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16.02.18 / »Tristesse allemande« / Eine durchaus lesenswerte Vergangenheitsbewältigung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 07-18 vom 16. Februar 2018

»Tristesse allemande«
Eine durchaus lesenswerte Vergangenheitsbewältigung
Dagmar Jestrzemski

Der Autor von „Wie ich einen ostpreußischen Superhelden erfand“ gehört zur Generation der sogenannten „Kriegsenkel“. 1968 ist Jörg Stanko geboren und arbeitet hauptberuflich als Physiotherapeut. Seine Generation stand schon mehrfach im Blickfeld von Bücher schreibenden Psychotherapeuten und zuletzt auch der epigenetischen Forschung. Die Themen der „Kriegsenkel“ sind Heimatlosigkeit, Entwurzelung und Suche nach der eigenen Identität. Stanko konstatiert bei sich selbst eine „Tristesse allemande“. Für ihn bedeute das Gefühl, deutsch zu sein, so etwas wie Zahnschmerzen zu haben. Dieses Buch zu schreiben war für ihn nicht nur Experiment, sondern auch eine Art von Therapie. Und er habe großen Respekt vor der Lebensleistung seiner Großeltern bekommen, bekennt er. 

In seinem schmalen Band hat er zwei sich dramatisch zuspitzende Geschichten aus der NS-Zeit und den Kriegsjahren zusammengefasst. Die eine umfasst einen Ausschnitt aus Stankos ostpreußischer Familiengeschichte. Die andere, schwer erträgliche, handelt von der Deportation und den Leiden eines jungen jüdischen Mannes in einem Konzentrationslager. Beide Geschichten sind aus parallel geschalteten Episoden zusammengesetzt, in denen der Autor Fiktives mit Tatsachen und Fakten vermischt. 

Beide Großväter des Autors waren im Zweiten Weltkrieg als Soldaten in Russland eingesetzt. Aber er hat keine Erinnerung an ihre Erzählungen über den Krieg. Aufgrund des Buchtitels liegt daher die Annahme auf der Hand, dass er diese Überlieferungslücke mit einer fiktiven Heldentat seines ostpreußischen Großvaters August geschlossen hat: Doch Fehlanzeige – anders als der Titel verspricht, gibt es in diesem Buch keinen Superhelden. In seiner romanhaften, manchmal sentimentalen Geschichte über August und Martha, die im masurischen Dorf Bärengrund aufwuchsen, schildert Stanko mit Mut zur Lücke Szenen des Glücks und des Elends zwischen den sich Liebenden. Kurz vor Kriegsbeginn 1939 werden die beiden ein Liebespaar. Als August zum Kriegsdienst einberufen wird, feiern sie eine Nothochzeit. Beim Heimaturlaub an Weihnachten 1940 sieht August zum ersten Mal seinen Sohn Winfried, den Vater des Autors. Zu Beginn des Kriegswinters 1945 geht Martha mit ihrem Sohn in einem Flüchtlingstreck auf die Flucht.  Monate später treffen August und seine Lieben in einem dänischen Flüchtlingslager zusammen. Sie können diese Gunst des Schicksals kaum fassen.

Den glücklichen Ausgang seiner  Familiengeschichte wollte Jörg Stanko nicht ohne harten Kontrast stehenlassen. In seine Familiengeschichte blendet er Szenen aus der fiktiven Leidensgeschichte eines jüdischen Mannes ein. Der junge Friedrich steht für Millionen anderer Juden, die während der NS-Zeit in Deutschland unschuldig verfolgt und getötet wurden.

In beiden Geschichten ist er stets präsent: als beobachtender und kommentierender Erzähler oder als Jörg Stanko mit seiner „gespaltenen deutschen Identität“, über die er immer wieder nachsinnt. Offenbar hat er sich erst spät für die ostpreußische Herkunft seiner väterlichen Familie interessiert, steht doch ein solches Interesse bei vielen Menschen seiner Generation im Verdacht der Heimattümelei. Erst in jüngerer Zeit entkrampfte sich diese starre Haltung. Was Autor Stanko ganz persönlich aus diesem gesellschaftlichen Phänomen gemacht hat, bietet einen sehr speziellen Blick-winkel. Wer sich darauf einlässt, findet sich in einem durchaus lesenswerten Buch wieder. 


Jörg Stanko: „Wie ich einen ostpreußischen Superhelden erfand“, Pomaska-Brand Verlag, Schalksmühle 2011, broschiert, 95 Seiten, 12 Euro