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23.02.18 / Anatomie eines Bauchgefühls / 1989 starb die DDR. Todkrank war sie schon 1988 – Das Deutschland von 2018 zeigt verbüffend ähnliche Krisensymptome

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 08-18 vom 23. Februar 2018

Anatomie eines Bauchgefühls
1989 starb die DDR. Todkrank war sie schon 1988 – Das Deutschland von 2018 zeigt verbüffend ähnliche Krisensymptome
Wolfgang Kaufmann

„Annus mirabilis“ werden Jahre genannt, in denen epochale Ereignisse den Weltenlauf erschüttern. Ein solches „Wunderjahr“ war 1989, in dem die Mauer fiel und die kommunistischen Regimes in der DDR und Osteuropa kollabierten. Dabei kündigte sich das Ganze schon 1988 an: Viele Menschen spürten, dass ein altes System seinem Tod entgegenkrankte. Dieses Bauchgefühl erlebt 30 Jahre später eine Renaissance. Doch sind 1988 und 2018 tatsächlich vergleichbar?

Erstaunliche Parallelen stechen ins Auge – zum Beispiel beim Umgang mit kritischen Medien: Während die greise Honecker-Riege im November 1988 die sowjetische Monatszeitschrift „Sputnik“ verbot, boxt der SPD-Justizminister Heiko Maas heute ein Zensurgesetz durch, das lästigen Systemkritikern im Internet das Wort abschneiden soll. Denn der „Klassenfeind“ lauert überall – nur dass man ihn nunmehr als „Rechtspopulist“ betituliert. Gleichzeitig taugt er wie eh und je zum perfekten Sündenbock, der für alle hausgemachten Mängel im Lande verantwortlich gemacht werden kann. Waren es in der DDR Sympathisanten der „Bonner Imperialisten“, welche den „Siegeszug“ des real existierenden Sozialismus im „ersten Arbeiter- und Bauernstaat auf deutschem Boden“ bremsten, sind es derzeit Kritiker der Europa- und Flüchtlingspolitik, die für „schlechte Stimmung“ im Lande sorgen und das „bunte“ Miteinander gefährden. 

Ansonsten sitzt der Feind aber keineswegs nur innerhalb der eigenen Grenzen, sondern auch im Land des einstmaligen „Großen Bruders“, wo er gar die Macht übernommen hat. Womit sich ein weiteres Déjà-vu einstellt: Was momentan die USA unter Trump sind, das war 1988 die Sowjetunion unter Gorbatschow. Ganz abgesehen von Ungarn, dass vor 30 Jahren zum Ärgernis für die Machthaber in Ostberlin mutierte, weil es ein erstes Loch in den „Eisernen Vorhang“ riss, und nun in der Gegenwart für seine Maßnahmen gegen illegale Einwanderung gescholten wird.

Auf all diese Dinge reagieren die Menschen damals wie heute auf zweierlei Weise. Die eine Gruppe wählt den Rückzug ins Private und ergötzt sich an Sport, Musik und ähnlichen Dingen, die mit Politik nichts zu tun haben. 1988 gab es dafür unter anderem die Sommerolympiade in Südkorea, die Fußball-Europameisterschaft sowie Konzerte von eingeflogenen West-Stars wie Bruce Springsteen, Joe Cocker und Bryan Adams, während man sich 2018 mit der Winterolympiade in Südkorea, der Fußball-Weltmeisterschaft in Russland und diversen „Events“ vom tristen Alltag ablenken kann. Das reicht vom RTL-Dschungelcamp bis zur Tournee von Helene Fischer und dem Spektakel drumherum, ob die erkrankte Schlagerkönigin nun singen kann oder nicht.

Die andere Gruppe wiederum wird plötzlich politisch und geht auf die Straße, um gegen die wachsenden Zumutungen von Seiten des Systems zu protestieren. 1988 waren das die wenigen Dutzend oder hundert Demonstranten, welche „Freiheit für Andersdenkende“, die Einhaltung der Menschenrechte oder ein Ende der Zensur forderten. 2018 sind es die Anhänger von AfD und Pegida, aber auch bislang überhaupt nicht an Politik interessierte Bürger in Städten wie Cottbus oder Kandel, die es satt haben, Leidtragende der haarsträubenden Asylpraxis zu sein.

Das wiederum ruft natürlich den Sicherheitsapparat auf den Plan, der unter Merkel nicht weniger einschüchternd daherkommt als unter Honecker. Zwar wacht heute kein Ministerium für Staatssicherheit mit 91000 hauptamtlichen und 190000 nebenberuflichen Spitzeln über die „Stabilität“ der Gesellschaft, aber die Phalanx der Dienste, welche die angeblich „freiheitlich-demokratische Grundordnung“ auf irgendeine Weise schützen sollen, ist gleichfalls höchst beeindruckend: Aktuell sind mehr als 40 verschiedene Behörden auf Bundes- und Länderebene dafür verantwortlich, „Bedrohungen“ von innen oder außen abzuwehren. Addiert man deren Mitarbeiterzahl – unter Vernachlässigung der V-Leute, von denen niemand genau weiß, wie viele derzeit im Verborgenen agieren – ergibt das etwa 75000. Da wirkt die Stasi gleich um einiges weniger monströs.

Das heißt aber nicht, dass die heutigen Systemwächter effektiver agieren und so einen Umsturz zuverlässiger verhindern könnten als der überraschte Mielke-Apparat 1989: Die föderale Kleinstaaterei macht gemeinsames und effektives Handeln schwierig. Die Institution des politischen Beamtentums befördert zudem immer wieder Menschen in die Chefetagen, die sich vor allem durch Inkompetenz auszeichnen.

Trotzdem muss 2019 keine erneute und diesmal gesamtdeutsche „Wende“ erfolgen, denn es existieren auch gravierende Unterschiede zur Situation damals. Zum Ersten geht es den meisten Deutschen noch vergleichsweise gut. Das heißt, sie haben viel zu verlieren, wenn das System kollabiert. Zum Zweiten besteht kaum mehr ein Zusammengehörigkeitsgefühl in der Gesellschaft: es dominieren Ellenbogenmentalität und der Individualismus. Zum Dritten fehlt im Gegensatz zur DDR 1989 der „Seniorpartner“, an dem man sich orientieren kann und der dem gescheiterten Staat nach der „Revolution“ aus der Patsche zu helfen vermag. Zum Vierten fehlen moralische Instanzen, die potenzielle Umstürzler im Wollen vereinen, ermutigen und gleichzeitig zügeln – damit es nicht zur Anarchie kommt. Diese Funktion hatten in der DDR die Kirchen. 

Allerdings verloren sie in den vergangenen drei Jahrzehnten extrem an Ansehen und Einfluss. Ganz abgesehen davon natürlich, dass die höheren christlichen Amtsträger inzwischen noch viel eindeutiger auf der Seite der Mächtigen stehen als damals. Und zum Fünften verfügt das linkslastige Establishment der heutigen Bundesrepublik mit den Antifa-Truppen über schlagkräftige Sympathisanten, die weniger Skrupel haben, gegen „Rechtsabweichler“ vorzugehen als Honeckers Nationale Volksarmee und die Kampfgruppen der Arbeiterklasse.

Noch eines ist – gottseidank – anders als zu DDR-Zeiten: Deutschlands demokratische Institutionen lassen aller Wahrscheinlichkeit nach eine Kehrtwende zum Besseren zu, ohne dass gleich ein ganzes politisches System per Annus mirabilis abgeschafft werden müsste.





Was 1988 in der DDR passierte

17. Januar: 160 Demonstranten fordern in Ostberlin Freiheit für Andersdenkende – und wandern in Haft.

13. Februar: In Dresden werden zirka 100 Menschen festgenommen, welche die Wahrung der Menschenrechte anmahnten.

Frühjahr/Sommer: Der Vorsitzende des Kirchentagsausschusses der mecklenburgischen Landeskirche Joachim Gauck verhindert einen „Kirchentag von unten“. Laut Stasi-Protokoll vom 9. Mai 1988 äußerte der spätere Bundespräsident: „Der Kirchentag … ist zum Feiern da und nicht zum Demonstrieren!“  

2. Oktober: Ende der Olympischen Sommerspiele in Seoul. Die DDR belegt mit 102 Medaillen Platz Zwei in der Länderwertung hinter der Sowjetunion und vor den USA.

10. Oktober: DDR-Sicherheitskräfte lösen in Ostberlin einen Protestmarsch von 200 Personen auf, der sich gegen die Zensur von Kirchenzeitungen richtete.

21. November: Die DDR-Führung verbietet fünf stalinismuskritische sowjetische Filme.

2. Dezember: Erich Honecker kritisiert auf einer Tagung des Zentralkomitees der SED die Reformpolitik in der UdSSR.