeln für das Zusammenzählen, Abziehen, Malnehmen und Teilen mit Tafel und Kreide bewältigen ließen.

Zuvor war der Umgang mit Zahlen und Summen auf meist mündliche Überlieferung und einen kleinen Kreis beschränkt gewesen. Kaufleute benutzten den Abakus für ihre Abrechnungen. Das Gerät bestand aus einem Rahmen mit mehreren Reihen kleiner Kugeln oder Perlen. Die schob man hin und her, um Preise, Soll und Haben nach Heller und Pfennig aufzulisten.

Die Gelehrten des ausgehenden Mittelalters kannten zu Lebtagen Rieses freilich mehr als die Grundrechenarten. So hatte Zeitgenosse Nicolaus Copernicus aus Thorn berechnet, dass die Erde die Sonne umrundete. Die Kirche wollte damals noch das Gegenteil wahrhaben.

Doch die Ergebnisse des Astronomen erschienen auf Latein. Das war damals die Verkehrssprache der Wissenschaft, aber nicht des Volkes. In einer Zeit ohne allgemeine Schulpflicht bildete dies eine zusätzliche Hürde vor den Quellen der Bildung. Riese schrieb dagegen Deutsch.

Eine weitere wesentliche Voraussetzung für den Durchbruch seines Lehrstücks hatte der Mainzer Johann Gutenberg um 1440 geschaffen. Die Erfindung des Buchdrucks ermöglichte es, Aufzeichnungen in nennenswerter Zahl zu vervielfältigen und über Land und Meer zu verbreiten. Bis dahin kannte Europa nur Abschriften von Hand. Das beschränkte naturgemäß die Auflagen.

Rechenmeister Riese benutzte zudem die arabischen Ziffern von 0 bis 9 für den bequemen Gebrauch im Dezimalsystem. Die gängige Zahldarstellungen war seinerzeit noch die der Römer in Gestalt von Großbuchstaben: I für 1, V für 5, X für 10, L für 50, C für 100, D für 500 und M für 1000. Aus Verbindungen dieser sieben Zeichen wurden die übrigen Zahlen gebildet. So bezeichnete MDXIIX, aber auch MDXVIII das Erscheinungsjahr 1518 des ersten Rechenbuchs. Die Null konnten die Römer nicht darstellen. Zudem war der Stellenwert zwiespältig. Vor einer höherwertigen Ziffer wurde abgezogen, dahinter dazu gezählt. So stand die Buchstabenkombination IX für neun und die XI für elf. Solche Besonderheiten machten die Grundrechenarten umständlich. Meister Riese erwarb das Verdienst, auch dieses Hindernis für die Fasslichkeit der Rechenregeln beseitigt zu haben.

Das Dezimalsystem war nur eins unter mehreren gebräuchlichen Verfahren. Manchethalben rechnete man in einer Zwölfer-Anordnung. Darauf deutet die heute noch übliche Mengenbezeichnung von einem Dutzend hin. In der Zeitrechnung benutzt man immer noch ein Sechziger-Schema. So werden Stunden nach 60 Minuten zu jeweils 60 Sekunden gezählt. Dieser Ansatz stammt noch von den Babyloniern.

Dasselbe gilt für die Unterteilung des Kreises in 360 Grad. Sie gehört gleichfalls zum babylonischen Erbe. Die Anordnung eröffnete gewisse Vorzüge für das Rechnen in ganzen Zahlen. Die 360 besitzt besonders viele Teiler, die keinen Rest hinterlassen. Erst in der Neuzeit führten Landvermesser eine Kreisteilung zu tausend Gon ein. Darüber hinaus hat sie sich jedoch nicht durchgesetzt.

Sein Glücksgriff mit der allgemein verständlichen Darstellung ermutigte Riese zu zwei Neufassungen: „Rechenung auff der linihen und federn“, erschienen 1522, und „Rechenung nach der lenge auf den Linihen und Feder“ von 1550. Bis ins 17. Jahrhundert wurden seine Bücher rund 120-mal aufgelegt.

Adam Riese kam 1491 oder 1492 als Sohn des Müllers Contz Riese und dessen Frau Eva in Staffelstein zur Welt. Vom Familienamen sind verschiedene Schreibweisen überkommen wie „Ris“, „Ries“, „Ryse“ oder „Ryeß“. Über den Bildungsweg des Meisters ist wenig bekannt. Um 1518 leitete er offenbar eine Rechenschule in Erfurt. Dort erschienen seine beiden ersten Bücher. 1522 zog er nach Annaberg ins Erzgebirge.

Dort heiratete Riese im Jahr 1525 Anna Freybergk, die Tochter eines Schlossers. Das Paar hatte fünf Söhne und drei Töchter. Seinen Lebensunterhalt bestritt der Vater mit Abrechnungen der Erzgruben. Zudem betrieb er auch hier eine Rechenschule. Im Jahr 1559 starb der Meister. Das Schulhaus in der Annaberger Johannisgasse beherbergt heute ein Adam-Riese-Museum. Die Nachwelt hat den volkstümlichen Deutschen mit etlichen Denkmälern geehrt. 1997 wurde nach ihm ein Asteroid benannt, der Himmelkörper „7655 Adamries“. Die Bundespost gab zu seinem Andenken zwei Sonderbriefmarken heraus: 1959 zum 400. Todestag und 1992 zum 500. Geburtstag.

Sein Geburtsjahr ist allerdings nur ungenau bekannt. Das einzige zeitgenössische Bildnis von Riese aus dem Jahr 1550 trägt einen Vermerk, der sein Alter mit 58 Jahren angibt. Aber Monat und Tag stehen nicht fest. Wenn der Meister seinen 58. Geburtstag im selben Jahr begangen hat, wäre er 1492 geboren.

Doch er könnte sein 58. Lebensjahr auch schon im Herbst 1549 vollendet und folglich das Licht der Welt bereits 1491 erblickt haben. Dann läge die Bundespost mit ihrer zweiten Gedenkmarke daneben. Denn: 1549 weniger 58 ergibt 1491 – nach Adam Riese!