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09.02.18 / Die »Weltformel« des »teutonischen Ehrgeizlings« / Vor 60 Jahren jubelte die Presse, der Physik-Nobelpreisträger Werner Heisenberg habe die physikalische »Theorie von Allem« gefunden

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 06-18 vom 09. Februar 2018

Die »Weltformel« des »teutonischen Ehrgeizlings«
Vor 60 Jahren jubelte die Presse, der Physik-Nobelpreisträger Werner Heisenberg habe die physikalische »Theorie von Allem« gefunden
Wolfgang Kaufmann

Werner Heisenberg gehörte zu den genialsten deutschen Wissenschaftlern aller Zeiten. Vor 60 Jahren präsentierte der Nobelpreisträger für Physik des Jahres 1932 seine aufsehenerregende „Weltformel“.

Das von Isaac Newton und 

James Clerk Maxwell begründete Gebäude der klassischen Physik wirkte lange Zeit ebenso monumental wie unantastbar – bis Albert Einsteins Relativitätstheorie und Max Plancks Quantentheorie es zum Einsturz brachten. Anschließend versuchte Einstein, den von ihm selbst maßgeblich mitverursachten „Schaden“ zu reparieren, indem er sich an die Einheitliche Feldtheorie wagte, die sämtliche grundlegenden physikalischen Kräfte im Universum in mathematischen Gleichungen miteinander verknüpfen sollte. Jedoch war diese Aufgabe selbst für das Genie Einstein zu anspruchsvoll: Seine „Weltformel“ wollte partout nicht aufgehen.

Dann trat in den 1950er Jahren ein weiterer Nobelpreisträger auf den Plan, nämlich Werner Heisenberg. Der Deutsche gehörte zu den Mitbegründern der Quantenmechanik, die das Verhalten von Atomen beschreibt, und hatte 1927 im Alter von erst 26 Jahren die nach ihm benannte, revolutionäre Unschärferelation formuliert. Diese besagt unter anderem, dass es unmöglich sei, gleichzeitig die Geschwindigkeit und den Aufenthaltsort eines Elementarteilchens mit beliebiger Genauigkeit zu bestimmen. Heisenberg, der während des Zweiten Weltkrieges auch in das bis heute legendenumwitterte deutsche Atomwaffenprojekt eingebunden war, fungierte seit 1946 als Direktor des Max-Planck-Instituts für Physik in Göttingen. In dieser Eigenschaft machte er sich gemeinsam mit einem Freund und Kollegen, dem Physik-Nobelpreisträger des Jahres 1945 Wolfgang Pauli, daran, Relativitäts- und Quantentheorie miteinander zu vereinen und die Phänomene Gravitation, Elektromagnetismus sowie schwache und starke Wechselwirkung in einem Modell beziehungsweise einer Formel zusammenzufassen. Diese hätte den theoretischen Physikern die Möglichkeit verschafft, alle Massenverhältnisse von Elementarteilchen, deren Wechselwirkung miteinander sowie ihr gesamtes sonstiges Verhalten ebenso präzise zu berechnen, wie das bei den Bewegungen der Planeten mit Hilfe der Newtonschen Gleichungen möglich ist.

Allerdings kam es im Laufe der Zeit zu einem Zwist zwischen Heisenberg und Pauli, weil letzterer als Perfektionist ersten Grades Heisenbergs unkonventionelle Art des Umgangs mit mathematischen Regeln kritisierte und schließlich 1957 drohte: „Wenn Du nicht mit diesem Unsinn aufhörst, dann kündige ich Dir unsere Freundschaft auf.“ Trotzdem freilich präsentierte Heisenberg seine aus lediglich 13 Komponenten bestehende Formel am 24. Februar 1958 während eines Vortrages im physikalischen Kolloquium der Universität Göttingen. Die Veranstaltung wurde auch von einigen vorab informierten Journalisten besucht, die sofort in sensationslüsterner Manier vermeldeten, nun sei endlich die „Weltformel“ mitsamt der dazugehörigen physikalischen „Theorie von Allem“ (theory of everything, ToE oder TOE) gefunden – so jubelte beispielsweise die „Frankfurter Allgemeine“ auf ihrer Titelseite vom 1. März 1958.

Dies verstörte sogar den eigentlich höchst selbstbewussten Heisenberg, weil ihm schwante, dass seine Einheitliche Feldtheorie doch noch ziemlich hypothetischer Natur war: „Die ganze Mathematik ist schauderhaft schwer. Nach längerem Nachdenken wird mir der Fall immer unklarer. Alles ist nur Vermutung.“ Deshalb schrieb er am 27. Februar 1958 entschuldigend an Pauli, die Presse habe ihre physikalisch unbeleckte Leserschar leider in „furchtbar dummer Form“ informiert.

Das hinderte Heisenberg indes nicht daran, die „Weltformel“ am 23. April 1958 während des Festaktes zum 100. Geburtstag von Max Planck nochmals vor knapp 3000 Zuhörern in Berlin vorzustellen. Damit erhielt die Angelegenheit endgültig eine Eigendynamik, die sich der Kontrolle des Nobelpreisträgers entzog. US-amerikanische Wissenschaftler starteten nun einige recht unqualifizierte Angriffe gegen den deutschen Kollegen. Als Grund gab Heisenbergs Ex-Mitarbeiter und Nachfolger als Institutsdirektor, Hans-Peter Dürr, später im Interview mit dem Deutschlandfunk an, dass sein früherer Chef an den Forschungsstätten jenseits des Atlantiks als „teutonischer Ehrgeizling“ galt, „der die deutsche Physik für viel besser hielt, als das Übrige, was in der Welt passiert ist.“

Jenseits solcher primitiven Verunglimpfungen hatten die Kritiker allerdings durchaus Recht, wenn sie sich über Heisenbergs hyperoptimistische Aussage mokierten, es gebe zwar noch verschiedene Kleinigkeiten zu klären und zu verbessern, aber im Wesentlichen liege er schon richtig. Selbstironisch verschickte Pauli einige Postkarten, auf die er ein Rechteck zeichnete und daneben schrieb: „Hiermit möchte ich der Welt demonstrieren, dass ich malen kann wie Tizian. Es fehlen nur noch ein paar Details.“

Heisenberg ließ sich nicht beirren und hoffte bis zu seinem Tode im Jahre 1976 auf eine praktische Bestätigung für die Richtigkeit der von ihm aufgestellten Formel. In der Zwischenzeit entwickelten Forscher wie George Zweig und Murray Gell-Mann vom California Institute of Technology in Pasadena das Quark-Modell, das erstmals Ordnung in die Vielfalt der damals bekannten Elementarteilchen brachte und Heisenbergs Berechnungen deutlich widersprach. Das wiederum veranlasste diesen, sich über den Glauben an irgendwelche seltsamen „Quarkteilchen“ zu ereifern: „Das ist schlechte Philosophie und folglich schlechte Physik.“

Am Ende sollten sich aber die Theorien der Wissenschaftler vom Schlage Gell-Manns durchsetzen – weshalb letzterer 1969 den Nobelpreis erhielt. Die Existenz der Quarks, die heute neben den Leptonen und Eichbosonen als die fundamentalen und kleinsten Bestandteile jeglicher Art von Materie gelten, wird inzwischen nicht mehr ernsthaft bestritten.

Zugleich suchen Wissenschaftler weiter nach einer „Weltformel“, die tatsächlich allen Ansprüchen genügt. Dabei scheint das Ziel momentan weiter entfernt als vor 60 Jahren. Vielleicht können aber die String-Theorien oder die Theorie der Schleifenquantengravitation (Loop-Theorie) dazu beitragen, die größte theoretische Herausforderung der modernen Physik zu meistern.