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16.02.18 / Unabhängigkeit von deutschen Gnaden / Der Erste Weltkrieg ermöglichte vor 100 Jahren die Proklamation eines eigenständigen litauischen Staates

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 07-18 vom 16. Februar 2018

Unabhängigkeit von deutschen Gnaden
Der Erste Weltkrieg ermöglichte vor 100 Jahren die Proklamation eines eigenständigen litauischen Staates
Manuel Ruoff

Am 16. Februar wird in Litauen gefeiert, denn dann ist es ein Jahrhundert her, dass im heutigen Museum der Signataren der litauischen Unabhängigkeit, das heute zum Litauischen Nationalmuseums gehört, ein unabhängiger litauischer Staat auf demokratischer Grundlage und mit Wilna als Hauptstadt proklamiert wurde.

Im Mittelalter entstand das Großfürstentum Litauen, das um ein Vielfaches größer war als die heutige Republik. Doch bereits gegen Ende des Mittelalters begann im Zuge der Heirat der polnischen Königstochter Hedwig von Anjou mit dem litauischen Großfürsten Jogaila die polnisch-litauische Union, die Litauen die Eigenständigkeit kostete. Aus einer Personal- wurde allmählich eine Realunion unter polnischer Führung. In den sogenannten polnischen Teilungen ging die polnisch-litauische Adelsrepublik Ende des 18. Jahrhunderts unter. Litauen kam zu Russland, dessen Bestandteil es bis zum Ersten Weltkrieg blieb. 

Um der aufgrund des Schlieffen-Plans zu erwartenden deutschen Großoffensive gegen Frankreich den Schwung zu nehmen, starteten die Russen in Absprache mit den Franzosen gleich nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges ihrerseits eine Offensive gegen Ostpreußen, das ungeschützt wie ein Balkon in den russischen Machtbereich hineinragte. Den Deutschen gelang es jedoch nicht nur, diese russische Offensive zurückzuschlagen, sondern vielmehr nun ihrerseits tief in das Territorium des Gegners einzudringen.

Bis 1915 hatten die Deutschen Litauen vollständig erobert. Die russische Fremdherrschaft in Litauen war vorerst beendet. Das waren gute Voraussetzungen für die Erlangung der Unabhängigkeit Litauens. Dieses galt umso mehr, als die Russen auf ihren militärischen Rückzug auch den Verwaltungs- und Staatsapparat mitnahmen. Das zwang die Deutschen, mit den Litauern einen neuen, von den Russen unabhängigen Apparat aufzubauen, der nun verständlicherweise mehr gen Westen gewandt war. Den Litauern in die Hände spielte auch, dass die Deutschen die von den Russen vorgenommene verwaltungspolitische Zersplitterung Litauens beendeten. Sie schufen zwar die sechs Verwaltungsbezirke Kurland, Litauen, Suwalki, Wilna, Bialystok und Grodno, legten diese jedoch im Laufe des weiteren Kriegsverlaufs zusammen, erst im Mai 1916 Wilna und Suwalki, im November 1916 Grodno und Bialystok, im März 1917 Wilna-Suwalki und Litauen sowie im Januar 1918 schließlich Wilna-Suwalki-Litauen mit Grodno-Bialystok.

Allerdings erkannten die Deutschen die Chance nicht, die sich ihnen in einer Zusammenarbeit mit den Litauern bot. Für viele deutsche Offiziere war jenseits der eigenen Ostgrenze nur Feindesland. Ihnen wurde nicht bewusst, dass getreu dem Motto „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“ sich ein Bündnis mit Litauen gegen Russland förmlich anbot. Viele Sympathien verloren die Deutschen, indem sie in Litauen Lebensmittel requirierten und Zwangsarbeiter rekrutierten.

Doch auch die Russen muteten den Litauern viel zu. Die russischen Streitkräfte erwarteten nämlich, dass mit ihnen sich auch die litauischen Zivilisten ins Landesinnere des Zarenreiches zurückzogen. Dort war für die Litauer allerdings nichts vorbereitet. Die sanitären Verhältnisse waren miserabel, was die Litauer umso härter traf, als sie von zu Hause einen für russische Verhältnisse überdurchschnittlichen, mitteleuropäischen Standard gewohnt waren. 

Zwei historische Ereignisse der Jahre 1916 und 1917 brachten dann Bewegung in das Projekt litauische Nationalstaatsgründung. Da war zum einen die Gründung des sogenannten Regentschaftskönigreiches Polen. Mit dem Entstehen eines polnischen Staates bestand die Gefahr, dass dieser ein Wiederaufleben der polnisch-litauischen Union anstreben würde. Eine Ersetzung der russischen durch eine polnische Fremdherrschaft wollten jedoch die wenigsten Litauer. Und da war zum anderen die russische Revolution. Während sich das zaristische Regime hartleibig gezeigt hatte, signalisierten die neuen russischen Machthaber sowohl nach der bürgerlichen Februar- als auch nach der sozialistischen Oktoberrevolution Gesprächs- und Konzessionsbereitschaft – ob nun aus Überzeugung oder um die Zahl der innenpolitischen Gegner überschaubar zu halten, sei dahingestellt. 

Da durften die Deutschen nicht zurückstehen, wollten sie in ihrer ohnehin schon zunehmend schwieriger werdenden militärischen Situation nicht die Litauer den Russen überlassen. So erlaubten sie die Bildung eines „Organi­sations­aus­schus­ses“, der am 4. August 1917 in Wilna zusammentrat und mit ihrer Billigung eine möglichst für das ganze Land repräsentative Versammlung von Delegierten zusammenrief. Diese 214-köpfige Delegiertenversammlung wählte aus ihrer Mitte eine 20-köpfige Lietuvos Taryba, einen kurz „Taryba“ genannten Litauischen Landesrat.

Am 29. November 1917 erklärte der deutsche Reichskanzler vor dem Reichstag Litauen für unabhängig. In Absprache mit der Besatzungsmacht proklamierte die Taryba am 11. Dezember 1917 „die Wiederherstellung eines unabhängigen litauischen Staates mit der Hauptstadt Wilna“. Dieser sollte zwar erklärtermaßen unabhängig sein, aber auf Dauer besondere Beziehungen zum Reich unterhalten. Das war die deutsche Bedingung für die Proklamation gewesen. So sollte es eine „Militär- und Verkehrskonvention“ sowie eine „Zoll- und Münzeinheit“ geben. Die Rück­sichtnahme auf Deutschland lag nicht nur daran, dass das Land Besatzungsmacht war, sondern auch daran, dass deutsch-russische Friedensverhandlungen in Aussicht standen, bei denen nicht auszuschließen war, dass Russland zugunsten Deutschlands auf Litauen verzichten würde. 

Nichtsdestotrotz wagte die Taryba am 16. Februar 1918 eine weitere Proklamation eines unabhängigen litauischen Staates, in der nun nicht mehr von besonderen Beziehungen zu Deutschland die Rede war. Das ließen sich die Deutschen jedoch nicht so ohne Weiteres bieten und forderten von den Litauern ein Bekenntnis zu den in der Proklamation vom 11. Dezember eingegangenen Bindungen an das Reich. Erst nachdem die Litauer klein beigegeben hatten, erklärte der höchste Repräsentant der damaligen Besatzungsmacht, der Deutsche Kaiser, am 23. März 1918 Litauen für unabhängig. 

Verständlicherweise feiern die Litauer heutzutage den 16. Februar 1918 und nicht den 29. November 1917, den 11. Dezember 1917 oder den 23. März 1918 als Unabhängigkeitstag. Wer möchte schon seine Unabhängigkeit der Gnade einer Besatzungsmacht verdanken? Und die damalige Bereitschaft zu einer engen Bindung an den späteren Hauptkriegsverlierer Deutschland muss man ja nun auch nicht unbedingt übermäßig betonen. Dass die Taryba nach ihrer vorwitzigen Proklamation vom 16. Februar 1918 wieder zurück­rudern musste, um die Billigung durch die deutsche Besatzungsmacht zu erfahren, kann man ja dezent unter den Tisch fallen lassen.