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16.02.18 / Sprache als Instrument der Verhüllung / Zum politischen Missbrauch von Begriffen – Beispiel Dresdener Bombeninferno

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 07-18 vom 16. Februar 2018

Sprache als Instrument der Verhüllung
Zum politischen Missbrauch von Begriffen – Beispiel Dresdener Bombeninferno
Ingo von Münch

Im Jahre 1780 schrieb die Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften auf Initiative von Friedrich II. von Preußen eine Preisfrage aus, die zu stellen auch heute noch Sinn hätte. Die in dem Buch des Historikers Hans-Chris-tof Kraus „Der Wendepunkt des Philosophen von Sanssouci“ (Berlin 2017) ausführlich behandelte Frage lautete: „Ist es dem Volke nützlich getäuscht zu werden – sei es daß man es in neue Irrtümer führt, oder daß man es in jenen erhält, worin es sich bereits befindet?“ 

Nicht viele Herrscher hätten es zu jener Zeit gewagt, diese Frage publik zu machen. Eine Antwort gab jemand, der Friedrich dem Großen zeitlich und politisch weit entfernt stand: Ernst Toller, kurzfristig Mitglied der damaligen Regierung der kurzlebigen Bayerischen Räterepublik, meinte im Frühjahr 1919 dazu: „Nichts belastet den politisch Handelnden schuldvoller als Verschweigen, er muss die Wahrheit sagen, sei sie noch so drückend, nur die Wahrheit steigert die Kraft, den Willen, die Vernunft.“ 

Ist die Frage des preußischen Königs und die Antwort des bayerischen Rätepolitikers noch heute von Belang? Zwei Beispiele aus der politischen Gegenwart sind weiterführend; sie zeigen, wie Sprache als Instrument der Verhüllung missbraucht und das Volk getäuscht wird.

Durch ein am 30. Juni vorigen Jahres vom Bundestag beschlossenes und am 20. Juli 2017 verkündetes Gesetz erhielt die Bestimmung des Bürgerlichen Gesetzbuches über die eheliche Lebensgemeinschaft in ihrer traditionellen Fassung eine neue Fassung. Sie lautet mit Wirkung vom 1. Oktober 2017: „Die Ehe wird von zwei Personen verschiedenen oder gleichen Geschlechts auf Lebenszeit geschlossen“ (Paragraf 1353 Absatz 1 Satz 1). Mit dieser Gesetzesänderung ist die gleichgeschlechtliche Ehe in das deutsche Ehe- und Familienrecht eingeführt worden.

Über die Berechtigung oder die Sinnhaftigkeit dieser grundlegenden Entscheidung des Gesetzgebers soll hier nicht diskutiert werden. Auch das Hauruck-Verfahren, in dem das Gesetz durch den Bundestag durchgepeitscht wurde, ist inzwischen nur noch Rechtsgeschichte – wie auch die Abstimmung im Bundestag mit einer wechselnden Mehrheit, die eigentlich nach dem Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD nicht zulässig war, und die auch nicht durch die sogenannte Stimmfreigabe der Kanzlerin einfach aufgehoben werden konnte. Schließlich soll auch nicht der Frage hier nachgegangen werden, ob die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe vielleicht einer Änderung des Grundgesetzes (Artikel 6 Absatz 1) bedurft hätte. Einer kritischen Betrachtung soll hier nur die Bezeichnung unterzogen werden, unter der die weit reichende Änderung des traditionellen Ehe- und Familienrechts der Öffentlichkeit verkauft wurde.

Wie erinnerlich, wurde die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe als „Ehe für alle“ gefeiert; der von Politikern kreierte Ausdruck wurde von den sogenannten Leitmedien nachgeplappert. Die Wahrheit ist: Eine „Ehe für alle“ existiert nach wie vor nicht. In der „Neuen Zeitschrift für Familienrecht“ hat der ehemalige Richter am Bundesgerichtshof Hanns Engelhardt unter der Überschrift „Die ,Ehe für alle‘ und ihre Kinder“ festgestellt, dass die „Ehe für alle“ auch „durch das neue Gesetz in tatsächlicher Hinsicht keineswegs gewährleistet wird“. Der angeblichen „Ehe für alle“ stehen jedenfalls im deutschen Recht nicht wenige Eheverbote entgegen. Zu nennen sind vor allem – also hier ohne Anspruch auf Vollständigkeit – das Verbot der Doppelehe („Bigamie“), das Verbot der Ehe unter Verwandten in gerader Linie (also nicht nur unter Abkömmlingen, sondern auch unter Geschwistern), das Verbot der Heirat Geschäftsunfähiger und das Verbot der Heirat von Jugendlichen unter 16 Jahren.

Von Georg Wilhelm Friedrich Hegel stammt der zutreffende Satz: „Nur das Ganze ist die Wahrheit.“ Die unbestreitbare ganze Wahrheit ist: Eine „Ehe für alle“ gibt es nicht. Unsere Rechtsordnung kennt auch nach der Gesetzesänderung von 2017 nur die bisher übliche Form der Ehe von Mann und Frau und nun auch (neu) die Ehe von Personen des gleichen Geschlechts. Wer die Einführung der „Ehe für alle“ preist, meint die gleichgeschlechtliche Ehe. Warum die verbale Verkleidung?

Nun kann, wer will, diese Verhüllung als bloßen Ausdruck freier Wortwahl charakterisieren. Es gibt aber auch, worauf die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff kürzlich auf einer Tagung der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften hingewiesen hat, „Formen der Sprache, die alles andere als harmlos sind“. Ein Beispiel hierfür sind Äußerungen zum Gedenken an das Inferno von Dresden. In der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1945 flogen US-amerikanische, britische und kanadische Bomberverbände in einer zu jenem Zeitpunkt militärisch sinnlosen Aktion einen verheerenden Luftangriff auf die mit Flüchtlingen überfüllte Stadt. Die Zahl der Opfer ist bis heute nicht endgültig festgestellt: Die niedrigste Schätzung nennt 60000 Tote – nicht wenige davon Frauen und Kinder.

Gedenkveranstaltungen aus diesem Anlass führten zu nicht nur erstaunlichen, sondern auch zu geradezu aberwitzigen Kommentierungen. Die von Frauen auf nack-ten Brüsten zur Schau gestellte Aufforderung „Do it again, Harris“ war moralisch und intellektuell unter der Gürtellinie – immerhin hat kein Geringerer als Helmut Schmidt die Zerstörung Dresdens als Kriegsverbrechen bezeichnet. Wenn aus Antifa-Kreisen skandiert wird „Deutsche Täter sind keine Opfer“ so sollte man die Sprücheklopfer fragen, woher sie die Gewissheit nehmen, dass die Toten in Dresden allesamt Täter (konkret: welcher Taten?) waren. 

Auf der Linie der Kollektivschuldthese liegt auch die vom politischen Establishment verbreitete Behauptung, Dresden sei „keine unschuldige Stadt“ gewesen. Bezweckt wird mit dieser Legende eine Relativierung des Kriegsverbrechens des Luftangriffes auf Dresden, dies nach dem Motto: „Ja, aber …“ und mit der im Zusammenhang der Erwähnung alliierter Kriegsverbrechen gern gebrauchten Argumentationsfigur des sogenannten „Kontextes“. Die entscheidende Frage ist aber: Kann eine Stadt überhaupt schuldig oder unschuldig sein? Wer Sprache nicht als Manipulationsinstrument missbraucht, sondern präzise Inhaltsbestimmungen wünscht, kommt an der Tatsache nicht vorbei, dass jede Stadt ein komplexes Gebilde ist, bestehend nicht nur aus Menschen, sondern auch aus Gebäuden, Straßen, Plätzen, Parks, Geschichte und Kultur und vielem anderen. Schuld und Unschuld sind aber Kategorien, die nur an ein konkretes Verhalten von einzelnen Menschen anknüpfen. Deshalb kann ein komplexes Gebilde wie eine Stadt weder „schuldig“ noch „unschuldig“ sein; denn auch die in ihr lebenden Menschen lassen sich nicht über einen Kamm scheren: Es gibt – einfach gesagt – solche und solche, Täter und Opfer, Männer und Frauen, Erwachsene und Kinder. Wer demgegenüber als Generalankläger eine ganze Stadt als „nicht unschuldig“ verurteilt, klärt nicht auf, sondern verhüllt.

Nachtrag: In der „Neuen Zürcher Zeitung“, die vielen als eine der besten in Europa erscheinenden Tageszeitungen gilt, war in der Ausgabe vom 20. Januar ein umfangreicher Beitrag zu lesen unter der Überschrift „Es war einmal in Lemberg. Nach einem Jahrhundert von Krieg und Vertreibung kommen sich die Menschen in Polen und der Ukraine wieder näher.“ Der Leser wurde gut informiert, bis er dort las, dass die in Lemberg 1945 noch lebenden polnischen Familien „in den Westen, überwiegend in die von den besiegten Deutschen geräumte Region von Wroclaw/Breslau, umgesiedelt worden waren.“ Die Region von Breslau wurde demnach von den Deutschen „geräumt“ – ein schlicht unzutreffendes Wort für die brutale Vertreibung.