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09.02.18 / Vom harten Schicksal der Lebensbornkinder

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 06-18 vom 09. Februar 2018

Vom harten Schicksal der Lebensbornkinder
Dagmar Jestrzemski

Während des Zweiten Weltkriegs wurden in den von der Wehrmacht besetzten Ländern Europas Hunderttausende Kinder geboren, die das Ergebnis von Liebschaften zwischen deutschen Soldaten und einheimischen Frauen waren. Nach dem Krieg wurden diese Frauen in ihrer Umgebung geächtet, mitunter sogar härter bestraft als Kollaborateure. 

Bekannt sind die filmischen Szenen aus Frankreich, die dokumentieren, wie der Mob die Frauen halbnackt und geschoren durch die Straßen jagt. Fatalerweise wurden auch ihre Kinder zu Opfern gemacht. Mit Demütigung und Verlorenheit mussten sie schon früh zurechtkommen, wurden allein gelassen mit dem Grübeln darüber, wer und wo ihr Vater sei. 

24 Berichte der heute über 70-jährigen „Kinder des Krieges“ aus Finnland, Norwegen, Dänemark, Belgien, den Niederlanden, Frankreich und Italien hat Gisela Heidenreich in ihrem neuen Buch „Born of War – Vom Krieg geboren. Europas verlorene Kinder“ zusammengestellt. Was sie alle verbinde, seien die Lügen und das Schweigen der Mütter, erklärt Heidenreich. Sie selbst kam 1943 in einem Lebensbornheim in Oslo zur Welt. Von der schwierigen Aufdeckung ihrer Herkunftsgeschichte berichtet sie in einem eigenen Beitrag, dem weitere Berichte von Lebensbornkindern zur Seite gestellt sind. In ihrer Biografie „Das endlose Jahr“ aus dem Jahr 2002 hat sie ihre Erfahrungen bereits ausführlich geschildert. 

Die Frauen und Männer berichten, unter welchen Bedingungen sie aufwuchsen und mit welchen Schwierigkeiten sie umgingen. Vielfach hatten ihre Mütter mehr oder weniger erfolgreich versucht, ihr uneheliches Kind mit einem deutschen Soldaten in der Ehe mit einem anderen Mann als „Ku-

ckuckskind“ zu verbergen oder indem sie es bei Verwandten unterbrachten. Meistens mussten die Kinder der Besatzungssoldaten jahrzehntelang gegen eine Mauer des Schweigens ankämpfen, bevor sie erste konkrete Hinweise zu ihrer Herkunft erhielten und sich auf die Suche nach ihren Vätern machen konnten – oftmals zu spät. 

„Erst mit über 60 Jahren realisierten die meisten die Ungerechtigkeit ihres Schicksals“, schreibt Michel Blanc in seinem Beitrag. Blanc ist Präsident des 2005 gegründeten französischen Vereins von „Cœur sans Frontières“ (CSF). Der Verein hat das Ziel, französische Kriegskinder mit deutschen Vätern und deutsche Kriegskinder mit französischen Vätern, die während des Krieges und in den Jahren danach in Deutschland lebten, zu unterstützen. 

Durch eigene Initiative oder mit Hilfe von Netzwerken wie CSF wurde vielen „Kindern des Krieges“ noch die späte Freude zuteil, bei ihrer Suche nach der väterlichen Familie, wenn nicht den Vater, so doch Halbgeschwister und damit eine zweite Familie in Deutschland – und umgekehrt, aus deutscher Sicht, in dem jeweiligen europäischen Land – gefunden zu haben. Den Beiträgen aus den verschiedenen Ländern sind Rahmentexte von Historikern über den zeitgeschichtlichen Hintergrund vorangestellt. 

In der ehemaligen Sowjetunion wurde die Problematik der Wehrmachtskinder hinter Propagandaphrasen völlig verdrängt. Die Historikerin Barbara Stelzl-Marx konstatiert in dieser Hinsicht eine immer noch bestehende Leerstelle infolge der Tabuisierung. Mit Abstrichen gilt dies auch für die anderen osteuropäischen Länder. 

Diese Forschungslücke wird zurzeit durch ein bis 2019 laufendes, von der EU gefördertes Forschungsprojekt aufgefüllt. Die Beiträge aus Finnland sind dem Buch „Salatut lapset“ („Verheimlichte Kinder“, 2006) der Journalistin Irja Wendisch entnommen. Der Autorin gebührt Dank dafür, die Lebensberichte der verleugneten Kinder erstmals in einem gesamteuropäischen Rahmen gestellt zu haben. 

Heute wäre es vermutlich in allen europäischen Ländern unproblematisch, diese Geschichten unter dem Aspekt eines gemeinsamen Schicksals zu veröffentlichen. Noch vor 20 Jahren war das nicht der Fall. Dennoch wollten nicht alle, die an diesem Buch mitwirkten, namentlich genannt werden. Ob es den „Kindern des Krieges“, die jenseits des Eisernen Vorhangs aufgewachsen sind, wohl so geht wie Henry und Gerrit oder wie sie alle heißen? Beide fühlen sich erklärtermaßen als „Brückenpfeiler für ein geeintes Europa“.

Gisela Heidenreich: „Born of War – Vom Krieg geboren. Europas verlorene Kinder“, Ch. Links Verlag, Berlin 2017, gebunden, 367 Seiten, 16,99 Euro